Ich freue mich, Sie hier in Genf zur Telecom World 2009 begrüssen zu dürfen. Ich danke allen, die zum Gelingen dieses Anlasses beigetragen haben, allen voran der ITU.

Ich bin ebenso erfreut darüber, dass sich die Telecom World in den letzten Jahren zu einem Anlass weiterentwickelt hat, an dem wir nicht nur über die neuesten Technologien diskutieren, sondern auch darüber, wie wir diese nutzen.

Das Motto „open networks - open minds" verdeutlicht, dass wir nicht nur über die Form sprechen wollen, sondern auch über den Inhalt - nämlich die Freiheit der Menschen, diese Technologien für ihre Bedürfnisse zu nutzen und damit frei zu kommunizieren.

Kommunikation schafft Gemeinsamkeit

Durch Kommunikation schaffen wir Gemeinsamkeit. Wir schaffen uns unsere gemeinsame Welt. Aber wir haben je nach Kultur, Sprache oder Religion ganz verschiedene Ansichten über unsere Welt, über ihre Probleme und die Lösungen dazu. Das zeigt sich schon im Kleinen:

Wir Schweizer zeigen unser Matterhorn gerne immer nur von der einen Seite, die sich neckisch in den Himmel reckt und sich so weltweite Sympathie erobert. Es gibt aber eine andere Seite des Matterhorns: eine dunkle, abweisende und gefährliche Wand, an welcher Jahr für Jahr zahlreiche Bergsteiger abstürzen und ihr Leben lassen.

Unser Bild des Matterhorns stimmt somit erst dann, wenn wir diesen Berg aus allen Perspektiven betrachtet haben.

Es kommt also auf den Standpunkt an.

Wir brauchen verschiedene Blickwinkel und Perspektiven, damit die Wahrheit zum Vorschein kommt. Das gemeinsam geschaffene Bild der Welt zeigt uns auch die Probleme und die Schwierigkeiten, die uns bedrohen und die wir lösen müssen - gemeinsam lösen müssen.

Beteiligung aller als Voraussetzungen für Kommunikation

Das ist erst dann möglich, wenn alle Sichtweisen geäussert werden können und alle Menschen von ihren unterschiedlichen Standpunkten aus mitreden können.

Der kommunikative Austausch ist zunächst auf Infrastrukturen angewiesen. Als Infrastrukturminister ist mir sehr wohl bewusst: Die Kommunikationskanäle sind eine mindestens ebenso wichtige Infrastruktur wie die Energie oder der Verkehr auf Schiene, Strasse und Luft. Armut, Umweltzerstörung oder Migration sind globale Probleme. Ihre Lösungen können ebenfalls nur global angegangen werden, und da braucht es globale Kommunikationskanäle.

Die neuen Technologien eröffnen neue Kommunikationsmöglichkeiten. Davon profitieren vor allem auch diejenigen, die noch vor kurzem von der Telekommunikation ausgeschlossen waren.

Es ist erfreulich, dass sich der Gebrauch von Mobiltelefonen gerade in den ärmeren Ländern rasch ausweitet. Der digitale Graben ist aber trotz aller Bemühungen, ihn zuzuschütten, immer noch ein Graben.

In den Entwicklungsländern haben weniger als 20 % der Menschen einen Fix-Netz-Anschluss. Und in Afrika z.B. hat weniger als 1% der Bevölkerung Zugang zu einem Breitbandanschluss und damit zum Web 2.0.

Meinungsäusserungsfreiheit

Wir dürfen die Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft nicht tolerieren, denn „Open networks - open minds" meint auch das Recht aller Menschen, frei über die verschiedenen Netzwerke zu kommunizieren. Nur wenn uns das gelingt, tragen die neuen Technologien zur weltweiten Demokratisierung bei, die wir anstreben.

Demokratie ist auf Irritation und Widerspruch angewiesen. Demokratie lebt auch von der Begegnung mit Neuem, Ungewohntem, mit fremden Denkweisen. Als Umweltminister lehrt mich die Ökologie genau dasselbe: Biologische Diversität und Variation sind die Voraussetzung für die Evolution lebender Systeme. Daraus kann und muss ich als Kommunikationsminister meine Schlüsse ziehen.

Denn es gilt analog: Genauso wie wir die Umwelt schützen, müssen wir auch die freie Kommunikation schützen. Natürlich ist es notwendig, kriminelles Verhalten und Missbräuche im Internet zu bekämpfen. Der Kampf gegen Cyberkriminalität darf aber nicht als Vorwand dafür missbraucht werden, die Bürger unnötig zu überwachen und die Entwicklung einer freien und demokratischen globalen Informationsgesellschaft zu verhindern.

Vielfalt der Sprachen heisst Vielfalt der Kulturen

„Open networks - open minds" bedeutet auch, dass die Menschen in ihrer eigenen Sprache miteinander kommunizieren können. Nach wie vor sind viele Inhalte und Anwendungen nur für Menschen zugänglich, welche des Englischen mächtig sind. Es gibt über 6000 Sprachen auf der Welt, aber mehr als die Hälfte der Websites im Netz sind immer noch auf Englisch verfasst. Während immerhin die Verbreitung von Sprachen wie Chinesisch im Internet rasant zunimmt, ist vor allem der Anteil von Inhalten in afrikanischen Sprachen noch verschwindend klein.

Sprache ist mehr als ein Mittel zur Verständigung: Sprache ist auch Ausdruck einer Kultur. Wird eine Sprache in den neuen Technologien an den Rand gedrängt, gilt das stets auch für eine ganze Kultur.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine erfolgreiche Telecom World 2009. Wir werden uns alle 2011 am 40-jährigen Jubiläum der Weltmesse in Genf wieder sehen und so beweisen: Kommunikation heisst Gemeinsamkeit. Wir schaffen eine gemeinsame Welt.

"Es kommt auf den Standpunkt an"