"Der Bürger liebt sein Finanzamt mit der gleichen Leidenschaft wie der Metzger den Vegetarier", schrieb einst ein deutscher Journalist. Würde man eine Umfrage in der Schweizer Bevölkerung machen, Steuern nähmen wohl auch hierzulande keinen Spitzenplatz in der Beliebtheitsskala ein. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb:

Steuern beschäftigen jeden und alle haben eine Meinung dazu. Ich begrüsse daher Ihren Dialog und danke Ihnen für Ihren Einsatz im Dienste eines zentralen Politikbereichs der Schweiz.

Meinen Vortrag widme ich einem wichtigen Thema: dem
Steuerwettbewerb. Wir Schweizer haben dazu einen reichen Erfahrungsschatz. Der Föderalismus ist für das Verständnis unseres Landes ein prägendes Merkmal. Er bedeutet ein politisches Ordnungsprinzip, das auf humanistischen Werten wie Freiheit, Menschenwürde und Solidarität basiert. Der Föderalismus ist eine Absage an den Zentralismus.
Ich halte unseren Föderalismus angesichts der verschiedenen Sprachen, Religionen und Kulturen als identitätsstiftend und daher unverzichtbar.
Kernelement ist dabei die Steuerautonomie der Kantone. Die so genannte "power to tax" stellt die Basis politischer Macht dar. Ohne ausreichende Steuergewalt bliebe die Autonomie und damit das Selbstverständnis der Kantone nur Stückwerk. Statt Steuerwettbewerb hätten wir einen "Wettbewerb der Beutejäger". Gefeierte "Beutejäger" wären solche, die zu Lasten der Gesamtverantwortung reichlich "Bundesmanna" für ihren Kanton erbeuten können.

Insofern die Menschen mobil sind und ihren Wohn- und Arbeitsort wechseln können,
führt die Steuerautonomie zu Steuerwettbewerb. In der Beurteilung dieses Wettbewerbs gehen die Meinungen seit jeher auseinander. Die Klagen über den Steuerwettbewerb sind kein neues Phänomen. Es ist überliefert, dass sich ein badischer Finanzpolitiker im frühen 19. Jahrhundert über die Stadtverwaltungen in Karlsruhe, Heidelberg und Freiburg ärgerte, die "… in zu starkem Mass von dem Bestreben beeinflusst sind, im Hinblick auf die Konkurrenz anderer gleichartiger Städte, die Umlage niedrig zu halten, um wohlhabende Familien, Rentner und Pensionäre zu dauernder Niederlassung in ihrem Gemeindegebiet zu veranlassen." Auch ist überliefert, dass eine Steuerreformsdiskussion in Zürich schon um 1883 vom Steuerwettbewerb geprägt war. Die Gegner der damaligen Steuererhöhungspläne argumentierten, dass ein weiterer Anstieg der Steuerbelastung zu einer Flucht der "Kapitalisten" führen würde. Die Steuerbelastung in Zürich war übrigens damals um etwa das Sechsfache höher als jene in Basel. Eine Differenz, die heute schwer vorstellbar ist.

Für die Schweiz ist der Steuerwettbewerb von innen- und aussenpolitischer Bedeutung. Es ist daher wichtig, sich klar zu werden, ob der Wettbewerb, der auf fast allen Gebieten nützlich ist, wirklich dann schädlich sein soll, wenn es um die Steuern geht? Zur Beantwortung dieser Grundsatzfrage ist es hilfreich, die beiden möglichen Extremvarianten einander gegenüberzustellen.

Das eine Extrem wäre eine Schweiz, in der sich Personen und Unternehmen frei und ohne Verpflichtung an die Gemeinschaft ihren Wohn- und Standort aussuchen können. Es bestünde kein regionaler Ausgleich. Dies wäre eine unsympathische Schweiz. Die Bevölkerung wäre segmentiert einerseits in umzäunte Siedlungen für reiche und Tüchtige mit tiefen Steuern und hohem Leistungsniveau und anderseits in verarmte Ghettos mit sozialen Randgruppen.
Das andere Extrem wäre eine völlig egalitäre Schweiz mit einer Gesellschaft ohne lokale Identität, mit einheitlichen Steuer- und Sozialgesetzen, einer gleichmässigen und durchschnittlichen Versorgung an öffentlichen Leistungen und mit minimalen lokalspezifischen kulturellen Ausprägungen. Dies alles gelenkt durch eine mächtige Zentrale in Bern. Auch dies wäre keine sympathische Schweiz. Niemand hat weder an anarchischen noch an zentralistischen Zuständen ein Interesse. Die optimale Lösung muss irgendwo zwischen den beiden Extremen liegen. Aber wo?

