Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Damen und Herren Regierungs- und Staatsräte
Sehr geehrter Herr Direktor
Sehr geehrte National- und Ständeräte
Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Festgemeinde

Wer käme heute noch auf die Idee, ein Loch in die Eigernordwand zu bohren - eine Bahn hinauf auf die Jungfrau zu bauen?
Wohl niemand.
Alle würden den Kopf schütteln.
Bedenkenträger wären schnell zur Stelle, Einsprachen und langjährige Verfahren vorprogrammiert.

Gerade deshalb überbringe ich Ihnen gerne die Glückwünsche des Bundesrates.
Denn die Erbauer von damals hatten den Mut zu diesem phänomenalen Bauwerk.
Und die Betreiber von heute trumpfen auf mit immer neuen Ideen, die Bahn als touristischen Magnet in den Dienst der Schweiz zu stellen.

Herzliche Gratulation zum Jubiläum!

Heute ist die Reise auf das Jungfraujoch, zum höchsten Bahnhof Europas, aus dem Bild der Schweiz nicht mehr wegzudenken.
Auch bei mir ist die Jungfrau-Region präsent:

Als Aargauerin - weil es vor fast genau 200 Jahren die Aarauer Rudolf und Hieronymus Meyer waren, die sich mit den Gemsjägern Alois Volker und Joseph Bortis zur Erstbesteigung der Jungfrau aufgemacht hatten.
Als Verkehrsministerin, weil die Jungfraubahn weltweit als Synonym für die bahntechnischen Pionierleistungen der Schweiz gilt.

Die Jungfraubahn ist sichtbar gewordene Vision einer Generation, welche sich von der industriellen Revolution und neuen technischen Möglichkeiten faszinieren liess. Diese Pioniere packten die Chance und schrieben ein neues, wichtiges Kapitel in der Geschichte der Schweiz und des Alpentourismus.
Mit ihrem Handeln prägen sie die Schweiz bis heute:

Politisch: durch die Verfassung von 1848 gestärkt, haben sie den Grundstein gelegt, auf dem wir heute noch aufbauen können. Es waren die Bahnpioniere Alfred Escher, Emil Welti und - hier im Berner Oberland - der Zürcher Adolf Guyer-Zeller. Es war Josef Munziger, der Vater der Einheitswährung und des Schweizer Frankens.
Technisch: mit Erfindergeist und mit dem Bau von Infrastrukturanlagen von nationaler Bedeutung (Verkehr, Strom) haben sie jene Industrialisierung möglich gemacht, die den Werkplatz Schweiz stark machte und bis heute zum Erfolg unseres Landes beiträgt. Sie haben mit ihren Werken die unterschiedlichen Regionen der Schweiz zur Willensnation verbunden.

Damals wurde gehandelt. Die Realisierung der Jungfraubahn ist ein herausragendes Beispiel. Man sah ein Problem - man analysierte es - man löste es!
Zwar gab es auch schon damals Einsprachen.
Aber der Jungfrau-Pionier Guyer-Zeller brauchte für die politische Umsetzung gerade mal 3 Jahre.
Der Bau für die 9,34 km lange Bahnstrecke dauerte mit den damaligen technischen Mitteln noch lange 16 Jahre.

Heute wird (oft zu lange) geredet.
Das zeigt etwa die Entstehung des Gotthard-Basistunnels.
Für die politische Umsetzung brauchte man bei der NEAT fast 30 lange Jahre.
Dank der NEAT machen wir die Schweiz im 21. Jahrhundert zukunftsfähig, so wie dies die Bahn-Pioniere damals und die Erbauer der Jungfraubahn gemacht haben.
Den Pioniergeist haben wir also nicht verloren, nur macht es uns oft Mühe zu entscheiden, Neues zu wagen.
Meine Damen und Herren: Versuchen wir wieder etwas mehr Pioniergeist, Mut und Visionäres zu wagen.

Der Schweiz geht es zwar derzeit verhältnismässig gut im Vergleich etwa zu unseren Nachbarn.
Aber verkennen wir die Lage nicht:

Europa steckt nach wie vor in einer instabilen Lage. Die Frage und der Prozess, wie die Eurozone mit den Schulden, zahlreichen schlecht finanzierten Banken, zu hohen Ausgaben und der grossen Arbeitslosigkeit umgeht, werden die EU auf Jahre schwächen. Die Schweiz wird weiter leiden mit dem überbewerteten Schweizer Franken und die Weltkonjunktur wird beeinträchtigt sein. Wir werden uns einstellen und anstrengen müssen, um unsere wirtschaftliche Stärke mit unseren agilen Unternehmen, mit Innovationen, neuen Märkten, einem starken Binnenmarkt und dank dem Ausbildungsniveau und der hohen Leistungsbereitschaft aller Arbeitnehmenden zu behaupten.
Die Krise in der EU wird die Verschiebung der politischen und ökonomischen Macht beschleunigen. Auch die Bedeutung der Schweiz dürfte damit weiter abnehmen. Wir tun also gut daran, uns mit den neuen Staaten auseinanderzusetzen, mit ihnen gute Beziehungen zu pflegen und uns offen zeigen.
Solange es der Schweiz so gut geht werden wir attraktiv bleiben für Personen aus der ganzen Welt, die Arbeit suchen, ein besseres Leben, Hilfe oder das schnelle Geld. Der Zustrom von zahlreichen Menschen jedes Jahr stellt uns vor Belastungsproben. Auch da gilt es Augenmass zu behalten. Arbeitgeber haben Verantwortung und sollten bei der Vergabe von Arbeitsverträgen an Personen aus dem Ausland zurückhaltend agieren.

