Meine Damen und Herren

Sie alle arbeiten in einer verantwortungsvollen Position bei der SBB. Es wird momentan sehr viel von Ihnen verlangt: 

Die SBB muss wachsen und gleichzeitig die Kosten senken.
Sie als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen einen riesigen, komplexen Betrieb am Laufen halten und gleichzeitig viele Veränderungen umsetzen.

Auch auf politischer Ebene fordert uns die SBB heraus. Denn wo man auch hinschaut, man sieht nur Baustellen:

Für den Unterhalt der Infrastruktur braucht es zusätzliche Mittel. Vielleicht sind es 850 Millionen Franken, vielleicht auch etwas weniger. Im Moment sind wir daran, eine second opinion zu erstellen. Wie viel es auch sein wird: es ist noch nicht klar, woher das Geld kommen soll.
Es gibt viele Engpässe, die dringend beseitigt werden müssen - auch dafür reichen die Mittel aus der Leistungsvereinbarung mit dem Bund nicht aus.
Die Pensionskasse ist noch lange nicht saniert. Alle müssen ihren Beitrag leisten: der Bund, die SBB und ihre Angestellten. Das wird schmerzhaft sein.
Die Infrastruktur muss in den nächsten Jahrzehnten ausgebaut werden. Der nächste grosse Schritt - Bahn 2030 - ist aber noch nicht finanziert. Und wir wissen schon heute, dass viele Wünsche aus den Regionen unerfüllt bleiben.
Von den Auswirkungen des bundesrätlichen Sparprogramms auf den Regionalverkehr rede ich gar nicht - das trifft andere noch mehr als die SBB.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie ob all dieser Anforderungen zuweilen verunsichert sind und sich vielleicht auch fragen, ob die SBB die grossen Herausforderungen der Zukunft wirklich bewältigen kann.

Ich versichere Ihnen: sie wird.

Denn die SBB ist für viele Menschen in diesem Land eine Heimat, ein Symbol der Demokratie, ja sogar eine Schule des Lebens.

Ich illustriere Ihnen dies anhand einiger Beispiele:

Wie Sie wissen, pendle ich im Zug von Zürich nach Bern. Als ich einmal einen Auftritt in Interlaken hatte und deshalb in Bern sitzen blieb, kamen mehrere Fahrgäste zu mir und sagten: „Herr Bundesrat, wir sind in Bern, Sie müssen aussteigen."
Als ich letzthin im Ruhewagen sass und einen Fahrgast streng anblickte, der laut redete, pflanzte sich dieser vor mir auf uns sagte: „Wir leben in einer direkten Demokratie. Ich darf meine Meinung frei äussern - immer und überall!" Da wir wie gesagt in einem Ruhewagen waren, konnte ich natürlich nichts entgegnen.
Als ich einmal in Bern meine Zeitungen liegen liess, um sie nicht selber entsorgen zu müssen, rannte mir eine SBB-Mitarbeiterin auf dem Perron nach und rief laut: „Herr Nationalrat, Sie haben Ihre Zeitungen vergessen!". Seither packe ich sie jedes Mal in meine Mappe.

Das alles zeigt uns: Die SBB ist im Volk, in den Kantonen und in den Parlamenten tief verwurzelt. 

Es gibt aber tatsächlich Baustellen, die wir unbedingt beseitigen müssen. Wenn wir es nicht tun, so hat dies fatale Auswirkungen:

Wird der Unterhalt des Netzes vernachlässigt, so drohen immer mehr Langsamfahrstellen und Verspätungen - und damit der Kollaps des Taktfahrplanes
Werden die Engpässe nicht beseitigt, kann die Leistungsfähigkeit der SBB nicht einmal ansatzweise Schritt halten mit dem Wachstum bei den Passagierzahlen.
Wenn keine Doppelstockzüge zwischen Lausanne und Brig verkehren und das Angebot zwischen Bern und Zürich reduziert werden muss, müssen wir die Passagiere bald nicht mehr nur in den Zügen, sondern auch auf den Perrons stehen lassen.
Und auch der Güterverkehr verliert an Konkurrenzfähigkeit, wenn die Kapazitäten bei den Terminals nicht erhöht werden kann.

