Wenn ich in die Runde blicke: Das gewohnte Bild. Eine  modisch gekleidete Zuhörerschaft. Vom Äusseren betrachtet kann man die vertretenen Berufe und Berufungen kaum voneinander unterscheiden; ein erwartungsvolles Auditorium in anfänglich gespannter Aufmerksamkeit. Nach zehn Minuten kommt aus, was ankommt. Der Titel des Referates ist derart unverbindlich, dass alles möglich ist, auch das Gegenteil.

Das Ganze gleicht einer hochkarätigen Vernissage, wo ebenfalls nicht sichtbar ist, wer Künstler, wer Gallerist, wer Auktionator, wer Kunstkritiker, wer Museumsdirektor, wer Journalist und wer einfache, womöglich Eintritt bezahlende Besucherin oder Besucher ist.
Man könnte Sie zur besseren Kennzeichnung mit Farbtäfelchen am Revers oder an der Bluse versehen und zum Beispiel die Verleger mit 'grün' markieren, die Journalisten mit 'rot', die Drucker mit 'grau', die Fotografen mit 'blau' und die Gäste mit 'orange', alle diese Farbgebungen ohne Gewähr und ohne politische Hintergedanken.

Gestatten Sie mir nun, die Bemerkungen des Finanzministers an die verschiedenen Farbgruppen zu richten. Ich beginne 'grün' mit den
Verlegern, damit ich den schwersten Brocken gleich zu Beginn hinter mir habe.

Viele Berufe und die meisten Branchen sind sowohl horizontal wie vertikal integriert. Sie bewegen sich also in vor- und nachgelagerten Produktions- oder Dienstleistungsketten und sodann im Wettbewerb der Mitbieter untereinander. Das ist grundsätzlich nichts Neues. Ein unverdächtiges, aber für einen Appenzeller typisches Beispiel waren die mittlerweile ausgestorbenen Gremper. Diese holten einst auf den Alpen jeweils die Käse ab, transportierten sie ins Tal und vermarkteten sie dort anschliessend. Sie vermittelten mit anderen Worten zwischen Hersteller und Konsumenten. Converter nahmen in der Textilkette eine ähnliche Stellung ein.

Meine erste ernsthafte Erfahrung mit der vertikalen Integration des Verlegerberufes war eine seltsame, nämlich die mehrteilige Kette eines pornografischen Zeitschriftenproduktes von der Darstellerin über den Fotografen, den Drucker, den Verleger, den Kiosk bis zur Leserschaft. Eines Tages kreuzte ein Staatsanwalt an einem Kiosk auf und zeigte die ebenso verblüffte wie verängstigte Verkäuferin wegen Übertretung von Art. 197 Strafgesetzbuch "Verbreitung von Pornographie" an. Warum gerade mich? fragte sie, und nicht die anderen, angefangen bei der schamlosen Nackedei, und wenn mich, warum nicht unsere Direktion oder den Verwaltungsrat? Und genau in jenem Gremium sass ich damals. - Von hier aus liesse sich der Gedankenfluss in mehrere Richtungen ausweiten, die Ihnen bestens geläufig sind: Medienrecht und Medienethik. Das Thema ist - man ist versucht zu sagen glücklicherweise - unerschöpflich. Was ist Recht, was ist rechtswidrig? Wer trägt für was die Verantwortung? Was ist schön, was hässlich? Wo es Ehre gibt, da gibt es immer auch Verdruss.

Ich möchte indessen beim wirtschaftlichen Aspekt verweilen. Die genannten Branchen unterliegen auch ökonomischen Zwängen. Die Kasse des Fotomodels, das sich für die Aufnahmen hergibt, und die Bilanz des Verlegers, der das Heftchen drucken lässt und es vermarktet, sehen nicht gleich aus, und die Motive der Konsumierenden solcher Literatur sind wohl eher ausserhalb des Betriebswirtschaftlichen zu suchen.

