Sehr geehrte Damen und Herren,

Vor 20 Jahren sagte Michail Gorbatschow hier in Berlin: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."
Heute sage ich: Wer sich nicht vernetzt, der bleibt stehen.
Beides gilt in der Verkehrspolitik ganz besonders: Verspätung ist nicht erlaubt - Vernetzung ist ein Must.
Als Nachbarn haben die Schweiz und Deutschland ein vitales Interesse, dass die Infrastrukturen zu Wasser, zu Lande und in der Luft grenzüberschreitend funktionieren und nicht in einer Sackgasse enden.

So wie bereits in der Luftfahrt und weitgehend im Strassentransport müssen daher nationale Barrieren auch auf den Schienen überwunden werden.
Wir wissen, dass die Mobilität in den nächsten 20 Jahren massiv zunehmen wird; und dies im Personen- wie im Güterverkehr.
Die Antwort auf die grossen logistischen Herausforderungen ist das strategische europäische Schienennetz und dabei als zentrale Nord-Süd-Achse der Verkehrskorridor Rotterdam-Genua, der Korridor 24, der mitten durch die Schweiz führt.
700 Millionen Tonnen Waren werden jährlich auf dieser Achse bewegt, an der etwa 70 Millionen Menschen leben.
Und wir, die Schweiz nehmen diese Herausforderungen mit den beiden Alpendurchstichen am Lötschberg (2007) und Gotthard (2016) ernst - auch ohne EU-Mitgliedschaft.
Wir bauen für den Transit und wir bezahlen selber.
Die strategische Zusammenarbeit ist dabei entscheidend; alle müssen am selben Strick ziehen, wenn wir die wachsenden Verkehrsaufkommen bewältigen wollen.

Wir sind diesbezüglich eines der offensten Länder mit einem diskriminierungsfreiem Netzzugang.
Die Gotthard-Achse wird heute von einem halben Dutzend verschiedenen, miteinander in Konkurrenz stehenden, Bahnunternehmen befahren.
Die Schweiz ist denn auch weit vorangeschritten bei ihren Bemühungen, den Verkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Die Förderung der Bahn ist eine Konstante der Verkehrspolitik der Schweiz.
Auch EU-Verkehrsminister Siim Kallas hat im neusten Weissbuch zum Verkehr (Ende März) darauf hingewiesen, dass die Schweiz für Europa hier durchaus als gutes Beispiel gelten kann. Er vertritt die Meinung, dass ab 300km Distanz die Bahn das geeignete Verkehrsmittel sei.

Single European Train - analog zu Single European Sky - funktioniert aber nur, wenn auch unsere europäischen Nachbarn den Zugang zu ihrem Bahnnetz erleichtern und keine unnötigen Hürden für Unternehmen, Rollmaterial oder Personal errichten.
Denn die zunehmende Mobilität können wir nur dann nachhaltig bewältigen, wenn auch unsere Nachbarländer mitmachen.

Unsere NEAT braucht funktionierende Anschlüsse im Norden und Süden.
Deutschland hat sich zwar zum Ausbau der Oberrheinstrecke im Abkommen von Lugano verpflichtet.
Es hapert leider in Deutschland (Rheintalbahn) noch mit der Realisierung.
Italien ist weiter fortgeschritten.
Unter Freunden gehe ich aber davon aus, dass Abmachungen eingehalten werden.

 Mit unserer Verkehrspolitik knüpfen wir an unsere Bahntradition an:

Unsere Bahnen sind pünktlich und die Strassen in einwandfreiem Zustand.
Die gute Verkehrsinfrastruktur hilft uns im Standortwettbewerb - die Schweiz ist das wettbewerbsfähigste Land der Welt.
Mit dem Bau des weltweit längsten Eisenbahntunnels (Gotthard) sind wir unserem Ruf als Bahnpioniere einmal mehr gerecht geworden.

Dahinter steckt harte technische Knochenarbeit und basisdemokratische Überzeugungsarbeit.

Knochenarbeit, weil die Schweiz mit ihrer schwierigen Topographie Täler bahntechnisch überbrücken und Berge durchqueren muss.
Überzeugungsarbeit, weil wir die Bürgerinnen und Bürger dort für Projekte gewinnen müssen, wo die Bahnlinien Kulturflächen, Waldbestände oder Siedlungsräume durchschneiden.