Meine Damen und Herren: Welche Schweiz erwartet uns in 20 Jahren? Welche Schweiz wollen wir?
Die Antwort ist für mich klar: Eine starke, stabile, sichere und selbstbewusste Schweiz!

Wir werden über diese Eigenschaften verfügen,

weil Schweizerinnen und Schweizern die Fähigkeit zur stetigen Erneuerung haben - ohne den revolutionären Umbruch.
weil wir gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger mit dem nötigen Know-how haben - ohne lähmende Streiks und mit gerechten, bezahlbaren Löhnen.
weil wir Macher sind - ohne Korruption und technokratische Uebertreibungen.

Diese Tugenden - Flexibilität, Neugier und Handlungsbereitschaft - sind wichtig in einer Welt, die sich rasant verändert.
Wir müssen stetig daran arbeiten.
Nur so können wir unsere Freiheit bewahren, uns weiterentwickeln und den nächsten Generationen ein lebenswertes, respektiertes Land hinterlassen.

Denn:

Es ist nicht friedlicher geworden - 2011 wurden mehr kriegerische Konflikte geführt als im Jahr zuvor.
Es hat nicht mehr Platz auf der Welt - 2011 lebten 7 Milliarden Menschen, 2050 werden es 9,3 Milliarden Menschen sein.
Es gibt nicht endlos Ressourcen - die Menschheit verbraucht heute etwa 1,5-mal so viel wie jährlich nachwächst

Diese Entwicklungen gehen nicht spurlos an uns vorbei.
Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind Errungenschaften, die mit Sorgfalt zu schützen sind - bei uns und in Staaten, wo derzeit deswegen Krieg herrscht.
Viele Menschen suchen bei uns Sicherheit und Auskommen.
Viele Menschen leben auf zu grossem Fuss - auch wir Schweizer verbrauchen zu viele Ressourcen

Deshalb müssen wir unsere Beziehungen mit der Welt aufrecht erhalten und uns als verlässlicher Partner erweisen.
Geben wir uns einen Ruck; springen wir über den Schatten.
Mit Visionen und Pioniergeist den Zusammenhalt festigen, Innovationen fördern und die Lebensqualität erhöhen.
Mit dem nötigen Respekt für die schöne Natur, mit dem Mut, über Grenzen zusammenarbeiten und mit der Grösse, zu Gunsten des Gemeinwohls auch einmal selber zurückzustehen.

Dazu brauchen wir Politiker, die über das eigene Parteibuch, die lokale Befindlichkeit, den kantonalen Wahlkreis hinaus blicken.
Dazu brauchen wir Bürgerinnen und Bürger, Unternehmerinnen und Unternehmer mit einem kreativen, unorthodoxen Willen zur Gestaltung, mit innovativen technischen Lösungen und neuen Denkansätzen.
Dazu brauchen wir Macher wie Adolf Guyer-Zeller.

Was ist zu tun?

Schreiben wir jetzt ein neues Kapitel im Buch der Schweiz.
Ein Kapitel mit dem wir in der Zukunft landen und nicht bei den alten Griechen ...

beim Aporetiker, dem ständigen Zweifler,
beim Skeptiker, dem ewigen Prüfer,
bei Zetetiker, dem permanenten Untersucher.

Diese drei haben bereits heute bei uns Hochkonjunktur.

Und wir haben noch einen mehr ....

den Helveticos (ελβετικός) Grinias (γκρινιάρης), den Schweizer Nörgler - alles besser wissen ohne mehr zu wissen.

Orientieren wir uns statt dessen an der Jungfraubahn als Markenzeichen für eine offene, technisch-innovative Schweiz.
Schreiten wir zur Tat.
Orientieren wir uns an T.S. Elliot: "Only those who will risk going too far, can possibly find out how far one can go!"

Ich danke den Erbauern der Jungfraubahn und den Erbauern der modernen Schweiz - sie haben uns gezeigt, was möglich ist.

Ich bin dankbar für das grossartige Geschenk einer wunderschönen Bergwelt - sie ist unser grosses Kapital.

Ich danke ganz besonders heute am 1. August all jenen Menschen, die sich Tag für Tag, Jahr für Jahr in den Familien, an den Arbeitsplätzen, in Vereinen, in der Politik, in der Gesellschaft zum Wohlergehen von uns allen einsetzen - sie sind das Rückgrat der Schweiz.
Sie machen Mut, sich ebenfalls Tag für Tag für unser Land einzusetzen.
Jeder und Jede an seinem Platz.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Nationalfeiertag und viel Erfolg in der Zukunft.

Mit dem Pioniergeist von damals die Schweiz von morgen gestalten