Nicht nur das: Verleger haben sogar mehrere Bilanzen, nämlich jene als Herausgeber, jene als Arbeitgeber und Sozialpartner, jene als Wirtschaftssubjekte und jene als Objekte unserer Gesellschaft. Jedes mal sieht die Rechnung anders aus.
Das tönt alles sehr lehrbuchhaft und trocken; ist es auch. Aber Verleger sind Unternehmer. Sie müssen ihre Ressourcen optimieren. Sie sind letztlich auch Steuerzahlende. Sie zahlen zuerst Kapitalsteuer, dann meist auch Gewinnsteuer, für gewisse Produkte entrichten sie Mehrwertsteuern. Darüber hinaus entrichten sie Abgaben und Gebühren. Am Ende des Geschäftsjahres zahlt der Verlagsaktionär nochmals Einkommenssteuern, nämlich auf den Dividenden. Bei Unternehmensverkäufen oder Liegenschaftsübertragungen werden ebenfalls Steuern fällig. Doppelbelastungen werden zu Recht als störend empfunden. Sie sollen deshalb im Rahmen der bevorstehenden Unternehmenssteuerreform II neu geregelt werden. Die Druck- und Verlagsbranche zahlt einen gewichtigen Beitrag an Steuern. Allein im Bereich der Mehrwertsteuer haben sie im Jahr 2003 rund 230 Millionen an den Bund abgeliefert. Dafür danke ich Ihnen herzlich. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag an Staat und Volkswirtschaft.

Verleger sind aber auch Subventionsbezüger bzw. Nutzniesser von Finanzhilfen und Abgeltungen. In der Staatsrechnung des Bundes finden sich mehrere Rubriken, welche direkt oder indirekt einen engen Bezug zum Druck-, Verlags- und Pressewesen haben, so die Abgeltungen für  Zeitungstransporte (80 Mio), für Nationale Wörterbücher (3,9 Mio), für Buchausstellungen im Ausland (0,6 Mio), für das EU-Programm MEDIA (2,8 Mio), für die Aus- und Weiterbildung Programmschaffender und Medienforscher (1,9 Mio), zur Förderung der Kinder- und Jugendliteratur (0,9 Mio). Staatliche Unterstützung erhalten auch Presse-TV (12 Mio) und im Rahmen des Gebührensplittings die privaten Radio- und Fernsehstationen (ebenfalls 12 Mio). Letzteres wird bei Annahme des RTVG auf 45 Mio steigen. Privilegiert sind die Verlage auch bei der Mehrwertsteuer: Bücher, Zeitungen und Zeitschriften unterliegen dem ermässigten Satz von 2.4%. Mit dem für 42 Mio erstellten Medienhaus  schliesslich stellt der Bund den Bundeshausjournalisten ab 2006 gratis Arbeitsplätze an allerbester Lage weiterhin gratis zur Verfügung. Sie sehen: Der Bund sorgt sich also auch für die Schweizer Presse.

Keine Subventionen finden sich dagegen unter der Rubrik 'Fürsorge', trotz gelegentlichen Jammerns über schwindende Erträge. Bussen für Ehrverletzungsurteile können sodann nicht unter der Rubrik 'Elementarschäden' zurückerstattet werden; ebenfalls nichts zu holen ist unter dem Titel ,Verbrechensopfer' für übernommene Unternehmen angesichts wachsender Marktaggressivität. Der Bund zahlt ebenfalls keine ,Erschliessungbeiträge' für neue Märkte oder Produkte, aber auch journalistische Höhenflüge werden nicht unter der Rubrik 'Raumfahrt' unterstützt. Kein Beitrag ist sodann budgetiert an die 'Abfallentsorgung' für missratene Zeitungsartikel, kein Beitrag zur 'Erhaltung der Biodiversität', sprich seltener Arten von Zeitungsenten.

Doch im Ernst: Unkenrufen zum Trotz wird sich die Unternehmenssteuerreform gerade für die meist als KMU daherkommenden Druck- und Verlagsunternehmen entlastend und damit positiv auswirken. Sowohl die Milderung der wirtschaftlichen Doppelbelastung als auch die Anrechnung der Kapital- an die Gewinnsteuer wie drittens die Beseitigung von sogenannten Ärgernissen werden sich spürbar ausnehmen. Die Unternehmenssteuerreform II setzt im Übrigen vor allem bei den Kantonen an, stehen diese doch ihrerseits in einem durchaus gesunden Wettbewerb um günstige Unternehmensstandorte. Die Mindereinnahmen für Bund und Kantone werden je nach Ausgestaltung der Reform deutlich über 1 Milliarde Franken betragen. Hier von einem Minireförmchen zu sprechen, ist reichlich herablassend.

