Wenn Architektur die Physiognomie einer Nation ist, wie dies der französische General Adam-Philippe de Custine, genannt „général moustache" definierte, dann wären Architektinnen und Architekten die Schönheitschirurgen eines Landes mit entsprechendem Einfluss auf das Erscheinungsbild der Schweiz.

Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Frau Rektorin 

sehr geehrte Mitglieder des SIA
sehr geehrte Planerinnen und Planer

Als Infrastrukturministerin bin ich seit 4 Monaten für das Bauwerk Schweiz mitverantwortlich.
Daher freue ich mich, heute bei der Auszeichnung für zukunftsträchtige Gestaltung dabei sein zu können.
Sie ist weitaus mehr, als nur ein Schönheits-Wettbewerb.

So wie UMSICHT bei der Gestaltung von Bauwerken unabdingbar ist, so ist UMSICHT Verpflichtung für jede Behörde und jeden Politiker - ganz besonders für das UVEK, das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.
Wir praktizieren dies seit Jahrzehnten, weil wir gelernt haben, dass wir nur dann weiter kommen, wenn wir umsichtig, mit Bedacht mit der Natur und unseren Mitbürgern umgehen.

Mit unserer Infrastrukturpolitik wollen wir den Zusammenhalt des Landes fördern, wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen, die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger erhöhen und damit den Standort Schweiz im globalen Wettbewerb optimal positionieren.
Wenn Politik zum Wohle der Gesellschaft funktionieren soll, dann ist ein umsichtiges Vorgehen unter Abwägung aller Interessen unabdingbar.
Zielkonflikte sind dabei an der Tagesordnung.
Solche Zielkonflikten werden in der Politik meist sofort zum Programm und durch unverrückbare Positionen zementiert.

Die einen kultivieren die Angst vor der Überbevölkerung und deren Konsequenzen.
Andere propagieren den Weg zurück zur Natur.
Die Ernsthaften bemühen sich beispielsweise um ein ausgeglichenes Verhältnis von Schiene und Strasse.

Ich meine, die meisten Menschen reagieren in unseren Breitengraden in aller Regel recht vernünftig, wenn man ihnen die Probleme aufzeigt und vielleicht Anreize für eine Verhaltensänderung setzt.
Einschränkungen der eigenen Freiheit werden meist negativ aufgenommen. Also nehmen wir doch die Menschen mit auf die Reise der Entscheidung.

Wenn wir den Lebensraum Schweiz zukunftsfähig gestalten wollen, dann müssen wir zwischen den Interessen, den Anforderungen, den Wünschen abwägen.

Wie schaffen wir es, dass die Interessen einer mobilen Gesellschaft beispielsweise beim Bau einer Autobahn mit dem Gewohnheitsrecht der Rehe für ihren Wildkorridor in Einklang gebracht werden können?
Wie schaffen wir es, den Hunger nach Energie, der sich weltweit vor allem in einem Anstieg des Verbrauchs fossiler Energie ausdrückt, so zu stillen, dass nicht gleichzeitig die CO2-Emissionen ebenfalls in gefährliche Sphären abheben?
Wie schaffen wir es, dem individuellen Wunsch der Menschen nach grösseren Wohnflächen zu entsprechen und gleichzeitig die Fläche für Biodiversität, für Landwirtschaft und Wald konstant zu halten?

Es geht darum, die Qualitäten von städtischen und ländlichen Gebieten zu wahren und ein Gleichgewicht herzustellen.
Es geht um die Erkenntnis, dass wir nicht in allen Regionen alles realisieren sollten.
Die Fläche der Schweiz ist zu 25% unproduktiv, 31% mit Wald bedeckt und auf dem nutzbaren Teil wird es immer enger und er wird immer teurer.

Dies zeigt die neuste Studie des schweizerischen Nationalfonds:

Der Wiederbeschaffungswert des „Bauwerks Schweiz" beläuft sich auf knapp 2400 Milliarden Franken.
Die Infrastrukturen - Ver- und Entsorgung, Verkehr, Kommunikation, Schutzbauten - sind 830 Milliarden Franken wert, pro Kopf 108´000 Franken oder das Eineinhalbfache des jährlichen Bruttoinlandprodukts (BIP).
Der Wert der reinen Wohnbauten beläuft sich auf 1550 Milliarden oder 200´000 Franken pro Einwohner. Das ist fast das Dreifache der wirtschaftlichen Leistung der Schweiz.

Eindrückliche Zahlen, die aber auch auf die zunehmenden Kosten allein für den Substanzerhalt hinweisen.

Das „Bauwerk Schweiz" funktioniert insgesamt gut.
Weil wir zu Kompromissen bereit sind, miteinander reden, verschiedene Interessen einbringen.
Dennoch ist dieser funktionierende Betrieb und Unterhalt keine Selbstverständlichkeit.
Heute stellen sich verschiedene die Fragen:

Können wir das Niveau halten?
Wie gehen wir mit den Wachstumstrends um, die sich abzeichnen?
Wer soll dafür bezahlen?

