Den Gratulationen zum Jubiläum schliesse ich mich an. Das Team unter den Gründervätern Emil Ramsauer und Martin Rutz hat eine unternehmerische Leistung erbracht, die im Kanton Appenzell-Ausserrhoden ihresgleichen sucht. Für mich hat das Team etwas den Pionier- und Siegergeist der berühmten 'Alinghi'.  Warum?
Das Erfolgsgeheimnis von 'Alinghi' war, das beste Material und die optimal eingespielte Crew in den unberechenbaren Winden und in der manchmal davon abweichenden Meeresströmungen zu kombinieren und sodann Mast und Segel richtig zu setzen. Im übertragenen Sinne ist die Rheinburg-Klinik das Ergebnis einer solchen Kombination; das überdies im Angesicht von Rhein und Bodensee.

Ich möchte bei diesem Bild noch etwas verweilen und also nachfolgend von den wechselnden Winden und von den kräftigen Wasserströmungen sprechen, denen die 'Rheinburg' ausgesetzt war und exponiert bleiben wird. Es ist nämlich die Drift unseres Wohlfahrtsstaates. Seine Berechtigung auch im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft ist unbestritten. Aber seine Entwicklung gibt zu denken.

Der Bund gibt jährlich 52 Mia Franken aus. Es ist nützlich, sich die Zahl für spätere Vergleiche zu merken. Diese 52 Mia sind das, was wir bereit sind, für Leistungen des Bundes auszugeben. Aber sie sind nur ein Teil der Gesamtkosten unseres Wohlfahrtsstaates. Der Bund führt direkt oder indirekt 10 Sozialversicherungen. Diese geben jährlich 104 Mia Franken aus. Der Bund beteiligt sich daran mit 14 Mia.

Bei vielen Sozialversicherungen haben innert weniger Jahre sowohl die Anzahl Leistungsbezüger wie die Leistungen selbst markant zugenommen. Die Gründe dafür sind weitgehend bekannt. Sie haben mit Demographie, Invalidisierungen, Aufenthaltskosten, Krankenkassenprämien zu tun.

1990 haben 1,7 Mio Menschen AHV, IV oder ALV bezogen, 2003 sind es 2,4 Mio. Das ist eine Zunahme von über 40%. 1996 bei der Lancierung haben 1,6 Mio Prämienverbilligung bezogen. 2003 waren es über 2,4 Mio Menschen.

Der durchschnittliche Zuwachs an Bezügerinnen und Bezüger betrug pro Jahr bei der AHV 2%, bei der IV 4%, bei den EL 3,1 %, bei der AKV 14% sowie bei den Prämienverbilligungen 6,6%. Heute erhalten somit allein aus diesen 5 wichtigen Versicherungen 4,8 Mio Einwohnerinnen und Einwohner Leistungen ausgerichtet. Das sind also 2/3 unserer Gesamtbevölkerung; wobei gewisse Doppelzählungen eingeschlossen sind. Dennoch: Innert einer Generation ist die Anzahl der Bezüger geradezu explodiert.

Das Wachstum der Bevölkerung, der Arbeitskräfte und vor allem der Steuerzahlenden verlief demgegenüber zwischen 1990 und heute gemächlicher.
1990 betrug die Zahl der Steuerzahlenden 2,6 Mio, bis 2003 wuchs sie auf 2,8 Mio.
Fazit: Eine knapp zunehmende Zahl von Menschen finanziert immer mehr Leistungsempfänger. Kein Wunder, sind daher nicht alle Ausgaben gedeckt. Es fehlt an Geld. Teils nehmen darum die Schulden zu (in der IV betragen sie bald 10 Mia), teils sparen wir in anderen Aufgabengebieten, vor allem auch bei der Landwirtschaft, der Armee und beim Verkehr.

Wie aber soll es weitergehen?

Finanzpolitisch ist der Ernst der Lage erkannt worden. Die erste Hälfte der Legislatur ist dementsprechend befriedigend verlaufen. Für die nächsten beiden Jahre bis Ende Legislatur hat der Bundesrat einen schuldenbremsenkonformen, sprich ausgeglichenen Finanzplan verabschiedet. Damit wird uns endlich die Stabilisierung des Bundeshaushalts gelingen.