Für Politiker sind das Probleme. Für Sie als Manager sind es Herausforderungen.

Die SBB als Opfer ihres eigenen Erfolges

Die Ursache all dieser Probleme kann in einem einzigen Wort zusammengefasst werden: Erfolg.

Das tönt paradox. Aber es ist so: die SBB ist Opfer ihres eigenen Erfolges.

Denn:

Der Unterhalt der Infrastruktur ist deshalb so teuer, weil viel mehr Züge fahren als vorgesehen. Weil viel mehr Leute Zug fahren als vorgesehen. Alle Prognosen sind weit übertroffen worden. Mit Bahn 2000 hat ein neues, vertaktetes und beschleunigtes Bahnzeitalter begonnen. Der öffentliche Verkehr ist attraktiver denn je. Mehr noch: er ist der beste der Welt. Wir sind das Bahnland par excellence

Das haben die Pendler und Ausflügler gemerkt und benutzen die Bahn zu Hunderttausenden.

Auch Engpässe gibt es nur dort, wo viele Menschen gleichzeitig unterwegs sind.
Heute steigen jeden Tag 900'000 Menschen in einen Zug der SBB, um komfortabel, schnell und pünktlich an den Arbeitsplatz, an die südliche Sonne oder in die Berge zu kommen.
1980 waren es noch knapp 600'000 gewesen.

Kurz: die Nachfrage wächst seit Jahren viel schneller als das Angebot.

Die wachsende Mobilität nachhaltig bewältigen

Die Antwort darauf ist an sich einfach: Bauen wir doch einfach aus! Machen wir doch einfach die Bahnhöfe grösser, konstruieren wir doch Ausweichgleise, Unter- und Überwerfungen, Tunnels und Neubaustrecken! Das kurbelt die Wirtschaft an und sorgt dafür, dass wir die zunehmende Mobilität umwelt- und klimafreundlich bewältigen können.

Leider fehlt uns dazu etwas Entscheidendes: die Mittel. Der Bund spart an allen Ecken, um den Haushalt zu sanieren und im Lot zu halten. Deshalb wird um das vorhandene Geld gerungen.

Dabei gerät der Verkehr leider etwas unter die Räder. Ihm wird für die nächsten Jahrzehnte ein kleineres Wachstum zugestanden als etwa der Bildung.

Als Verkehrsminister habe ich da Einwände: Denn der Verkehr ist von grösster volkswirtschaftlicher Bedeutung. Gerade hat die OECD wieder betont, dass leistungsfähige und gut funktionierende Verkehrsnetze die Grundlage wirtschaftlicher Prosperität sind.

Die Bahn garantiert den inneren Zusammenhalt unseres Landes

In der Schweiz mit ihren verschiedenen Kulturen sind sie auch von grösster gesellschaftlicher Bedeutung: indem jede noch so abgelegene Region erschlossen wird, garantiert der öffentliche Verkehr die Chancengleichheit für alle Bewohner unseres Landes. Indem er die Zentren miteinander verbindet, hält er die Landesteile zusammen. Der öffentliche Verkehr ist ein Garant für Kohäsion.

Für den Ausbau des Bahnnetzes braucht es neue Einnahmequellen

Trotz dieser grossen finanziellen Engpässe ist die Lage lange nicht so düster, wie sie auf den ersten Blick scheint. Erstens leiden wir auf extrem hohem Niveau, wenn man bedenkt, wie gut unsere Bahn funktioniert, obwohl das Netz am Anschlag läuft. Bei jeder Störung gibt es ein riesiges mediales Geschrei - und das zeigt nur, wie verwöhnt wir alle sind.