Fakt ist: Wir geraten zunehmend in einen Konflikt mit unserem Kulturland.
Auf der einen Seite beanspruchen wir mehr Raum zum Wohnen, mehr Raum für die Mobilität und das zu bezahlbaren Preisen.
Auf der anderen Seite wollen wir mehr grüne Flächen, sehnen uns nach unberührten Landschaften und streben zugleich einen hohen Versorgungsgrad an landwirtschaftlichen Produkte aus der eigenen Region an.
Diese Wünsche und Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen, wird die grosse Herausforderung der Planung und der Politik sein.
Die Schweiz ist zwar nicht fertig gebaut, wie das gewisse Kreise in den 80er-Jahren über Zürich gesagt haben.
Aber die vorhandenen Flächen müssen umsichtiger genutzt werden.
Wir brauchen neue Lösungen, neue Wege.

Deshalb haben wir vor rund 5 Jahren zusammen mit den Kantonen, Städten und Gemeinden das Raumkonzept Schweiz aufgegleist.
Der vorliegende Entwurf ist aus meiner Sicht eine viel versprechende Orientierungshilfe dafür, wie sich unser Land in Zukunft entwickeln soll.
Das Raumkonzept zeigt Strategien für den haushälterischen Umgang mit der Ressource Boden, für den Verkehr, die Wirtschaft und die Energie auf.
Mit dem Konzept wollen wir davon wegkommen, dass jede Gemeinde und jeder Kanton allein für sich eine Raumplanung macht.
Es ist ein Plädoyer für das Planen und Realisieren in grösseren, funktionalen Räumen - in grossen Agglomerationen oder in alpin geprägten Handlungsräumen.
Es wäre von Vorteil, wenn nicht jede Gemeinde eine Wachstumsstrategie verfolgt mit Gewerbezonen, Wohnzonen und Zonen zur Erholung.
In grösseren Räumen liesse sich alles besser gestalten.

Parallel dazu brauchen wir eine Infrastruktur, die es den nächsten Generationen ermöglicht, die Schweiz voranzubringen.
Wir brauchen eine zukunftsfähige Verkehrs-, Energie- und Kommunikations-Infrastruktur.
Denn ohne intakte, leistungsfähige und zukunftsorientierte Infrastrukturen bleibt jede Gesellschaft in ihrer Entwicklung stehen.

In diesem Kontext ist der SIA-Award „Umsicht-Regards-Sguardi" eine Bereicherung der politischen Absichten und Ziele.
Nachhaltigkeit ist gefordert, nicht Nachsicht nach allen Seiten.
Denn nur wenn wir alle für die Gesellschaft Verantwortung übernehmen, Ressourcen schonen und volkswirtschaftlich tragbar handeln, werden wir für die kommenden Generationen eine lebensfähige Schweiz gestalten können.

„Umsicht" ist kein einfaches Rezept.
Es gibt nicht die lukrative Schlagzeile.
Der Erfolg ist erst nach Jahren mess- und sichtbar.
Umsicht erfordert Teamplayer, die in der Lage sind, über den eigenen Hutrand hinaus zu denken, interdisziplinär und vernetzt zu handeln und über Gebäude-, Gemeinde- und Zuständigkeitsgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten.
Eine sektorielle Betrachtung, der ideologische Tunnelblick oder die kurzfristige Lösung- das blockiert die Schweiz.

Fordern müssen wir das Beste, damit nach eidgenössischer Manier das Mach- und Tragbare realisiert werden kann!

Die SIA-Auszeichnung „Umsicht-regards-sguardi" hat mutige und innovative Lösungen für unseren Lebensraum gesucht - und acht herausragende Projekte gefunden.
Sie haben hohe Ansprüche an die Qualität und an die Eigenständigkeit der Arbeiten gesetzt. 

Ich wünsche Ihnen und uns allen weiterhin viele begeisterte:

Junge Frauen, die Ingenieurwissenschaften studieren wollen.
Bauherren, die plötzlich eine Möglichkeit entdecken, wie sie ihr Areal noch besser nutzen, Energie gewinnen und alles erst noch ästhetisch gelungen gestalten können.
Und Planer, die uns mit breitem Wissen und neuen Ansätzen begeistern.

Ich bin überzeugt, dass wir diese auch finden werden, denn die Schweiz steht im Vergleich zur Weltgemeinschaft auf einem sehr fortschrittlichen, hohen Niveau wenn es um die nachhaltige Nutzung der Ressourcen und die umsichtige Gestaltung unserer Umwelt geht.
Wenn es um „Grüne Wirtschaft" geht, um saubere Technologien, um die nachhaltige Nutzung der Ressourcen, kann die Schweiz durchaus einen Beitrag leisten.
Das habe ich gerade unlängst wieder am Globalen Umweltministerforum in Nairobi erlebt.
Darauf, auf unsere Qualitätsarbeit dürfen wir stolz sein.
Diese Know-how können wir auch weitergeben.
Mit diesen Erfahrungen können wir die Menschen auf anderen Kontinenten mitnehmen auf unserer Reise der Umsicht.

Ich danke den Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA für seinen Mut, umsichtige Lösungen zu suchen und mit einem Preis zu belohnen.
Hinter „Umsicht-regards-sguardi" steht eine Kultur, die auf Dialog, Ausgleich und Machbarkeit ausgerichtet ist.
Dahinter steht eine gute Ausbildung - vom Lernenden Maurer und Heizungsplaner bis zum Architekten und zum Bauingenieur.
Das macht die Schweiz zum Land jener Baupioniere, die kühne Viadukte, den längsten Eisenbahntunnel der Welt oder funktionale neue Glasfassaden entwickeln..

Wir brauchen Umsicht und einen langen Atem.
Dann wird die Welt tatsächlich schöner.

Umsicht statt Tunnelblick