Es ist mir eine Ehre, Sie an der Jahreskonferenz der Schweizer Ostzusammenarbeit begrüssen zu dürfen.

Besonders freut es mich, dass wir uns nicht in einem klassischen Konferenzsaal versammeln, sondern hier im ewz-Unterwerk Selnau zu Gast sein dürfen. Das Unterwerk ist wirtschaftshistorisch ein äusserst interessantes Gebäude, gilt es doch als wertvoller Zeuge des Industriebaus der klassischen Moderne. 1898 entstand hier die erste Umformerstation für die Zürcher Trämli; in der Maschinenhalle wurde Wechselstrom in Gleichstrom umgewandelt.

Genau hundert Jahre später wurde das ewz-Unterwerk Selnau ausser Betrieb gesetzt. Der Grund: Der technische Wandel hatte es überflüssig gemacht. Nur die Gleichrichteranlage und die Transformatorenstation im Untergeschoss werden weiterhin für die Stromversorgung und die VBZ gebraucht.

Die Maschinenhalle, in der wir heute sind, wurde in ein Kulturhaus umgewandelt. Meine Damen und Herren, wer offen und flexibel ist für Wandel, ist bereit für Entwicklung. Wer den Wandel sucht, weiss aber auch, dass er mit Herausforderungen verbunden ist. Wir diskutieren heute Nachmittag über die Herausforderungen einer jungen Marktwirtschaft und thematisieren Programmansätze und Resultate von SECO und DEZA rund um die Erwerbstätigkeit und Beschäftigung im westlichen Balkan.

Seit über 20 Jahren trägt die Schweiz mit ihren Aktivitäten zu politischen und wirtschaftlichen Reformprozessen in den ehemals sozialistischen Ländern Osteuropas und der damaligen Sowjetunion bei. Unser Engagement verfolgt die folgenden zwei Ziele:

Wir wollen einen Beitrag leisten zum Aufbau von rechtsstaatlichen und bürgernahen Institutionen.
Damit stärken wir Menschenrechte und Demokratie
Zweitens fördern wir eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung, welche die natürlichen Ressourcen nachhaltig nutzt.

Im Folgenden will ich auf drei Punkte eingehen, die für unseres Ost-Zusammenarbeit von grosser Bedeutung sind: Erstens, die Rolle der Ausbildung, zweitens die Bedeutung des Privatsektors in der Förderung der Beschäftigung. Drittens werde ich mich zur Transitions-Zusammenarbeit ganz generell äussern.

1.
Die Rolle der Ausbildung

Wirtschaftliche Entwicklung ist nur möglich, wenn in dem entsprechenden Land die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten vorhanden sind. In der Schweiz sind wir verwöhnt mit unserem Bildungssystem; unser Arbeitsmarkt funktioniert, weil unsere Erwerbstätigen gut ausgebildet sind. Dies liegt nicht zuletzt an unserem dualen Bildungssystem und unserem Wissenschaftsstandort.

Ganz anders in Transitionsländern. Die Zahlen sind gravirend: Fast jede zweite Person zwischen 15 und 24 Jahren ist arbeitslos. Besonders stark betroffen sind Jugendliche in strukturschwachen Regionen und aus ethnischen Minderheiten.

Vor diesem Hintergrund entwickelte die Schweiz für die Partnerländer verschiedene Programme zur Berufsbildung und Arbeitsmarktintegration von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. So unterstützt die DEZA zum Beispiel in Albanien den Ausbau des Berufsschulsystems.

Allein im Schuljahr 2009-2010 meldeten sich an 10 Berufsbildungsinstitutionen rund 300 Studierende für Lehrgänge in Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärtechnik an. Bei Projekt-Ende werden somit rund 12% aller Berufsschülerinnen und -schüler ihren vierjährigen Ausbildungsweg auf diese Weise bestritten haben.

Noch wenig entwickelt ist im Balkan die Zusammenarbeit von Ausbildungsinstitutionen mit dem Privatsektor; innovative Ansätze sind nötig. Die Schweiz fördert daher - basierend auf der eigenen langjährigen Praxis - den Einbezug von Arbeitgebern, die Lernende ausbilden. Damit können Nachfrage und Angebot der Berufe besser abgestimmt werden. Die Berufsausbildung wird sozusagen arbeitsmarktgerecht.

2.
Die Bedeutung des Privatsektors für Entwicklung und Beschäftigungsförderung

Nach Angaben der Weltbank braucht es über die nächsten 15 Jahre angesichts der wachsenden Weltbevölkerung 600 Millionen neue Arbeitsplätze, um allein schon die heutige Erwerbsquote zu halten. Die Beschäftigungsförderung ist daher zu einem äusserst wichtigen entwicklungspolitischen Anliegen geworden. Anlässlich des Jahrestreffens der Weltbank Mitte Oktober, an welchem ich als Gouverneur teilgenommen habe, wurde der diesjährige Weltentwicklungsbericht vorgestellt. Dieser setzt sich umfassend mit dem Thema Arbeit und Beschäftigung auseinander.

Die Analyse und Empfehlungen des Berichtes zielen klar darauf, über die individuelle Wohlfahrtssteigerung und den unternehmerischen Gewinn hinaus den Beschäftigungsgrad zu steigern, wodurch letztlich auch eine grössere gesellschaftliche Kohäsion erreicht werden kann. Im Bericht wird hervorgehoben, dass gerade in Entwicklungs- und Transitionsländern die spezifischen Merkmale eines Landes wie die ökonomische Struktur, die Demographie und die institutionelle Kapazität entscheidend sind, um ein geeignetes Massnahmenpaket zu definieren.