Natürlich stecken auch wir mitten in Zielkonflikten.
Wir sind Transitland zwischen den Häfen in Genua, den industriellen Zentren Norditaliens (Lombardei, Ligurien) und den deutschen Industriegebieten sowie den Nordseehäfen in Holland und Belgien
Auf dieser Nord-Süd-Achse wird der meiste Güterverkehr in Europa abgewickelt.
Gleichzeitig sind wir gemäss unserer Verfassung verpflichtet, den empfindlichen Alpenraum vor den Auswirkungen eben dieses Transitverkehrs zu schützen.
So stehen wir sehr oft vor dem Dilemma: Transport und Alpenschutz, Wirtschaft und Umwelt ins Gleichgewicht zu bringen.
Wir versuchen beidem gerecht zu werden - Ökologie und Ökonomie. Denn Ökonomie und Ökologie können ergänzende Elemente sein und in Europa könnte dieses Zusammenspiel zu einem Asset werden.
Unser Credo lautet: Für Güter die Bahn!
Das setzen wir mit einigem Erfolg um: Über 60 % der Güter durch die Schweizer Alpen werden auf der Bahn transportiert.
Deutlich mehr als in jedem anderen Land.

Wie ist das gelungen? Ich nenne nur einige der Gründe:

Wir haben 2001 bei der Strasse die Gewichtslimite von 28 auf 40 Tonnen angehoben und dieser Produktivitätsgewinn wird seit 2001 abgeschöpft. Wir haben mit der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe LSVA eine Maut für die Strasse eingeführt. Diese liegt gegenwärtig bei rund einem Franken pro Strassenkilometer, den ein 40-Tonnen-Lastwagen zurücklegt. Alle Analysen zeigen, dass das Ziel erreicht wurde: die LSVA führte zu einer besseren Auslastung der LKW, zu weniger Leerfahrten und hatte keine negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Wir haben einen Fonds für Eisenbahngrossprojekte geschaffen, der die Grossvorhaben des Infrastrukturausbaus über Jahre hinaus verlässlich finanziert; verlässlicher als jährliche Budgets. Denn bei den jährlichen Budgets besteht die Gefahr, dass sie Sparopfer erbringen müssen und daher gekürzt werden. Damit hat man weder Rechtssicherheit noch Planungssicherheit. Der FinöV-Fonds hingegenr sichert mit rund 20 Milliarden Euro den Bau eines in sich stimmigen Bahnpaketes, zu dem neben den Alpentunnels(NEAT) auch die wichtigen Zufahrtsstrecken und der Anschluss der Schweiz an das Hochgeschwindigkeitsnetz der Nachbarländer Frankreich und Deutschland sowie die Lärmsanierungen gehören. Gerade Lärmimmissionen sind zum Schutz der Anwohner niedrig zu halten und daher sind flankierende Massnahmen wie die Lärmforschung bei Grossprojekten ebenfalls zu integrieren. In Deutschland stellen wir zusätzlich eine mangelhafte Elektrifizierung und altes Rollmaterial fest.
Wir bauen die Bahninfrastruktur aus. Zahlreiche Grossprojekte wurden oder werden damit gebaut. Nebst einer neuen Linie auf der Ost-West-Achse erwähne ich nur die neuen Alpentunnels. Bereits seit über drei Jahren in Betrieb ist der 35 Kilometer lange Lötschberg-Basistunnel, durchschlagen ist der Gotthard-Basistunnel, der 2016 oder 2017 in Betrieb genommen sowie der Ceneri-Tunnel 2019..
Auch unsere Projekte stossen oft auf Widerstand. Aber dank unseren direktdemokratischen Instrumenten können sich alle am Prozess der Entscheidfindung beteiligen. Das sind zwar oft lange Wege, heftige Diskussionen und blockierte Verfahren. Dann ist es umso wichtiger, direkt vor Ort mit den Leuten zu reden und Umweltverbände und Bürgerinitiativen in den Prozess mit einzubeziehen. Am Schluss werden die Projekte in den Abstimmungen gutgeheissen. Die Bevölkerung trägt unsere Verkehrspolitik mit, um die uns Europa beneidet.

Und dennoch: Auch die Schweizer Verkehrspolitik stösst an Grenzen: dies betrifft sowohl die Schiene wie die Strasse und deren Finanzierung. Ich habe neulich eine Nachfolgeregelung vorgeschlagen und neue Fonds aufgegleist: wir hoffen natürlich, dafür auch Mehrheiten zu finden. Wir müssen neue Mittel für unsere Verkehrsinfrastrukturen finden und dazu die Nutzerinnen und Nutzer stärker einbeziehen.

Deshalb habe ich vor kurzem Vorschläge für verursachergerechte neue Finanzierungsquellen für die Strasse und die Schiene in die politische Diskussion eingebracht.

