Seit 500 Jahren leisten die Schweizergardisten einen Schwur. Sie schwören "treu, redlich und ehrenhaft zu dienen, dem regierenden Papst und seinen rechtmässigen Nachfolgern, bereit zu sein, selbst ihr Leben hinzugeben".

500 Jahre, ein halbes Jahrtausend, das ist eine lange Zeit. Niemand von uns kann sie wirklich ermessen.

Vor 500 Jahren war die Welt eine andere.
- Die Erde war anders. Man hielt sie für den Mittelpunkt des Universums.
- Europa war anders. Es sah sich als Zentrum der bekannten Welt, andere Kontinente waren kaum entdeckt.
- Die Schweiz war anders. Sie ging auf Kriegszug, eroberte Mailand und andere italienische Städte, und zwar unter Matthäus Schiner, dem Walliser Kardinal. Marignano, wo diese Träume ein abruptes Ende fanden, lag noch vor ihr.
- Die Päpste waren anders. Sie glichen oft mehr Feldherren als Hirten.
- Auch die Gardisten vor 500 Jahren waren etwas ganz anderes als die heutige Garde. Schweizerische Söldner riskierten in ganz Europa ihr Leben für fremde Mächte. Sie liessen sich für ihre Dienste fürstlich entlöhnen. Noch heute heisst es deshalb: "pas d'argent, pas de Suisses".
Ein deutscher Humanist bezeichnete damals die Schweizer Reisläufer sogar als  "starke, drohende, bösartige und kriegerische Wilde, die sich schon von der Wiege an zum Kriegshandwerk üben, die sich vom Blut der Christen ernähren und sich am Zwist zwischen den Königen bereichern."

Seither sind 20 Generationen gekommen und gegangen, 33 Gardekommanten sind an der Spitze des Korps gestanden, 50 Päpste haben den Stuhl Petri bestiegen und 158 Schweizer Bundespräsidenten hat es gegeben. Im Gegensatz zum Papst wechseln sie jährlich, aber dafür können sie zweimal Bundespräsident werden. Papst wird man nur ein einziges Mal.

Heute, 500 Jahre später, wissen wir eigentlich, dass unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Kosmos ist. Dennoch beuten wir sie aus, als ob wir die Herren der Schöpfung wären.

Heute sollten wir eigentlich auch wissen, dass Europa nicht mehr das Zentrum der Welt ist. Und doch wollen hier viele nichts von Menschen anderer Herkunft und anderer Farbe wissen.

Heute ist die Welt ein globales Dorf und die Schweiz hat ihre Grossmachtsträume  längst begraben. Sie ist im globalen Dorfrat, der UNO und setzt sich für Solidarität und Frieden ein.

Auch das Papsttum hat seine militärischen und politischen Ansprüche aufgegeben. Der Kirchenstaat, der einst grosse Teile Italiens umfasste, ist auf wenige Hektaren reduziert worden. Die Päpste sind zu geistlichen Führern geworden, die für Frieden und Gerechtigkeit eintreten.

Die katholische Kirche ist global geworden: Die Mehrheit ihrer Mitglieder lebt nicht mehr in Europa und in Nordamerika.

Ganz anders geworden ist auch die Schweizergarde. Im Gegensatz zu früher müssen sie das Kriegshandwerk nicht mehr beherrschen. Die Aufgabe der einstigen wilden Kerle ist eine noblere: Der Schutz des Papstes. Die Funktion der Gardisten hat sich gewandelt. Geblieben ist der Eid auf die Treue.

Diese Treue steht im Zentrum des heutigen Jubiläums. Sie feiern wir heute.

Treue ist ein grosses Wort. Wie oft wird sie im politischen wie im privaten Leben beschworen. Wie oft wird sie gebrochen, bevor der Hahn dreimal kräht. Wie oft wird Treue heute darauf reduziert: "Ich bleibe mir selber treu."

Welchen Paaren, die sich einmal ewige Treue geschworen haben, gelingt dies?

Treue ist die Grundlage jeder menschlichen Beziehung - auch der Beziehungen zwischen Staaten oder in der Wirtschaft. Ohne Grundwerte wie die Treue und das gegenseitige Vertrauen haben weder das Recht noch das Zusammenleben der Menschen Bestand.

