Sehr geehrte Frau Ministerin,
Sehr geehrter Herr Vizeminister,
Sehr geehrte Abgeordnete der Parlamente unserer Partnerstaaten und des schweizerischen Parlaments,
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Medien.

Ich freue mich, Sie hier an der Jahreskonferenz der Schweizer Ostzusammenarbeit begrüssen zu dürfen; ganz besonders die vielen Vertreterinnen und Vertreter aus unseren Partnerländern, die sich die Zeit nehmen, mit uns gemeinsam eine Zwischenbilanz über die Zusammenarbeit mit ihrem Land zu ziehen.

Ein Ziel vereinigt uns heute hier: Wir haben ein grosses Interesse daran, den Lebensstandard für die Menschen auf unserem Kontinent zu verbessern; Sicherheit zu schaffen und Chancen zu bieten für Bildung und Arbeit. Dazu leistet die Zusammenarbeit der Schweiz mit den Staaten Mittel- und Osteuropas einen wichtigen Beitrag.

Seit inzwischen 20 Jahren unterstützt die Schweiz die Staaten Osteuropas beim  Aufbau von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft. Seit drei Jahren helfen wir mit dem Erweiterungsbeitrag beim Abbau der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der erweiterten EU mit. Wir sind überzeugt, dass wir in einer globalisierten Welt nur dann den hohen Lebensstandard beibehalten können, wenn die Ungleichheiten zwischen den Ländern möglichst gering sind. Grosse Unterschiede führen zu inneren sozialen Spannungen und lösen Migration aus. Das kann nicht in unserem Sinne sein. Die Leute müssen dort glücklich sein, dort eine Existenz aufbauen können, wo sie ihre Wurzeln haben.

Diese Ziele in einer sich rasch verändernden Welt konsequent zu verfolgen, ist nicht einfach. Umso erfreulicher ist das Engagement aller europäischen Staaten (alte EU, Norwegen, Island, Liechtenstein) - auch der Schweiz - für ein besseres Wohlergehen in Europa. Thema der heutigen Konferenz ist es, das Schweizer Engagement zu durchleuchten und eine erste Bilanz des Erweiterungsbeitrags zu ziehen. Mir stellen sich folgende vier Fragen:

Was ist der Stellenwert des Erweiterungsbeitrags in unseren Beziehungen mit der EU und den neuen EU-Mitgliedstaaten?
Wie sieht es mit der Umsetzung des Erweiterungsbeitrags vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise aus?
Wie haben sich die wirtschaftlichen Beziehungen zu den neuen EU-Staaten entwickelt und welche Rolle spielt dabei der Erweiterungsbeitrag?
Und wie steht es um unsere Beziehungen mit den Partnerländern des Erweiterungsbeitrags im Allgemeinen

Was ist der Stellenwert des Erweiterungsbeitrags in unseren Beziehungen mit der EU und den neuen EU-Mitgliedstaaten?

Der Erweiterungsbeitrag ist ein wichtiges Instrument sowohl unserer Europapolitik als auch unserer Beziehungen zu den neuen EU-Mitgliedstaaten.  Denn die Osterweiterung der EU liegt in unserem eigenen Interesse, fördert sie doch genau die angestrebte Stabilität und den Frieden auf dem Kontinent.
Diesem Grundgedanke folgend hat eine Mehrheit der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in der Referendumsabstimmung 2006 auch Ja zum Erweiterungsbeitrag gesagt. Ende 2009 hat das Parlament dem Erweiterungsbeitrag zugunsten der zwei jüngsten EU-Mitglieder, Bulgarien und Rumänien, mit grosser Mehrheit zugestimmt. Vor zwei Monaten (7.9.2010) haben wir mit diesen beiden Staaten die Rahmenabkommen unterzeichnet.

Wie sieht es mit der Umsetzung des Erweiterungsbeitrags vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise aus?

Die meisten unserer Partnerländer sind durch die Finanz- und Wirtschaftskrise schwer getroffen worden. Disparitäten zwischen den EU-Mitgliedstaaten können wieder grösser werden, ebenso wie die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte innerhalb der Länder. Wir aber halten an unseren Zielen fest:

Ungeachtet der Wirtschaftskrise werden wir das Ziel erreichen und in Polen, der Slowakei,
Tschechien und Ungarn mindestens 40% der Mittel in den strukturschwachen östlichen Regionen einsetzen.
Mit den KMU-Programmen in Lettland, Polen, Tschechien und Ungarn können wir den Zugang von KMU zu langfristiger Finanzierung verbessern und so die Folgen der Finanzkrise mildern.
Dank den Programmen, die über Nichtregierungs-Organisationen laufen, fliessen insgesamt 43 Millionen Franken in Projekte zur Förderung der Gesundheit, der sozialen Wohlfahrt und zum Schutz der Umwelt.
Mit den Projekten im Bereich Energie und Klima setzen wir rund einen Viertel des Erweiterungsbeitrages ein und leisten so einen Beitrag zum Klimaschutz. Heute dürfen wir - trotz gewisser Anfangsschwierigkeiten - eine positive Zwischenbilanz ziehen. Nach rund 3 ½ Jahren, d.h. nach ca. einem Drittel der Wegstrecke, haben wir 84 Projekte definitiv und 74 Projekte provisorisch genehmigt. Dies entspricht 80% des Projektbudgets. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass die zugesagten Mittel von einer Milliarde Franken wie vorgesehen bis Mitte 2012 verpflichtet werden können.
 Fazit: Unsere Zusammenarbeitsprogramme sind durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bisher noch kaum beeinträchtigt worden. Ich bin zuversichtlich, dass dies so bleiben wird, da die Partnerregierungen den geplanten Projekten nach wie vor höchste Priorität beimessen.

