Sehr geehrte Damen und Herren,

ReStart heisst das Thema des diesjährigen SEF.

Und tatsächlich wäre es verlockend, wie bei einem Computer nach einem Crash auch bei den diversen aktuellen politischen Problemen einfach restarten zu können – beim Euro, den Boni oder der Umweltkatastrophe im mexikanischen Golf.

Zum Glück aber haben wir in der Politik keinen Restart-Knopf.

Wir würden sonst nämlich immer wieder dieselben Fehler aufgrund derselben Programme begehen, im alten Trott weiter machen anstatt aus Fehlern zu lernen und uns weiterzuentwickeln.

Im Herbst 2008 mussten wir uns mit dem Bankrott oder Fast-Bankrott verschiedenster Banken und privater Institutionen befassen.

Heute stehen wir vor der Tatsache, dass auch verschiedenste Staaten nahe am Staatsbankrott stehen und wir müssen erneut einschreiten.
Weil solche Rettungsaktionen nicht zur Gewohnheit werden dürfen, müssen wir das System stabilisieren – national wie international.

Heute sind wir uns einig:

Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Wo Wettbewerb besteht, gibt es auch Risiken. Es muss möglich sein, dass auch grosse Unternehmen Konkurs gehen können, ohne ganze Volkswirtschaften mitzureissen. Die „too-big-to-fail“-Problematik betrifft die Schweiz ganz besonders. Daher will der Bundesrat voran gehen und die systemischen Risiken für den Staat mindern. Das ist möglich. Das werden wir auch im internationalen Kontext fordern, etwa mit einem internationalen Konkursrecht.
Manager mit Verantwortung sollen gut verdienen dürfen. Wenn die Kluft der Vergütungen zwischen Industrie und Finanzwelt aber zu gross wird, schadet das und führt zu einem ungesunden Wettbewerb. Wenn variable Vergütungen ein Mehrfaches des geschuldeten Lohns ausmachen, schadet das und führt zu falschem Verhalten der Manager. Wenn Boni auch bei Verlusten eines Unternehmens ausgerichtet werden, schadet das und führt zu Vertrauensverlust – erst recht dort, wo Unternehmen staatliche Hilfe beanspruchen.
Es wäre schön, die selbstheilenden Kräfte des Marktes würden zu Korrekturen führen. Leider hat die Selbstregulierung bislang wenig geholfen. Menschliche Gier konnte nur beschränkt eingedämmt werden. Daher wird die Politik zur Regulierung schreiten, sei es via Aktienrecht oder via Bankenrecht. Schade! Aber nur so wird der Bürger wieder Vertrauen in die Wirtschaft aufbauen und von einer freien Marktwirtschaft überzeugt sein.
Wir müssen die internationale Finanzarchitektur festigen. Kein Staat kann das für sich allein. Der IMF muss seine Aufsichtsrolle deutlicher wahrnehmen und bei Anzeichen von Schwächen, Fehlern einschreiten. Ungleichgewichte der grossen Volkswirtschaften punkto Konsum und Sparquoten, punkto Verschuldung und Inflationsgefahren betreffen die ganze Welt. Sie müssen überwacht werden. Wie wir alle am Beispiel des EURO lernen, braucht es eine Behörde, welche die Mitglieder bei der Einhaltung gewisser Haushaltregeln eng begleitet. Auch hier braucht es Korrekturen am bisherigen System. Dann kehrt das Vertrauen zurück.
Die Schweiz kann ihre Hausaufgaben noch so gut machen, wir sitzen im selben Boot mit der Staatengemeinschaft. Als offene, auf den Export angewiesene Volkswirtschaft haben wir alles Interesse an stabilen Verhältnissen. Daher brauchen wir starke multilaterale Organisationen, starke und international koordinierende Zentralbanken, unabhängige und vernetzte Finanzmarktbehörden und gut vernetzte Regierungen.

In diesem Umfeld kann die Schweiz auf einem guten soliden Fundament aufbauen.

Dass wir nicht so tief wie andere Länder in die Krise gerutscht sind, ist aus meiner Sicht auf drei Gründe zurückzuführen:

Strukturell keine Klumpenrisiken
Sozialversicherungen
Innovationsleistung

Zu 1. Anders als andere Staaten haben wir keine Immobilienkrise. Die Lehren aus den 90er Jahren wurden gezogen etwa durch höhere Eigenkapitalvorschriften. Zudem haben wir nach dem EWR-Nein unzählige Binnenreformen für die Wettbewerbsfähigkeit des Werkplatzes Schweiz umgesetzt. Seit 2003 haben wir die Schuldenquote von damals 55% auf unter 39% im 2009 gesenkt; Griechenland steht im Vergleich dazu bei 115%.
Zu 2. Unsere Sozialversicherungen haben wir so ausgestaltet, dass Menschen nicht durch die Maschen fallen, wenn Sie von einem Risiko, von einem Schaden betroffen werden. Dank den Versicherungen haben sie weiterhin ein Auskommen. Ein Teil ihrer Kaufkraft wird erhalten. Das wirkt sich gerade bei hoher Arbeitslosigkeit positiv aus. Weil die Wirtschaft eingebunden ist in die Finanzierung des Systems, werden die Sozialwerke nicht ausgenutzt. Alle Betroffenen haben ein Interesse an der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und nicht am Verbleib in der Versicherung.