Ohne Treue führt schon der kleinste Wandel zum Bruch der Beziehung. Erst die Treue ermöglicht das Gespräch über Schwierigkeiten und verhindert so gewaltsame Auseinandersetzungen.

Deshalb schreibt der Staat in den Gesetzen vor, dass wir nach "Treu und Glauben" handeln sollen. Das steht auch in der UNO-Charta. Doch trotz solcher Gesetze kann kein Staat und keine Staatengemeinschaft garantieren, dass die Menschen sich immer an diese Regeln halten. Selbst mit Polizei und Militär lässt sich das nicht durchsetzen.

Die Staaten sind auf das Grundwasser von Gewissen und Gemeinsinn angewiesen. Sie bilden und schärfen unser ganzes Denken, und prägen die Werte von Generation zu Generation.

Wie die Welt in 500 Jahren aussehen wird, wissen wir nicht. Sicher werden die heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse in 500 Jahren von unseren Nachfahren belächelt. Aber: Krieg wird kaum von der Welt verbannt sein. Und gewiss werden Menschen weiterhin versuchen, zur Gewalt anzustacheln und sich dabei auf religiöse Überzeugung zu berufen.

Da ist es unsere Verantwortung, den Unterschied zwischen Glauben und Krieg beim Namen zu nennen und das Wort des Friedens zu erheben. 

Die Schweizer Garde ist heute sicher die schwächste Armee auf der ganzen Welt, dafür aber der wirksamste Sicherheitsdienst. So symbolisiert sie ihre Treue durch alle Wandlungen der Zeit, über Meinungsunterschiede und Auslegungsfragen hinweg, über die Veränderungen der Geschichte hinaus. So steht sie abseits aller militärischen Gewalt im Dienste des Friedens und ihre Hellebarde erinnert schon beinahe an Pflugscharen, die früher Schwerter waren.

Der Wandel der Schweizergarde soll uns allen  eine Verpflichtung sein. Denn wir Christen haben aus einer schmerzlichen Geschichte gelernt, dass die Kraft unseres Glaubens niemals auf Gewalt beruhen kann. Wir wissen es und wir sagen es: Gewalt schafft niemals Frieden. Auch die Politik kann Frieden kaum mit kriegerischer Gewalt schaffen. Wir sehen das ja nicht nur im Irak: Moralische Werte lassen sich mit Waffen weder verbreiten noch verteidigen. Im Gegenteil: Gewalt erzeugt stets neue Gewalt.

Und: Wer auf physische Gewalt verzichtet, gewinnt an moralischer Autorität.

Menschen, Religionen und Staaten können ihre Differenzen nur im Dialog beilegen. Ungleichheiten, seien sie militärisch oder wirtschaftlich, erschweren oder verhindern einen solchen Dialog. Deshalb müssen die krassen wirtschaftlichen Ungleichheiten auf dem Globus abgebaut werden. Nur wer genügend Nahrung, Wasser und Einkommen hat, widersteht Gewalt und Kriegshetze. Nur wer Bildung und Mitsprache hat, ist resistent gegen religiösen Fanatismus und politischen Extremismus.

Welche Vorstellungen die Welt in 500 Jahren beherrschen werden, wissen wir nicht. Wir wissen nur: Mit Gewalt und kriegerischen Invasionen werden weder Frieden, noch Demokratie, noch Gerechtigkeit herbeigeführt. Es braucht den Ausgleich zwischen Arm und Reich, den Dialog unter den Kulturen und Religionen und es braucht das menschliche Mitgefühl. Um anderen Menschen treu sein zu können, müssen wir den Werten, die über Jahrhunderte von Generation zu Generation weiter gegeben wurden, treu bleiben.

500 Jahre lang haben sich Papst und Garde Treue geschworen. Morgen werden 33 junge Schweizer Gardisten erneut den Eid leisten, "treu, redlich und ehrenhaft zu dienen".

Wir danken Ihnen für ihre Treue.

Festakt „500 Jahre Päpstliche Schweizer Garde“