Profitieren würden die 4346 steuerpflichtigen Hersteller von Verlags- und Druckerzeugnissen auch von einer radikal vereinfachten Mehrwertsteuer. Die ideale Mehrwertsteuer sieht die Abschaffung aller 25 Ausnahmen und die Einführung eines Einheitssatzes vor. Von Bedeutung ist für Ihre Branche in erster Linie der Einheitssatz.

Als Zeitungsverleger könnten Sie es sich künftig ersparen, die Erträge auf Inserate-Einnahmen (Normalsatz) und Einnahmen aus dem Verkauf der Zeitungen (reduzierter Satz) aufteilen zu müssen.
Sie müssten bei einem Druckerzeugnis nicht mehr Seiten zählen oder den Inhalt überprüfen. Heute entscheidet die Seitenanzahl - mindestens 16 - oder der Werbecharakter über den reduzierten bzw. den Normalsatz. 
Sie müssten beim Druck eines Kalenders nicht mehr darauf achten, ob es sich um einen Abreisskalender oder einen Kalender in Buchform handelt, um ihre Mehrwertsteuerabrechnung korrekt zu machen.
Und es würde auch keine Rolle mehr spielen, ob sie einen Versandhauskatalog oder einen Roman drucken.

Nicht zuletzt würde auch die Vorsteuerseite zu einer administrativen Vereinfachung führen, denn jede Leistung, die Sie beziehen, wäre dann mit dem Einheitssatz belastet.

Was kann der Staat sonst zur Entwicklung des Verlags- und Pressewesens beitragen? Die Antwort kennen Sie:

Die Garantie und den Schutz der verfassungsmässigen Freiheiten
Ein bodennahes Medienrecht
Die Infrastruktur (Informations- und Kommunikationstechnologie, Transport, Verkehr)

für die effiziente Verbreitung von Presse-Erzeugnissen. Direkte Förderung ist allerdings immer strukturerhaltend, weshalb sie aus ordnungspolitischen Gründen abzulehnen ist.
Im Gegenzug hege ich die Hoffnung, dass Sie die Gesetze des Marktes und des fairen Wettbewerbs spielen lassen, dass Sie zur Meinungsvielfalt in unserem Land weiterhin Sorge tragen und dass Sie auch künftig bereit sind, in die Aus- und Weiterbildung Ihrer Kader und Journalisten zu investieren. Denn letztlich verkaufen sich Ihre Produkte über den Inhalt. Und Qualität hat ihren Preis.

Ich komme zu den 'Grauen', den Druckern. Ihre Welt ist noch stärker dem Betriebswirtschaftlichen verhaftet. Mit Ihnen kann man über das Rechnungswesen Klartext sprechen. Sie wissen, was eine Bilanz ist. Sie kennen die Instrumente der Unternehmensführung von der Herstellung bis zum Marketing aus dem Effeff. Die einst beschauliche Typenbranche, noch bis weit nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Bleisatz unterwegs, gehört zu den am stärksten revolutionierten Branchen. Wer nicht den Mut hatte zu investieren und sich die Errungenschaften der Informationstechnologie zunutze machte, ging unter. Sie denken in Auflagen, Aufträgen, Aufmachungen.

Als nächstes wende ich mich an die Gruppe mit den 'roten' Plaketten. Sie sind
Journalistinnen und Journalisten und Sie haben es nicht leicht in Ihrem Berufsleben. Aber wir Bundesräte mit Ihnen auch nicht.

Sie werden jetzt vermutlich jene berühmte Gratwanderung erwarten, die  mit Hinweisen wie 'Symbiose' oder gar 'Schicksalsgemeinschaft' ausgeschildert ist. Doch gemach, ich werde diese - ein klein wenig Buddha in meinem Herzen - nicht antreten, sondern bei dem von Ihnen verabreichten Image als Rappenzeller, Erbsenzähler, Kassenwart der Nation bleiben.

