Ich gratuliere der OG Bern ganz herzlich zu ihrem Jubiläum. Ich weiss, eigentlich ist eine solche Feier der Anlass, viel Gutes und Schönes zu sagen und eine glänzende, wolkenfreie Zukunft auszumalen. In diesem Sinn und Geist hatte ich auch meinen ersten Referatsentwurf vorbereitet. Aber gestern Nacht habe ich mich umentschieden: Auch wenn mein ernster Ton nicht zu einem Festanlass passt, ich will nicht über die Milizarmee sprechen, ohne die Dinge beim Namen zu nennen. Denn Sie sind mir zu wichtig und die Gefahren für die Miliz sind zu gross, als dass ich Ihnen als verantwortlicher Departementschef zur Frage der Miliz nur eine sorglose Festrede halten könnte. 

Unsere Schweiz, unsere Armee und auch die OG Bern können deshalb auf ein langes und erfolgreiches Bestehen zurückblicken, weil in unserem Land - und gerade auch im Kreis der Milizoffiziere - die wichtigen Dinge immer wieder beim Namen genannt wurden. Das wollen wir auch heute Abend tun.

Als ich mein Amt antrat, sagte ich, ich wolle die beste Armee der Welt. Das haben nicht alle verstanden. Einige lachten, andere fanden das anmassend. Dabei ist es logisch: Wenn unsere Armee in einem Ernstfall antreten muss, kann es nichts anderes geben als den Erfolg. Eine Niederlage bedeutet Tod, Elend, Verlust der Freiheit, das Ende unserer Schweiz. Unsere Armee muss darum besser sein als jeder Gegner. Als Zweitbester gegen den Besten anzutreten, das ist fatal. Unsere Soldaten würden vergeblich sterben. Die Opfer wären umsonst.

Aber die beste Armee ist möglich, davon bin ich überzeugt - sie ist dann möglich, wenn wir auf das Wissen und die Fähigkeiten zurückgreifen, die unser Land in so vielen Bereichen an der Weltspitze positioniert haben. Was uns mit Uhren, Finanzdienstleistungen, Pharma- und Landwirtschaftsprodukten usw. gelungen ist, muss auch in der Sicherheit möglich sein. Und die Miliz ist das einzige Armeemodell, das dieses gewaltige Wissen, dieses absolute Spitzenpotential, in den Dienst unserer Sicherheit stellt.

Allerdings funktioniert eine Milizarmee nicht einfach so von selbst. Sie braucht eine permanente Anstrengung, eine dauernde Unterstützung. Nicht nur durch die aktiven Armeeangehörigen, sondern durch die Partnerinnen, durch die Familien, durch die Arbeitgeber, durch die Politik. Wir alle zusammen sind das Fundament der Milizarmee. Ich möchte darum zuerst auf diese Grundlagen der Miliz eingehen, dann komme ich auf die Gefahren für die Miliz zu sprechen und zuletzt skizziere ich Lösungsmöglichkeiten - die Lösungsmöglichkeiten vor allem auch im Wissen darum, in Ihnen tatkräftige Verbündete für unsere Miliz zu haben.

Voraussetzungen für eine funktionierende Milizarmee
Die Milizarmee, das ist eine Volksarmee, eine Bürgerarmee. Und diese funktioniert nur, wenn sie vom Volk getragen wird, wenn die Bürger hinter ihr stehen.

Es muss nicht jeder immer mit Freude in den Dienst einrücken. Die Dienstpflicht ist wie jede Pflicht nicht immer angenehm. Aber es soll selbstverständlich sein, dass man diese Pflicht erfüllt: Wenn man eingerückt ist, dann macht man das Beste daraus.

Diese gelassene Selbstverständlichkeit ist für mich das Wesen der Miliz: Das ist die Haltung, die ich in meiner Militärdienstzeit erlebt habe und die ich auch jetzt als Chef VBS auf Truppenbesuchen erlebe. Eine Milizarmee ist nicht enthusiastisch. Eine Milizarmee ist kritisch, nüchtern, aber auch zuverlässig und sehr leistungsbereit, wenn es darauf ankommt. 