Schon moderateste Änderungen im Bereich der staatlichen Regulierung können oftmals grosse Wirkung haben, um das Agieren des Privatsektors zu ermöglichen - und letztlich die gewünschte Beschäftigungswirkung zu erzielen. Und der Privatsektor muss agieren können; denn er ist es, der Arbeitsplätze schafft. Wir sind überzeugt, dass unser Engagement im Bereich der Privatsektorförderung sowie der Berufsbildung in unseren Partnerländern im Westbalkan langfristig zu einer Beschäftigungsförderung führt.

Die Schweiz, meine Damen und Herren, ist ein klassisches KMU-Land. KMU bilden die überwältigende Mehrheit der marktwirtschaftlichen Unternehmen (99,7%). Und sie bieten gemeinsam rund 2/3 aller Arbeitsplätze an. Diese Arbeitsplätze sind der Rückgrat einer jeden Wirtschaft. Unser Engagement in den Partnerländern fördert gezielt die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Steigerung der Arbeitsproduktivität.

Dazu kann das SECO innerhalb des Eidg. Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, wie mein Departement nächstes Jahr neu heisst, auf unterstützende wirtschafts-, handels-, ausbildungs- und arbeitsmarktpolitische Fachkompetenz zurückgreifen.

Wie kann nun ganz konkret ein beschäftigungswirksamer Privatsektor gefördert werden? Die Schweiz arbeitet dafür in seinen Partnerländern auf verschiedenen Ebenen:

Erstens fördern wir Arbeitsmarktanalysen, damit die Beschäftigungspolitik der Partnerländer auf prioritäre Entwicklungsbedürfnisse abgestimmt werden kann - einschliesslich der Armutsbekämpfung.
Zweitens gestalten wir effiziente Rahmenbedingungen mit;
im Fokus steht die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit lokaler Unternehmen in globalen Wertschöpfungsketten.
Drittens schaffen wir Arbeitsplätze: unsere Projekte bringen administrative Erleichterungen und verbessern den Zugang zu Kapital und Absatzmärkten. Die KMU-Förderung ist kein Selbstzweck, sondern sie schafft Arbeitsplätze und verhilft vielen Familien, der Armut zu entkommen. Das SECO vermittelt beispielsweise unternehmerische Fähigkeiten im Rahmen von Unternehmerförderungs-Programmen. Diese helfen auch, den Zugang zu externen Finanzierungen zu erleichtern - wie Sie heute Nachmittag noch sehen werden.
Schliesslich verbessern wir die Kompetenzen und Fähigkeiten der Arbeitnehmer: Die Arbeitsnachfrage ist oft gross, aber es mangelt an Fachkräften. Solche Ungleichgewichte hemmen die wirtschaftliche Entwicklung und die für ein nachhaltiges Wachstum wichtige sektorielle Diversifizierung.

Alle diese Unterstützungsbereiche tragen zur Entwicklung der jungen Marktwirtschaften im westlichen Balkan bei.

3. Die Transitionszusammenarbeit

Mit dem Systemwandel in Osteuropa wurden alte Weltordnungen zerstört und es entzündeten sich wirtschaftliche Krisen und Konflikte. Folglich war das Schweizer Engagement darauf angelegt, soziale Härten des Aufbauprozesses abzufedern und die Reformkräfte zu stärken. Die Transitionshilfe der Schweiz war in den Anfängen also in erster Linie durch Solidarität motiviert. Damals stellte man sich die Transition hin zu einer Demokratie und sozialen Marktwirtschaft als ein Ein-Generationenprojekt vor. Die Vision erschien einfach und zeitlich begrenzt.

Heute zeigt es sich, dass diese Einschätzung zu optimistisch war, denn viele Bürgerinnen und Bürger dieser Länder haben bisher kaum von den positiven Auswirkungen des Wirtschaftswachstums profitieren können. Doch trotz beachtlicher Fortschritte bleiben zahlreiche Herausforderungen bestehen;

Im Westbalkan gehen heutzutage noch immer viele Menschen keiner bezahlten Arbeit nach. Oft sind sie zu wenig qualifiziert, um am wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Oft sind aber auch die politischen und wirtschaftlichen Mächte noch sehr stark konzentriert; was dem Privatsektor wenig Raum lässt, um sich zu diversifizieren und Einkommen für eine breite Bevölkerungsschicht zu generieren.

Am 11. September hat der Ständerat als Zweitrat die Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2013-2016 gut geheissen.

Erstmals wurden alle Aufgaben der internationalen Zusammenarbeit (diese umfasst die humanitären Hilfe, die Entwicklungszusammenarbeit, die wirtschafts- und handelspolitischen Massnahmen UND die Ostzusammenarbeit) in einer Vorlage präsentiert und gleichzeitig in eine Gesamtstrategie eingebettet.

Meine Damen und Herren, die Unterstützung unserer östlichen Nachbarn in der Transition zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft ist weiterhin nötig. Wir sind überzeugt, dass in der globalisierten Welt, in der wir heute leben, die Disparitäten innerhalb und zwischen den Ländern abgebaut werden müssen.

Grosse Unterschiede führen zu inneren sozialen Spannungen und lösen Migration aus. Dies ist nicht in unserem Sinne. Faire und sichere Arbeitsplätze sollen dort entstehen, wo die Leute ihre Wurzeln haben. Dafür stehen wir mit unserem Engagement!

Ich wünsche Ihnen nun einen interessanten Konferenznachmittag. Besten Dank!

Es gilt das gesprochene Wort!