Kürzlich beschrieb ein ehemaliger Berufskollege von Ihnen unter dem Titel 'Ferien auf den Bauernhof' seinen Ausstieg aus dem Journalismus wie folgt:
'Früher weckte mich am Morgen der Brechreiz. Damals war ich Redaktor bei einer Wirtschaftszeitung. Es war ein hartes Leben. Ich musste gute Geschichten produzieren und ins Blatt rücken, mich durchsetzen gegen die interne Konkurrenz. Wenn ich heute erwache, zwitschern die Vögel, und die Kuhglocken läuten. Ich bin jetzt Bauer, genauer: Bergbauer im Unterengadin. Das Bauernleben ist schön.

Gut, die Vögel zwitschern früher als in meinem alten Leben. Ausschlafen liegt nicht mehr drin. Dafür bin ich jetzt Melker, Käser, Gemüse- und Getreidebauer, Metzger und Marketingfachmann. Trotzdem ist das Bauern viel lockerer als mein alter Job.'
Bitte verstehen Sie mich richtig, ich möchte Ihnen nicht den Ausstieg aus dem Beruf und das Bauern empfehlen, mich gleichsam auf diese Weise aus der Schusslinie nehmend und eine unbequeme Partnerschaft loswerden. Aber Ihr ehemaliger Kollege hat etwas Wichtiges getan, nämlich: Bilanz gezogen.

Es ist kein Verstoss gegen Gesetze der Betriebswirtschaft noch der intellektuellen Redlichkeit zu sagen, dass auch ein Land bilanzierbar ist, und zwar vom Bürogummi des Verwaltungsvermögens bis zum immateriellen Wert seiner Landschaft. Die Kapitalseite unseres Landes wird sinnigerweise 'Passiven' genannt. Passiven deshalb, weil man zuerst etwas damit machen muss, sie also aktivieren. Wir haben diese Passivseite in den letzten 15 Jahren ausserordentlich anwachsen lassen, Schulden angehäuft wie zuvor während 700 Jahren nicht. Das Eigenkapital ist vergleichsweise aber nur im Schneckentempo angestiegen.

Die Aktiven bestehen aus dem Anlage- und dem Umlaufvermögen. Ehemals nutzte die Schweiz ihr Anlagevermögen besser als wir es heute tun. In der globalisierten Welt ist es schwieriger geworden, sich zu behaupten. Nur noch fünf Branchen erbringen mehr als 80% des Auslandertrages: Pharma, Maschinen, Uhren, Tourismus und Finanzplatz.
In dieser Bilanzdarstellung, die letztlich ein Bild, einen Überblick über unser Land gibt, bewegen sich auch die Medien.

Unter den Journalisten gibt es viele Spezialisten. Spezialisten auf Debitoren, Fans für die Aktivenverwertung, Darsteller der Ausserbilanzposten, Spürnasen für das Transitorische. Es gibt natürlich auch viele Bilanzkundige, also solche, die den Durchblick durch das Ganze und den Überblick über das Staatswesen als Einheit in der Vielfalt besitzen. Was uns Politiker zu schaffen macht, ist der gelegentlich fehlende 'geistige Kontenplan'. Einem Psychologen würde es nicht einfallen, anhand eines einzelnen Verhaltens-Clusters eine Persönlichkeits-Beschreibung geschweige eine Typologie vorzunehmen. In den Medien ist das anders: Viele von Ihnen arbeiten unter dem Druck zur Spezialisierung, zum Relief des Einzelereignis. In der Tat stehen Sie unter mannigfachem Müssen: sie müssen recherchieren, sie müssen produzieren, sie müssen verarbeiten, sie müssen quantitativen, qualitativen und stilistischen Vorgaben gehorchen. Manchmal denke ich, Sie sollten gewisse Buchungssätze streichen, wie: Primeur an Chefredaktion oder Nachrichtenlieferrabatte an Datenbank! Und Sie sollten, bevor Sie an die Arbeit gehen, immer wieder den Überblick von Bilanz und Kontenplan suchen und darauf die Themen gewichten.