Aber diese selbstverständliche Pflichterfüllung gibt es nur, wenn die Pflicht auch tatsächlich für alle gilt. Dann gehört die RS einfach zum Erwachsenwerden, dann gehört der Dienst einfach zu einem bestimmten Lebensabschnitt. Verzichten wir auf die allgemeine Wehrpflicht, geht diese Selbstverständlichkeit verloren. Und damit auch die Qualität der Truppe.

Jetzt haben wir einen Querschnitt der Bevölkerung in der Armee. Das gibt uns eine breite Palette an Fähigkeiten und Erfahrungen. Das unterscheidet uns von Berufs- oder Freiwilligen-Armeen, in denen sich Waffennarren und Arbeitslose sammeln.

Nun kann man einwenden, die allgemeine Wehrpflicht sei nicht gefährdet. Denn in Artikel 59 Absatz 1 der Bundesverfassung stehe ja, „Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten". Dass das Milizprinzip in der Verfassung steht, ist wichtig. Aber es reicht nicht, wenn wir nur einfach formell an der allgemeinen Wehrpflicht festhalten. Denn hinter der allgemeinen Wehrpflicht steht der tiefere Gedanke der Wehrgerechtigkeit. Es geht darum, dass alle einen Beitrag leisten zur Sicherheit unseres Landes.

Sonst gibt es plötzlich zwei Kategorien: Die einen, die Militärdienst leisten und sich für die Sicherheit unseres Landes einsetzen; und die andern, die keinen Beitrag leisten und einfach von dieser Sicherheit profitieren. Wenn die einen leisten, die andern nur profitieren, dann wird damit letztlich der Zusammenhalt der Gesellschaft in Frage gestellt. Eine solche Ungleichheit ist eine Ungerechtigkeit. Und diese Ungerechtigkeit wird über die Dauer nicht akzeptiert. Wenn sich die Frauen und Männer, die sich für das Land einsetzen als „die Dummen" fühlen, verliert nicht nur die Armee, sondern der Staat mitsamt all seinen Institutionen an Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

Um den Zusammenhalt geht es auch bei der Kaderauswahl. Wichtig ist, dass Miliztruppen vorwiegend durch Milizkader geführt werden. Nicht, dass Berufsoffiziere keine fähigen Truppenführer wären. Aber für Leute, die für einige Wochen ihr Zivilleben verlassen und Soldaten werden, ist es wichtig, in dieser Hinsicht im Kader ein Vorbild zu haben. Vor einigen Tagen habe ich einen Führungslehrgang I besucht; von den 51 Offizieren waren gerade noch 17 Milizler. Da stimmt für mich das Gleichgewicht zwischen Miliz- und Berufsoffizieren nicht mehr.

Milizarmee in Gefahr
Die Milizarmee ist in Gefahr. Gesellschaftlich und politisch wird ihr Fundament in Frage gestellt.

Zuerst zu den gesellschaftlichen Entwicklungen: Der Milizgedanke leidet unter dem Zeitgeist. Ganz allgemein, nicht nur auf das Militär bezogen. Wir hören oft von Vereinen, die Mühe haben, Nachwuchs zu finden und ihren Vorstand zu besetzen. Wir hören von kleinen Gemeinden, die den Gemeinderat nicht mehr bestellen können.

Der Einsatz zugunsten der Gemeinschaft hat harte Konkurrenz bekommen: Durch eine Fülle von Freizeitmöglichkeiten, durch das Streben nach Selbstverwirklichung. Aber auch durch Veränderungen in der Berufswelt. In internationalen Konzernen fehlt es manchmal an Rücksicht auf die Eigenheiten des Schweizer Milizsystems.