Aber es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Es stehen nämlich bereits wieder eine Reihe von Projekten und Risiken ausserhalb des Finanzplans an. Im Total handelt es sich:

um ausserordentliche Altlasten von 5 Mia. Das sind offene Forderungen aus dem Systemwechsel des Finanzausgleichs, dann Mineralölsteuer-Mittel für Verkehrs-Investitionen und sodann noch immer Ausfinanzierungen von Pensionskassen des Bundes und bundesnaher Unternehmen;
um jährlich wiederkehrenden Finanzbedarf von rund 3 Mia im Zusammenhang mit steuerlichen und sozialpolitischen Vorlagen, die derzeit unterwegs sind.

Gemeinsam ist all diesen Projekten und Risiken, dass jeweils starke Stimmen und Lobbys fordern, der Bund solle für deren Finanzierung geradestehen. Würde dies tatsächlich geschehen, so näherten wir uns erstens innert weniger Jahre mit Siebenmeilenstiefeln der Schuldenmarke von 150 Mia und würde zweitens die Bundeskasse aus dem Gleichgewicht geworfen. Noch schärfer formuliert: das Korsett für unsere Bundespolitik würde derart eng, dass wir in Atemnot kämen.

Daher müssen wir Gegenmassnahmen treffen. Im Vordergrund steht die konsequente Anwendung der Schuldenbremse. Dieses vom Volk mit über 80% Ja-Stimmen angenommene Instrument schreibt vor, zuerst die Einnahmen zu ermitteln, dann die Ausgaben zu planen und diese beiden sodann im Gleichgewicht zu halten. Die Schuldenbremse hat sich bisher bewährt.

Sodann dürfen in dieser finanzpolitisch fragilen Zeit keine Ausgaben und keine Mindereinnahmen mehr beschlossen werden ohne Gegenfinanzierung. Ansonsten machen wir nichts anderes, als in der jetzigen Legislatur das Grab der Schuldenbremse für die nachfolgenden Jahre zu schaufeln. Die Einführung des Finanzreferendums beim Bund sowie der Investitionsrechnung werden als weitere Instrumente derzeit geprüft.

Nun zurück zum Wohlfahrtsstaat. Wir sprechen genau genommen vom Staat in zwei verschiedenen Rollen, nämlich einerseits als dem Gesetzgeber für die Sozialwerke, und anderseits aber auch als der teilweisen Finanzierungsquelle (übrigens zusammen mit den Kantonen) für diese Einrichtungen. Die Gesamtausgaben der Sozialversicherungen betragen 104 Mia pro Jahr, sind also genau doppelt so gross wie die Bundesausgaben.

Der AHV/IV-Fonds steht wegen seines immensen Finanzierungsbedarfs von jährlich zusammen 40 Mia vor ähnlich grossen Herausforderungen wie der Bundeshaushalt:

Erstens haben wir auch hier einmalig anfallende Altlasten. Die Tilgung eines Schuldenberges von sicher 11 Mia steht an. Dieser setzt sich zusammen aus der Sanierung der mit fast 10 Mia hochverschuldeten IV und wiederum aus NFA-Altlasten.
Zweitens geht es um wiederkehrende Mehrausgaben für die AHV vorwiegend aus demografischen Gründen. Die Realen Rentenausgaben dieses Sozialwerkes steigen jährlich um über 500 Mio.

Bei der AHV akzentuiert sich bis in den Zeitraum 2030 -2040 das Demographieproblem. Auf einen Rentner entfallen immer weniger Beitragszahlende. Über Lohnbeiträge wird die AHV somit nicht mehr im Gleichgewicht zu halten sein. Das durchschnittliche reale Wachstum der AHV-Ausgaben von 2005 bis 2020 liegt auf ca. 2,2% pro Jahr, also deutlich über dem geschätzten Trendwachstum des BIP von bis 1,5 Prozent. Das bisher notdürftig zugedeckte Finanzloch der AHV wird in der Politlandschaft noch tiefe Furchen ziehen.