Andernfalls kann es passieren, dass man nicht mehr sachlich Informationen vermittelt, sondern - bewusst oder unbewusst - Stimmungsmache betreibt. Lassen Sie mich dazu ganz bewusst ein nuancenreiches Beispiel aus dem jüngsten Abstimmungskampf anfügen. In einem Interview habe ich mich für den bilateralen Weg eingesetzt und ausgeführt, dass der Rückzug des EU-Beitrittsgesuches in Betracht fällt, wenn die Personenfreizügigkeit angenommen werde. Bisher wäre dieser Rückzug falsch gewesen. In der medialen Weiterverarbeitung wurde daraus das Schlagwort "Merz will EU-Beitrittsgesuch zurückziehen" destilliert. Bei aller Liebe zu einer süffigen Schlagzeile - das ist unzulässig verkürzt. Anstatt jedoch das differenzierte Original zu lesen, stützten sich Radio, Fernsehen, Tages- und Wochenpresse auf die knackig formulierte Agenturmeldung. Und sie mischten sie mit ebenso verkürzten Reaktionen meiner Bundesratskollegen. Daraus geworden ist, was zu befürchten war: Ein angeblich neuer Streit im Bundesrat, eine unsachliche Polemik, die sich in sich selbst weiterdreht. Bereits war zu lesen, der Bundesrat habe mich in dieser Frage zurückgepfiffen und beschlossen, das Gesuch in Brüssel zu belassen. Fakt ist, meine Damen und Herren, dass der Bundesrat nach der Abstimmung eine Aussprache über alle europapolitische Optionen führen wird. Das und nichts anderes haben wir in aller Ruhe vor zwei Wochen beschlossen.

Der Preis der Zuspitzung ist zuweilen zu hoch. Die Debatten nehmen einen Verlauf, der keiner der Akteure anstrebte, oder eine Wendung, auf die kein Journalist hereinfallen sollte. Denn ebenso sehr wie ein Bundesrat Verantwortung trägt für seine Äusserung, ebenso sehr tragen Medien Verantwortung für das, was sie weiterverbreiten. Journalisten sind bei aller Zuspitzung und Personalisierung verantwortlich für die korrekte Wiedergabe der Information. Und Verleger sind eben mehr als blosse Bewahrer der redaktionellen Unabhängigkeit. Wert und Preis der Medien messen sich letztlich auch an ihrer Glaubwürdigkeit.

Aber genug der Schelte. Ich wende mich nun an die Gruppe 'blau', nämlich die
Fotografen. In einer Laune von Erkenntnishunger oder Wissensdurst habe ich vor mehr als dreissig Jahren einmal Goethes Faust I nach Bildern abgeklopft. Seither lese ich alljährlich an Ostern im Faust und höre ich mir die historische Tonaufnahme mit Gustav Gründgens und Elisabeth Flickenschildt an. Und siehe da: die Bilder bekommen mit der Zeit eine andere innere Färbung und gleichzeitig eine sich verändernde Gewichtung. Die Gruppe 'rot' (Journalisten) soll einen Augenblick weghören.

        Geschrieben steht: 'im Anfang war das Wort!'
        Hier stock' ich schon! Wer hilft mir fort?
        Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
        ich muss es anders übersetzen.
        Mir hilft der Geist! Auf einmal seh' ich Rat
        Und schreibe getrost: im Anfang war die Tat!

Das Verhältnis zwischen Wort und Bild verändert sich im Laufe des Lebens. Aber ebenso das Verhältnis zwischen Betrachter und Subjekt. Und dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - gibt es eine fotografische Wahrheit. Sie bewegt sich zwischen Werner Bischofs legendärem, zeitlosem Knabenportrait, Keystones' instant shots und Man Rays Sittenbildern. Ihre Bilder sind somit das Inventar, mit welchem Bilanz gezogen wird. Das Heute wird nämlich zum Morgen und zum Übermorgen. Dann stellt sich heraus, welche Realität Sie heute gesehen haben, welchen Wahrheiten Sie verpflichtet waren.
Abschliessend ein paar tröstende Worte an die 'Orangen' unter Ihnen, also die Gäste und Politiker. Im Umgang mit Verlegern und Medienschaffenden sitzen Sie nie am längeren Hebel. Der Zugang zu den Medien geschieht nach Regeln, die die Medien selber bestimmen. Sie müssen informieren. Sie müssen unterhalten. Sie müssen herausfordern. Sie müssen kommentieren. Sie müssen provozieren.

Aber sie müssen das, was sie äussern oder fordern meist nicht selber vollbringen. Sie dürfen im Vollzugsnotstand leben. Etwas, das uns verpönt, ja verboten ist.

Bilanzen und Bilanzierende