Zu 3. Nur wenn Firmen laufend in die Zukunft investieren, forschen und entwickeln, gibt es eine ausreichende Dynamik für Wachstum und neue Arbeitsplätze. Darin sind wir Spitze – beziehungsweise Sie als Unternehmer. Die Flexibilität, wie rasch auf Marktprobleme reagiert und die Investitionen richtig platziert werden, ist beeindruckend. Wir hatten in der Krise beispielsweise einen Rekord an Spin Offs und Start-ups. Das sind Zeichen eines gesunden Unternehmertums, einer wissens- und innovationsfreudigen Schweiz.

Meine Damen und Herren, wir haben vieles erreicht und die Schweiz zu einem erfolgreichen Wirtschaftsstandort gemacht. Wir sollten uns aber weniger mit dem beschäftigen was getan worden ist, sondern uns an die französische Physikerin Marie Curie halten: Uns muss interessieren, was getan werden muss! Die Analysen sind klar und die Ziele liegen auf dem Tisch. Letztere zu realisieren ist dennoch schwierig.

In Staaten mit hoher Verschuldung wird die Bevölkerung die verordneten Sparpakete und andere Einschränkungen nicht so einfach goutieren. Mögliche Einbussen im Export in Kombination mit der Frankenstärke dürften im Euro-Raum bei unseren dortigen Handelsbemühungen eine Delle schlagen. Ich werde daher mit den Bemühungen weiterfahren, unser Aussenhandelsnetz weiterzuentwickeln – in Asien, Russland und anderen spannenden Märkten.

Das bringt uns eine bessere geografische und auch währungspolitische Diversifikation, letztlich weniger Verletzlichkeit. Die Solidarität der Staatengemeinschaft bei Krediten an notleidende Staaten wird auf die Probe gestellt. Wie üblich in Krisen nimmt die Tendenz zu Protektionismus oder Massnahmen zur Bevorzugung nationaler Unternehmen eher zu. Ebenso werden Spekulanten versuchen, die Situation für den schnellen Gewinn auszunutzen. Ordnungspolitik steht nicht an oberster Stelle. Auch das dürfte uns da und dort bremsen. Deshalb müssen wir uns vor allem bei der WTO für die Einhaltung von Handelsregeln einsetzen. Wir haben in der Krise neue Exportplattformen aufgebaut mit der OSEC: Cleantech, LifeScience/Medtech, Design/Architecture/Engineering.

Wir bieten den KMU damit eine vernetztere, professionelle Möglichkeit, ihre Produkte in neuen Märkten unter der Marke Schweiz anzubieten. Ebenso haben wir mit dem Innovations-Check der KTI ein neues Produkt für Ideen entwickelt, die man von einer Hochschule prüfen lassen möchte. Jetzt liegt es an Ihnen, von diesen Angeboten Gebrauch zu machen, um neu durchzustarten.

Wir wissen, dass Ressourcen aufgrund der Verknappung tendenziell teurer werden, sei es Energie, Metalle, Nahrungsmittel. Wer es schafft, Ressourcen einzusparen, schonender damit umzugehen oder sie gar zu substituieren, wird die Nase mittel- und langfristig vorne haben. Die Schweiz ist hier bestens positioniert. Wir können profitieren von den Schwellenländern die am Beginn der Entwicklung stehen (denken sie an Wasser- und Abwasserversorgung oder Abfallbeseitigung) und gleichzeitig in den Industrieländern mit neusten Technologien aufwarten, etwa im Halbleitersektor oder bei Gebäudefassaden. Eine noch engere Zusammenarbeit zwischen verwandten Betrieben, mit den Fachhochschulen und Universitäten ist nötig, damit wir dieses Potenzial nutzen können. Wir in der Politik erarbeiten bis in den Sommer einen Masterplan Cleantech, um aufzuzeigen, welche Hindernisse beseitigt und welche Regulierungen optimiert werden sollten.