Nun zu den politischen Entwicklungen: Die Milizarmee steht gegen momentane Trends. International geht die Tendenz Richtung Profiarmeen. Viele europäische Länder haben das Milizmodell aufgegeben und sind zu einer Berufsarmee übergegangen. Jüngstes Beispiel ist Deutschland. Und weltweit gesehen geht die Entwicklung noch weiter: Für gewisse Aufgaben werden nicht einmal mehr die staatlichen Berufsarmeen eingesetzt, sondern internationale Sicherheitsunternehmen. Das sind nichts anderes als moderne Söldnertruppen. Diese werden dort engagiert, wo es politisch brisant ist und sich keine Regierung die Finger verbrennen will.

Die Entwicklung im Ausland wird auch die Debatte im Inland beeinflussen. Bereits sammelt die GSoA Unterschriften gegen die allgemeine Wehrpflicht. Machen Sie sich gefasst, die Wehrpflicht wird nicht bloss durch politische Aussenseiter angegriffen werden. Die Medien werden mit dem Hinweis auf sogenannte Vorbilder aus dem Ausland Kampagne machen!

Und eine erste Aufweichung hat bereits das Parlament vorgenommen: Wir haben die Gewissensprüfung für den Zivildienst abgeschafft. Heute genügt allein der so genannte Tatbeweis: Wer bereit ist, die längere Dauer des Zivildienstes in Kauf zu nehmen, hat damit seine Gewissengründe gegen den Militärdienst genügend dargelegt. Damit sind wir einer Wahlfreiheit sehr nahe gekommen. Nun ist aber Zivildienst und Militärdienst nicht vergleichbar. Es ist nicht dasselbe, ob jemand einen Zivildienst mit Praktikums-Charakter leistet, normale Arbeitszeiten hat und zu Hause wohnen kann oder ob jemand in eine Rekrutenschule oder einen WK einrückt. Der grösste Unterschied besteht aber im Ernstfall: Da setzt der Soldat unter Umständen sein Leben für die Sicherheit des Landes ein.

Was ist zu tun?
Auch wenn momentan internationale Trends, gesellschaftliche Entwicklungen und politische Entscheide gegen das Milizsystem sprechen, bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass dieses eine Zukunft hat und eine Zukunft haben muss.

Zuerst einmal ist die Milizarmee die Armee, die nur dann da ist, wenn wir sie brauchen. Wir können die Formationen aufbieten, die der Situation angemessen sind. Das gibt das beste Preis-Leistungs-Verhältnis.

Die Milizarmee ist die Armee, in der wir alles Können und alle Kenntnisse aus der Bevölkerung finden. Das gibt uns ein einmaliges Potential.

Und schliesslich ist die Milizarmee die Armee, die unserem direktdemokratischen Staat entspricht: Die Bürger sind die höchste Instanz im Staat und sie sorgen auch für die Sicherheit.

Was ist zu tun, um den Gefahren für das Milizsystem entgegenzutreten?

Erstens geht es darum, das Milizprinzip in der Verfassung zu verteidigen. Das ist die Grundlage für alles andere. Die Initiative der GSOA gegen die allgemeine Wehrpflicht zielt auf die Armee allgemein. Sie will den Bruch mit unserer bewährten Wehrtradition. Eine Berufsarmee oder eine sogenannte freiwillige Miliz hätte kaum grossen Rückhalt in der Bevölkerung. Sie wäre ein Fremdkörper, dem man jedes Jahr das Budget kürzen würde.

Zweitens geht es darum, dass man den Bürger in der Armee ernst nimmt. Das heisst nicht, dass man von ihm nichts verlangen darf. Aber es heisst, dass man ihm die bestmögliche Ausbildung und Ausrüstung gibt. Er muss so auf einen möglichen Ernstfall vorbereitet sein, dass er auch Chancen hat, wieder heil heimzukehren. Wie gut wir unsere Soldaten ausrüsten können, hängt vom Budget ab, das uns das Parlament zuspricht. Ich hoffe, dass man dort erkennt, dass die Ausrüstung und die Motivation der Miliz einen engen Zusammenhang haben.