Bei der IV ist der Handlungsbedarf am Nötigsten. Heute werden pro Tag 70 zusätzliche Personen neu invalidisiert. Mittlerweile bezieht jeder Zwanzigste unseres Landes eine IV-Rente.

Bei den Ergänzungsleistungen ist mit einem ungebrochen hohen Wachstum der Ausgaben von mehreren Prozenten pro Jahr zu rechnen. Bedeutend ins Gewicht fallen werden die weiterhin stark steigenden Heim- und Pflegekosten. Auch der Trend zu vermehrter Armut (working poor, etc.) dürfte sich bei den EL Kosten treibend auswirken.
Bei den individuellen Prämienverbilligungen ist mit weiterhin stark steigenden Gesundheitskosten wegen der Demographie, der hohen Ärztedichte und dem medizinischen Fortschritt zu rechnen. Dies wird sich unweigerlich auch auf den Anspruch auf die Prämienverbilligungen auswirken. Die Bezügerquote lag 1996 noch bei 23%; 2002 schon bei 33%. Verläuft die Entwicklung so wie bis anhin, wird gemäss Avenir Suisse eine Mehrheit der Schweizer ab 2014 vom Staat unterstützt. Eine Mehrheit im Lande wird innert wenigen Jahren ihre Krankenkassenprämie nicht mehr nur selber zahlen.

Ich habe bisher in meinen Betrachtungen die zweite Säule weggelassen. Wir sind mit der beruflichen Vorsorge aber auch nicht über dem Damm. Das ganze System wird durch die Demographie derart belastet, dass der Umwandlungssatz (das ist die Umwandlung des Alterskapitals in Renten) kontinuierlich gesenkt werden muss. Auch führen die zunehmenden Invalidisierungen in der 2. Säule zu finanziellen Problemen. Dann bestehen Finanzierungsschwierigkeiten bei vielen öffentlich-rechtlichen Kassen. In der Vergangenheit wurden Beiträge nicht voll einbezahlt, was zu Deckungslücken führte.

Was ist zu tun?

Meine Ausführungen sind Besorgnis erregend. Sie sind kein Teesatz- oder Eingeweidelesen. Sondern sie beruhen auf den in der Bundesverwaltung aufgearbeiteten Perspektiven der Sozialversicherungen. Das Departement meines Kollegen Couchepin hat den Finanzmehrbedarf für unsere Sozialversicherungen bis ins Jahr 2025 mit 7,7% zusätzlichen Mehrwertsteuerprozenten errechnet! Das entspricht einem durchschnittlichen realen Finanzmehrbedarf von rund 21 Mia. Franken pro Jahr. Davor graut mir. Diese Zahlen - das darf ich heute in einer Klinik sagen - bereiten Bauchschmerzen. Sie belegen in aller Deutlichkeit die Finanzierungsproblematik im Sozialversicherungsbereich.

Angesichts all dieser Tatsachen und Ausgabenexplosionen im Wohlfahrtstaat verstehe ich nicht, wie in diesem Land behauptet werden kann, seit Jahrzehnten würde ständig Sozialabbau betrieben. Ich verstehe genauso wenig, wie man noch immer Leistungsausweitungen fordern kann. Ich denke an die Volksinitiative "Für faire Kinderzulagen", die eine Kinderrente von 450 Fr. pro Monat verlangt oder an die Volksinitiative "für ein flexibles AHV-Alter ab 62". Beides ist unfinanzierbar!
Wir waren bisher nicht untätig. Wir müssen handeln. Erste Massnahmen sind im Trockenen. Im Rahmen der Aufgabenentflechtung zwischen Bund und Kantonen haben wir Klärungen vorgenommen. Das Volk hat mit der NFA beispielsweise dem Bund die alleinige Zuständigkeit für die individuellen Leistungen der AHV und IV und den Kantonen diejenige für die Behindertenheime übertragen. Dadurch wurden Verantwortlichkeiten klarer definiert. Es kommt zu Effizienzgewinn.