Und zweitens gibt es auch bei den Finanzen durchaus Hoffnung:

Mit dem FinöV-Fonds und dem Infrastrukturfonds haben wir in der Schweiz zwei Finanzierungsinstrumente geschaffen, um die mich alle europäischen Verkehrsminister beneiden. Die NEAT, aber auch ZEB sind, unabhängig vom konjunkturellen Verlauf in den nächsten Jahren, gesichert. Und auch ein Teil des grossen Projekts Bahn 2030.
Wir werden das Bahnnetz in den nächsten Jahren stabiler und leistungsfähiger machen können. Wir müssen noch zusätzliche Quellen anzapfen und prüfen im Moment,
- ob der Kantonsanteil der LSVA-Einnahmen,
- zusätzliche MwSt-Einnahmen oder, wie zum Teil auch vorgeschlagen wird,
- eine Bahnabgabe in Frage kommt.
- Höhere Billettpreise sind vertretbar, weil die Bahnfahrer von diesen Investitionen profitieren: sie kommen weiterhin schnell, pünktlich und sicher ans Ziel.
- Im Zusammenhang mit der Finanzierung der Strasse, die ebenfalls an ihre Grenzen gelangt ist, diskutieren wir auch ein generelles Mobility Pricing. Bei den Strassen wird die Umstellung auf eine distanzabhängige Abgabe anstelle der Mineralölsteuer längerfristig unumgänglich sein, weil Autos weniger CO2 ausstossen werden, so wie wir das wollen. Die Berechnung der Abgaben bei Strasse und Schiene könnte nach den selben Prinzipien erfolgen: die Grundeinheit ist die Strecke. Je nach Passagierfrequenzen pro Strecke oder pro Tageszeit könnten diese Abgaben gestaffelt werden, um eine vernünftige Verteilung der Passagierzahlen zu erreichen und zwischen Stau und halbleeren Zügen einen Ausgleich anzustreben.
- Es kann aber keine Rede davon sein, dass sich der öffentliche Verkehr nur über Abgaben finanzieren kann. Dafür sind weiterhin Mittel der öffentlichen Hand nötig. Auch eine Verschuldung darf kein Tabu sein. Denn von Investitionen in die Verkehrsinfrastrukturen profitieren auch spätere Generationen.

Dem Verkehr muss eine angemessene Wachstumsrate von mehr als 2 Prozent zugestanden werden. Bildung ist sehr wichtig für unser Land. Aber die Schüler müssen auch an die Schulen, die Studenten an die Universitäten und die gut ausgebildeten Berufsleute an ihren Arbeitsplatz kommen - sonst stottert unsere Volkswirtschaft.

Die Bahn als Teil der Schweizer Volksseele

Ich habe es zu Beginn schon gesagt: Die Bahn ist ein Teil der Schweizer Volksseele. Wir alle sind unendlich stolz auf die Tunnels, die Brücken, den Taktfahrplan, die Pünktlichkeit und die Zuverlässigkeit der SBB. Entsprechend ist es noch immer ein Privileg, für die SBB zu arbeiten, und es gibt kaum ein anderes Unternehmen gibt, mit dem sich die Mitarbeiter derart identifizieren. Sie ermöglichen mit ihrem Einsatz, dass alle Menschen, die in unserem Land leben, gleichermassen am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen können. Deswegen werden wir immer Mehrheiten an der Urne oder in den Parlamenten finden, wenn es darum geht, den SBB die Mittel zu geben, die sie brauchen.

Ein weiterer Trumpf, der den ganzen SBB zugutekommen wird, ist der historische Durchstich des neuen Gotthard-Basistunnels am 15. Oktober dieses Jahres. Das wird ein weltweit  beachtetes Ereignis sein, mit welchem wir zeigen, dass wir die Infrastrukturen Europas bauen und damit die Architektur des ganzen Kontinentes mit gestalten. In der Verkehrspolitik ist sie solidarisch (im Gegensatz zu anderen Sektoren, wo ihr Rosinenpickerei vorgeworfen wird). Deswegen haben wir auch gute Chancen, dass wir die integrierte Bahn in den Verhandlungen mit der EU retten können.

Einsatz für das Wohl unseres Landes

Doch das ist die Aufgabe des Verkehrsministers. Ihre Aufgabe ist es, weiterhin jeden Tag dafür zu sorgen, dass es der Umwelt gut geht, dass die Wirtschaft floriert und dass die Menschen an ihre Ziele kommen. Kurz: dass es unserem Land und seinen Menschen gut geht. Mit Ihrem Einsatz tragen sie wesentlich dazu bei. Dafür beglückwünsche ich Sie.

Je Bahn desto Schweiz.

Je Schweiz desto Bahn