Eine sympathische und föderalistische Schweiz besteht aus drei bewährten Fiskalelementen: Steuerwettbewerb, Finanzausgleich und formeller Harmonisierung der Steuerbasis. Lassen Sie mich diese 3 Themen kurz anschneiden:

erstens muss der
Steuerwettbewerb aufrechterhalten werden. Ohne Möglichkeiten zur Auswanderung liesse sich der Steuerappetit der Regierungen nur ungenügend zähmen. Einwohner, die mit der Politik eines Kantons nicht einverstanden wären, hätten nicht mehr die Möglichkeit, sich dem Diktat der Mehrheit zu entziehen. Historisch gesehen hat diese Ausstiegsmöglichkeit eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer freien Gesellschaft gespielt. Viele Bauern konnten im Mittelalter das feudale Joch nur abschütteln, indem sie in die freien Städte flüchteten. Angesichts der beschränkten demokratischen Selbstkontrolle lässt sich die politische Macht durch die Macht der Abwanderung beschränken. So wie ein demokratischer Staat sich gegen die Anarchie zu schützen weiss, schützt uns der Steuerwettbewerb vor dem Verlust des individuellen Freiraums.
Eine sympathische und föderalistische Schweiz erfordert zweitens, dass man einen Ausgleich zwischen den Landesteilen sucht. Es geht um Kohäsion, um den Zusammenhalt der Willensnation Schweiz. Diesen erreicht man über den
Finanzausgleich. Er zielt darauf ab, die finanziellen Disparitäten zwischen den einzelnen Kantonen auszugleichen. Am 28. November 2004 hat der Souverän diese Politik bekräftigt. Das Volk hat die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben NFA mit einer Mehrheit von 64,4 Prozent der Stimmen und von 20 1/2 Ständen angenommen. Mit der Annahme der NFA wird der Finanzausgleich auf eine neue, effizientere Basis gestellt. Der unkluge Anreizmechanismus wird beseitigt: Steuererhöhungen eines Kantons werden nicht mehr mit höheren Bundessubventionen an diesen Kanton belohnt. Die Ermittlung des Ressourcenpotenzials eines Kantons erfolgt ab 2008 über die so genannte "aggregierte Steuerbemessungsgrundlage". Das heisst, im Gegensatz zur noch gültigen Ermittlung der Finanzkraft, ist es nicht mehr entscheidend, wie stark ein Kanton aus seiner Steuerbasis schöpft, sondern wie gross seine Steuerbasis ist. Damit kann die Finanzkraft bzw. das Ressourcenpotenzial weitgehend unabhängig von der kantonalen Steuerpolitik ermittelt werden.
Drittens ist eine
formelle Harmonisierung der Steuerbasis Teil des Fundaments einer sympathischen und föderalistischen Schweiz. So werden Transparenz und Rechtssicherheit erhöht. Die Vereinheitlichung der zeitlichen Bemessung ist dabei einer der wichtigsten Vorteile. Gleichzeitig dient die formelle Steuerharmonisierung der Vergleichbarkeit der kantonalen Steuerpolitik und schafft damit eine gemeinsame Basis für einen fairen Finanzausgleich.

Im nächsten Jahr feiert die formelle Steuerharmonisierung ihren 30. Geburtstag. Anlässlich der Abstimmung zur formellen Steuerharmonisierung von 1977 wurde auch eine materielle Harmonisierung der Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden diskutiert. Der Bundesrat verwarf diese Idee jedoch ausdrücklich. Er argumentierte, dass "… die einzelnen Kantone und Gemeinden sehr unterschiedliche Finanzbedürfnisse haben; der bundesrechtliche Einheitstarif müsste deshalb ohnehin durch kantonale und kommunale Zuschläge ergänzt werden; eine Belastungsharmonisierung würde nicht erreicht. Besser und dem föderalistischen Staatsaufbau angemessener ist es, eine gewisse Belastungsangleichung durch eine Verbesserung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs anzustreben. Dieser setzt indessen eine Harmonisierung der Besteuerungsgrundsätze voraus; denn nur wenn einmal alle Kantone die gleichen Steuern nach denselben Grundsätzen erheben, kann Gleiches mit Gleichem verglichen, können Unterschiede der Finanzkraft zwischen den Kantonen auf zureichender Grundlage festgestellt werden."