Weiter ist der dem Bund zustehende Erlös des nicht mehr benötigten Goldes der Nationalbank im Wert von etwa 7 Milliarden Franken noch nicht verteilt. Es gibt Bestrebungen, diesen Ertrag dem AHV/IV-Fonds zu übertragen, was mehr als nur Sauerstoff für die Sozialversicherungen wäre. Allerdings regelt dies keines der strukturellen Probleme. Weitere Massnahmen sind nötig.

Nach dem Nein des Volkes im Mai 2004 zur Mehrwertsteuererhöhung bereitet das EDI  zur Zeit die richtigen massvollen Vorhaben vor. Neben der Erhöhung des AHV-Rentenalters der Frauen von 64 auf 65 liegt der Hauptpunkt der Revision bei der Schaffung von Überbrückungsrenten.

Im Rahmen der 5. IV-Revision schlägt der Bundesrat dem Parlament ebenfalls konkrete Massnahmen vor. Ziel ist es, den Zuwachs bei den IV-Renten gegenüber heute zu bremsen. Es sind schwierige und schmerzhafte Beschlüsse zu fassen. Auch Leistungen sind zurückzufahren. Es freut mich, dass sich neulich die Präsidenten der Bundesratsparteien für die Reform gemäss Vorschlag des EDI ausgesprochen haben. Die Parteien haben angesichts des Leidensdrucks in der IV das Kriegsbeil begraben.

Neben all diesen eher versicherungspolitischen Massnahmen müssen wir aber vor allem eine alte Tugend unseres Landes wieder neu beleben, nämlich die Eigenverantwortung. Früher hat man im Flugzeug den Gebrauch der Sauerstoff-Maske mit einem Hinweis ergänzt, Erwachsene sollen sich zuerst selber schützen und erst danach den Kindern die Maske anziehen. Das Bild war und ist eine Einheit: dem starken Erwachsenen muss man das Überleben sichern. Nur so ist er in der Lage, sich des Schwachen auch anzunehmen. Die Eigenverantwortung will, dass wir uns zuerst uns selber annehmen. Die grosse Schwäche des Sozialismus besteht in der stetigen Umkehr dieser Strategie. Man sucht fortwährend jene zu schwächen, welche dem Schwachen noch helfen können. Und die grosse Schwäche des Egoismus besteht darin, dass er sich in der Rechtfertigung von Individualität und Eigeninteresse erschöpft. Nötig ist vielmehr die Erziehung zur Selbstverantwortung: unser Schul- und Bildungssystem, der allgemeine Milizbegriff, aber auch der Vorsorgegedanke müssen allem voran bei der Eigenverantwortung ansetzen. Eigenverantwortung und Solidarität gehören in dieser Abfolge sodann zusammen.

In der Politik wird der Bürger noch immer als ein Wesen wahrgenommen, dem man eher Wohltaten versprechen als Belastungen zumuten sollte, wenn man Wahlen gewinnen will. Damit gibt man heute implizit allen Jungen den Tipp: Verprasst Euer Geld. Im Alter stehen die Behörden dann schon da. Nur: es werden nicht mehr die Heutigen sein, unsere Generation, die quasi rechenschaftspflichtig wird, sondern es werden die dannzumaligen Verantwortlichen sein, die unser Erbe übernehmen müssen.

Lassen Sie mich zum Anfang zurückkehren. 'Alinghi' ist der sportliche Beweis dafür, dass sich ein optimales Einspielen und Zusammenarbeiten von Können, Wissen. Material und Geschick trotz wechselnden Winden, bei hohem Seegang und gegen feindseligen Strömungen siegreich behaupten kann. 'Alinghi' ist für mich das Stichwort für den Erfolg oder zu uns: die Art und Weise, wie die 'Rheinburg' sich den erschwerenden  klimatischen Umweltbedingungen stellt, entscheidet über  den zukünftigen Erfolg. Bisher ist das dieser Crew  herausragend gelungen. Ich wünsche Euch von Herzen den anhaltenden Erfolg zum Wohl unseres Gesundheitswesens.

Hinweis: Die ursprünglich publizierte Version des Textes ist nachträglich angepasst worden

Wohlfahrtstaat und Finanzen