Denn wir sind überzeugt: Wenn wir auch morgen gute Verbindungen haben wollen, müssen wir heute handeln und zu unserem Verkehrsnetz -  den Lebensadern unseres Landes - besser Sorge tragen.
Der Ausbau stiftet auch einen Mehrwert. So können beispielsweise ab 2017 können alle Stuttgarter und Stuttgarterinnen in 4 Stunden und 50 Minuten ohne Stau in die Sonnenstube der Schweiz, das Tessin, reisen - eine Stunde schneller als heute.
Mit guten Verkehrsverbindungen verbessern wir zudem die Lebensqualität und schonen Umwelt.

Weil Verkehr mit dem Zusammenwachsen des Kontinentes immer enger vernetzt wird, sind Verkehrspolitiker verpflichtet, einen Blick über die Grenzen werfen.
Das Zeitalter national ausgerichteter Betriebe und Infrastrukturen ist endgültig vorbei.
Nationalismus in der Verkehrsinfrastruktur können, dürfen und wollen wir uns nicht mehr leisten oder den Passagieren zumuten.
Menschen und Güter reisen um den Globus.
Europa wächst zusammen.
Deshalb braucht es einen Paradigmenwechsel bei den Bahnen.

Der europäische Luftverkehr operiert heute in einem praktisch vollständig liberalisierten Umfeld.
Experten rechnen mit einer Verdopplung des Luftverkehrs bis 2020.
Mobilität ist eine Realität; sie ist Ausdruck der Globalisierung und Ausdruck des Wohlstandes.

Die Liberalisierung hat aber auch seine Kehrseite; die unter grossem Marktdruck stehenden Unternehmen laufen Gefahr, bei der Sicherheit zu sparen.
Die Behörden sind daher gehalten, hier korrigierend einzugreifen.
Gleichzeitig gilt es aber, den Flugverkehr länderübergreifend und effizient zu führen.
17 Flugsicherungen mit 27 Flugsicherungssystemen kontrollieren heute den europäischen Luftraum.
Das kostet viel Geld und ist auch relativ ineffizient.
Die EU strebt ein einheitliches System an („Single European Sky"). Hier sitzen Deutschland und die Schweiz im gleichen Boot; beide Staaten sind zusammen mit Frankreich und den Benelux-Staaten derzeit daran, den von der EU geforderten „einheitlichen europäischen Luftraum" in die Tat umzusetzen.
In der Luftfahrt müssen internationale Lösungen gefunden werden. Die rein nationale Perspektive hat im Luftverkehr seit der Liberalisierung ausgedient - das gilt es auch bei der aktuellen Lärmdiskussion um den Zürcher Flughafen zu berücksichtigen.
Es ist sicher so, dass von Schweizer Seite Fehler gemacht worden sind und deswegen beidseitig die Empfindlichkeiten gross sind. Tatsache ist, dass die von Bundeskanzlerin Merkel geforderte Lärmanalyse die massive Belastung auf Schweizer Seite bestätigt hat. Die Menschen in der Südanflugschneise sind massiv betroffen. Wir sollten daher generell davon ausgehen, den Lärm insgesamt nicht zu erhöhen; weder für Süddeutschland, noch für die Schweizer Seite.
Die Lösungen dazu müssen wir gemeinsam finden. Daher ist es mir wichtig, die Mitsprache der Beteiligten zu fördern.

Meine Damen und Herren, Europa - und zwar nicht die EU allein - muss sich neu definieren.
Das können wir, wenn wir - als Kontinent - noch besser, noch enger zusammenarbeiten.
Denn die grossen Rivalitäten werden nicht mehr zwischen London und Zürich, zwischen Berlin oder Paris ausgefochten.
Die grossen Rivalitäten werden zwischen den USA, Europa und Asien ausgetragen.
Will sich Europa im internationalen Wettbewerb behaupten, ist eine globale Sicht matchentscheidend.
Es darf nicht sein, dass wir uns hier kleinkrämerisch das Leben schwer machen, während neue Player auf den Weltmärkten davon profitieren.
Es kann nicht sein, dass man Hochleistungs-Verbindungen aufbaut und diese dann am regionalen Widerstand scheitern lässt.
Wir haben mit unseren basisdemokratischen Instrumenten Lösungsansätze, die wir auch anderswo zur Verfügung stellen könnten. Die Devise muss heissen: Lösungen finden, bevor Blockaden - in den Köpfen und in den Positionen - entstehen.

Wir müssen Verkehrs- und Kommunikationswege grenzüberschreitend so ausgestalten, damit Europa mit dem Tempo der anderen mindestens mithalten kann.
Hier sind wir alle gleichermassen gefordert und aufeinander angewiesen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

27. Mitgliederversammlung Deutsches Verkehrsforum