Wirtschaftliche Beziehungen zu den neuen EU-Staaten - Rolle des Erweiterungsbeitrags

Erfreut stellen wir fest, dass die Erweiterung der EU zu einem viel versprechendem Wachstumspotenzial geführt hat. Dies wird durch die rasche Zunahme unserer Exporte und Direktinvestitionen belegt.

Mit Polen haben wir heute einen so regen Warenaustausch (Handelsvolumen 2009 ca. 3 Mrd. CHF) wie mit Russland, Kanada, Brasilien, der Türkei oder Indien.
Unser Handelsvolumen mit allen EU-10 Staaten zusammen beläuft sich auf mehr als 10 Mrd. Franken (2009) und entspricht damit demjenigen mit China.
Innerhalb von fünf Jahren nach der ersten EU-Osterweiterung, d.h. im Zeitraum 2004 bis 2008, haben sich unsere Direktinvestitionen in den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten mehr als verdoppelt (von ca. 6,6 Mia. CHF auf ca. 14 Mia. CHF).

Auch viele Schweizer Firmen haben den Marktzugang in die neuen EU-Staaten, der durch die bilateralen Verträge mit der EU erleichtert wurde, gut genutzt. Der Erweiterungsbeitrag und noch stärker die Geschäftsmöglichkeiten im Rahmen der EU-finanzierten Kohäsionspolitik haben einige Schweizer Firmen zusätzlich motiviert, ihre Präsenz in den neuen EU-Mitgliedstaaten zu verstärken. Bemerkenswert ist, dass nicht nur grosse Schweizer Unternehmen Aufträge aus EU-finanzierten Projekten erhalten haben. Auch kleinere Unternehmen sind zum Zuge gekommen. Dazu zwei Beispiele:

In Litauen hat ein Schweizer Ingenieurunternehmen zwischen 2006 und 2010 15 Aufträge für die Projektierung und Erstellung von technischen Dokumentationen im Rahmen von Umwelt- und Infrastrukturprojekten bekommen. Die Projekte wurden durch den Kohäsionsfonds und den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung unterstützt.
In Polen erhielt eine auf die Beschichtung von Oberflächen spezialisierte Schweizer KMU kürzlich den Auftrag für die Lieferung des Prüfstands für Plasma-Oberflächenbehandlungen in einem Labor der Technischen Hochschule Rzeszow. Die Lieferung wird über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert.

Das SECO hat Kenntnis von weiteren 20 Schweizer Firmen, die Aufträge von insgesamt ca. 200 Millionen Franken aus EU-finanzierten Vorhaben erhalten haben. Schweizer Unternehmen haben nicht nur direkt oder als Unterakkordanten Aufträge aus EU-finanzierten Projekten bekommen. Eine grössere Anzahl hat in unseren Partnerstaaten auch von Fördermitteln der EU profitieren können, zum Beispiel von Subventionen

für die Schulung der Mitarbeitenden,
für die Einführung von innovativen Technologien,
für Energiesparmassnahmen oder
für die Produktionserweiterung.

Interessant ist, dass der Grund für Direktinvestitionen in fast allen Fällen nicht beim Zugang zu Fördermitteln lag. Entscheidend waren Standortfaktoren wie die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, die Nähe zu den Kunden, wie zum Beispiel der Automobilindustrie, sowie Steuervorteile und günstiger Landerwerb. 

Allgemeine Beziehungen mit den Partnerländern des Erweiterungsbeitrags

Der Erweiterungsbeitrag hat nicht nur zu einer Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und den EU-10 Staaten geführt. Die Schweiz und die neuen EU-Mitgliedstaaten sind sich in den letzten Jahren ebenfalls deutlich näher gekommen.
Auf politischer Ebene haben die Kontakte zugenommen. Unsere Botschaften haben ihr lokales Beziehungsnetz ausbauen und so die Interessen der Schweiz noch besser vertreten können.
Erfreulich sind auch die zahlreichen neuen Partnerschaften zwischen den Partnerländern und der Schweiz. Dazu zwei Beispiele:

Die Richtervereinigungen Estlands und der Schweiz haben im vergangenen September ein gemeinsames Fachseminar über die Vollstreckung von Gerichtsurteilen durchgeführt.
Beim Projekt der polnischen Regierung zur Zusammenführung der Migrationsdienste werden das Bundesamt für Migration und das Bundesamt für Polizei eine Partnerschaft mit den polnischen Behörden eingehen, um den Erfahrungsaustausch und die fachliche Unterstützung zu institutionalisieren.

Schliesslich gilt es auch, die verstärkte Zusammenarbeit im Bildungs- und Forschungsbereich zu erwähnen, welche über das Stipendienprogramm und die Finanzierung von gemeinsamen Forschungsprojekten ermöglicht wird.

Die Schweiz wird in den nächsten Jahren mit einem Beitrag von über 40 Millionen Franken Forschungsstipendien für Forscherinnen und Forscher aus zehn Ländern an Schweizer Hochschulen ermöglichen.
Eine Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich und dem Institut für experimentelle Medizin der ungarischen Akademie für Wissenschaften konnte aufgebaut werden. Das gemeinsame Projekt erforscht das Empfinden von chronischem Schmerz und schafft die Grundlage für die Entwicklung von Medikamenten mit weniger Nebenwirkungen.

Es gilt das gesprochene Wort !

Das Ziel – ein lebenswerter Kontinent