Drittens soll für jene, die freiwillig mehr als die gesetzliche Plicht leisten, der Dienst einen Mehrwert bringen: Eine gute, moderne Führungsausbildung macht eine Offizierslaufbahn auch heute noch attraktiv. Wir stehen diesbezüglich in engem Kontakt mit Arbeitgebern. Mit wichtigen Wirtschaftsvertretern führen wir Einzelgespräche. Auch bei internationalen Unternehmen wecken wir das Verständnis. Ich bin optimistisch, dass die positive Haltung zur Milizlaufbahn wieder zunimmt.

Ich bin auch der Ansicht, dass es kein Tabu sein darf, jemanden zu belohnen, der sich für die Sicherheit von uns allen einsetzt. Ich kann mir durchaus Steuererleichterungen vorstellen, um den zusätzlichen Aufwand abzugelten, der jemand mit einer Kadercharge auf sich nimmt.

Viertens muss die Armee für die Bevölkerung sichtbar sein, sie muss präsent sein. Denn die Milizarmee ist mehr, als die Soldaten und Offiziere, die in einem militärischen Verband eingeteilt sind. Zu einer Milizarmee gehören alle Bürgerinnen und Bürger, die den Milizgedanken mittragen. Sie ist in der Bevölkerung nur dann verankert, wenn man sie als Teil unseres Landes und unserer Gesellschaft wahrnimmt.

In den letzten Jahren hat sich unsere Armee zu stark auf die Waffenplätze zurückgezogen. Das müssen wir korrigieren.

Eine präsente Armee ist nur möglich, wenn sie eine genügende Anzahl Angehörige hat. Der Militärdienst ist dann eine selbstverständliche Pflicht, wenn andere im persönlichen Umfeld auch einrücken müssen. Man darf die Bestandeszahlen nicht so weit senken, dass unsere Soldaten und Offiziere zu Exoten werden, die sich gesellschaftlich isoliert fühlen.

Das gleiche gilt für die Altersbegrenzung: Ist die Wehrpflicht kurz nach 20 bereits schon erfüllt, werden die  Familien nicht mehr in den Wehrgedanken einbezogen. Ein junger Mann geht positiver und gelassener zur Rekrutierung, wenn er schon als Kind seinen Vater in Uniform gesehen hat.

Sie sehen: Ich bin in Sorge um unsere Miliz, in Sorge um die wichtigste Stütze unserer Sicherheit. Darum danke ich Ihnen, dass Sie als Offiziere viel Zeit in unsere Armee investiert haben und dass Sie sich ausserdienstlich in der OG engagieren. Damit leisten Sie einen ganz wichtigen Beitrag zur Stärkung des Milizsystems. 

Ich bin trotz allem optimistisch, dass es uns gelingt, die Milizarmee in der Bevölkerung wieder besser zu verankern. Allerdings braucht es einen gewaltigen Effort von uns allen. Aber den wollen wir leisten, den müssen wir leisten. Denn schliesslich brauchen wir eine Armee, die uns im Ernstfall etwas nützt; die uns bei Gefahr Schutz bieten kann. Und das ist nur eine Armee, die besser ist als jeder mögliche Angreifer - das kann nur die Milizarmee leisten, mit der wir das Spitzenpotential unseres Landes in den Dienst der Sicherheit stellen!

Und weil ich weiss, dass wir am selben Strick in die selbe Richtung ziehen, schliesse ich mit einer Bitte an Sie alle: Schalten Sie sich ein in die Diskussion um die Sicherheitspolitik. Ergreifen Sie Partei für eine starke Milizarmee, die genügend gross ist, um in der Bevölkerung präsent und verankert zu sein! Engagieren Sie sich für eine starke Milizarmee, in der die Soldaten so ausgerüstet sind, dass sie für die Sicherheit unseres Landes sorgen können - ich danke Ihnen!

Hat die Milizarmee eine Zukunft?