Zudem, meine Damen und Herren, muss auch die Schweiz Reformen realisieren. Schon viel zu lange werkeln wir an der Krankenversicherung herum ohne messbare Erfolge. Wir kreisen seit mehreren Jahren um die 11. AHV-Revision.Und Sie werden im September zur ALV-Reform Stellung nehmen müssen. Ein Referendum ist im Gange. Fakt ist: Niemand möchte mehr bezahlen oder Leistungen abbauen. Fakt ist aber auch, wir haben in der ALV ein strukturelles Defizit von jährlich 1 Mia und die Krise hat jetzt noch konjunkturbedingte Schulden auflaufen lassen. Wir müssen handeln. Dabei ist mir natürlich bewusst, dass Eigeninteressen vorliegen und deren Verteidigung bei uns eine lange Tradition hat. Schon Jeremias Gotthelf klagte: „Sein Reich war sein Geldseckel, und wer dieses Reich ihm angriff, der war sein Feind, darum hasste er niemand ärger als d’Bettler und d’Regierung.“

Gelingt es der Linken erneut, mit dem Stichwort des Sozialabbaus die Emotionen zu schüren, werden Wirtschaft und Erwerbstätige die Folgen sofort ab dem 1.1.2011 zu spüren bekommen. Das heutige Gesetz verlangt nämlich eine Anpassung der Lohnbeiträge, wenn eine bestimmte Schuldsumme bei der ALV überschritten ist. Statt einer Erhöhung der Abzüge um 0,2% wird der Bundesrat eine solche von 0,5% verfügen müssen. Das schwächt die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft, das schwächt die Kaufkraft und das in einem Moment, wo wir bereits für die IV mehr MWST-Prozente bezahlen müssen und unter einem starken Franken leiden. Restart wäre also auch hier eher ein Trugschluss.
Meine Damen und Herren, die Welt wird nach dieser Krise eine andere sein.Einerseits drängen neue Player selbstbewusst auf die internationale politische Bühne. Sie fordern Integration in die wichtigsten multilateralen Gremien und das ist berechtigt.
Allerdings ist das dann auch verbunden mit der entsprechenden Verantwortung.
Kein einfacher Prozess, weil diese Kräfteverschiebungen natürlich auch Machtverschiebungen bedeuten.
Es gibt Gewinner und Verlierer.
Das wird uns geraume Zeit beschäftigen.
Für die Schweiz bedeutet es, dass wir neben der Binnen- und Europapolitik das weltweite Geschehen noch mehr mit verfolgen und uns dort einbringen müssen, um unsere Interessen zu wahren.
Mit unserer aktiven Aussenwirtschaftspolitik haben wir hier seit ein paar Jahren ein Netz aufgebaut.
Mit einer G20-Strategie agiert der Bundesrat auch institutionell.

Andererseits rückt die Welt noch enger zusammen.
Rezessive Entwicklungen oder umweltwirksame Fehlentwicklungen haben direkte und sofortige Auswirkungen auf die Schweiz.
Die Chaos-Theoretiker haben recht:

Wenn im Amazonas ein Schmetterling mit den Flügeln schlägt, hat dies auch auf uns eine Wirkung.
Wenn im Golf von Mexiko täglich 800‘000 Liter Öl ins Meer fliessen, sind auch wir davon betroffen( der Preis steigt auch bei uns).
Wenn in Griechenland die Strassen brennen, fällt die Börse.

Ohne den Teufel an die Wand zu malen; ein Staatsbankrott Griechenlands und die äusserst kritische Finanzlage weiterer EU-Länder können auch für uns bedrohliche Auswirkungen haben.
Es ist daher unumgänglich, dass die Staaten einen gemeinsamen Nenner für eine internationale Finanzmarktarchitektur finden.
So wie jeder Unternehmer ständige Marktbeobachtung betreibt, so muss die Regierung ständige Politikbeobachtung betreiben.

Meine Damen und Herren, Staat und Markt stehen sich nicht diametral gegenüber – hier der strenge Regulator, dort der schrankenlose Investor.
In einer sozialen Marktwirtschaft übernimmt jeder seinen Part.
Der verantwortungsvolle Unternehmen rennt nicht nur dem schnellen Geld hinterher, sondern sucht den nachhaltigen Erfolg – zusammen mit den Mitarbeitern.
Der Staat greift nicht restriktiv in das Wirtschaftsgefüge ein, sondern setzt dort den Rahmen, wo entweder die Märkte nicht spielen oder die Gesellschaft, die Umwelt einen besonderen Schutz verdienen – zusammen mit der Gesellschaft, dem Volk.

Wir können die Chancen in der Krise nutzen.
Aber wir müssen die gemachten Fehler erkennen und wir dürfen sie nicht wiederholen.
Wir müssen agiler werden und schneller auf Veränderungen reagieren.
Wir brauchen eine neue Nachhaltigkeit und globales Denken.
Dann brauchen wir auch keinen „ReStart“-Knopf, um nach der Krise gemeinsam neu durchzustarten.

Es gilt das gesprochene Wort !

Die Welt im Visier - die Schweiz auf Kurs!