Auch heute noch gilt: eine
materielle Steuerharmonisierung wäre kein geeignetes Instrument zum Ausgleich kantonaler Disparitäten. Schlimmer noch, eine materielle Steuerharmonisierung würde den Nutzen des Steuerwettbewerbs zu Nichte machen.
Der Nutzen des Steuerwettbewerbs für unsere Gesellschaft ist jedoch vielfältig: nicht nur zügelt er den Steuerappetit der Regierung und verhindert ein Steuerkartell, welches die Steuerschraube kontinuierlich anzieht. Die Kantone stehen auch in einem Qualitätswettbewerb untereinander. Ich bin überzeugt: die
Kraft des Steuerwettbewerbs liegt in seinem Innovationspotenzial; im Experimentieren mit neuen Lösungen. Der ehemalige Richter am US Supreme Court, Louis Brandeis, hat dies treffend zusammengefasst: "Eines der glücklichen Begleiterscheinungen des Föderalismus ist, dass ein mutiger Gliedstaat als Labor dient, und so neue soziale und ökonomische Experimente ausprobiert, falls es die Bevölkerung wünscht, ohne damit ein Risiko für die gesamte Nation darzustellen".

Der Steuerwettbewerb wirkt wie eine offene Arena für gesellschaftliche Experimente, in der immerzu neue politische Gestaltungsentwürfe erprobt und einer wettbewerblichen Auslese unterworfen werden. In deren Verlauf werden bessere Lösungen beibehalten und imitiert, unterlegene Lösungen aufgegeben. Vorteilhafte politische Regelungen werden nämlich nicht von planender Voraussicht, sondern von wettbewerblicher Auslese, von Versuch und Irrtum geleitet.

Die wichtige Erkenntnis ist, dass man bei allen Bemühungen in der Politik nie sicher sein kann, bereits die beste Lösung gefunden zu haben. Man ist in allen Lebensbereichen auf das Entdeckungspotenzial wettbewerblicher Prozesse angewiesen, in denen verschiedene Lösungen ausprobiert und in ihrer Leistungsfähigkeit aneinander gemessen werden können.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Jahr 1973 stimmte der Kanton Basel-Landschaft über eine Reichtumsteuer ab. Die Reichtumsteuer wurde damals vom Volk angenommen und belegte höhere Einkommen mit massiven Zuschlägen. Beispielsweise erreichte die Progression einen Wert von 140 % des ordentlichen Steuerbetrags bei einem Einkommen von über 500'000 CHF. Die Reichtumssteuer brachte in der Folge aber nicht den von den Initianten anvisierten Zusatzertrag, sondern sie bewirkte sogar einen Ausfall an Steuererträgen. Der Reichtumsteuer war daher kein langes Leben beschieden. Schon 1975 wurde das befristete Gesetz in ein neues kantonales Steuergesetz mit moderaterer Progression überführt.

Vergegenwärtigen wir uns zusätzlich zwei aktuelle Probleme im Steuerbereich: die wirtschaftliche Doppelbelastung der ausgeschütteten Unternehmensgewinne und die Heiratsstrafe. Viele Kantone haben in einem Prozess der Imitation, des Versuchs und Irrtums die Probleme weitgehend gelöst. Nicht jeder Kanton auf die gleiche Weise, aber abgestimmt auf die kantonalen Besonderheiten. Die Kantone haben ihre Hausaufgaben gelöst. Jüngstes Beispiel sind die Entscheide zum Teilbesteuerungssatz der Glarner Landsgemeinde. Das Problem liegt heute im Bereich der direkten Bundessteuer. Ich frage Sie: hätten wir die Probleme mit einem materiell harmonisierten Steuersystem einfacher gelöst? Kaum: ich gehe davon aus, dass wir in einem solchen Fall noch Jahre einer Lösung harren würden, denn politische, konfessionelle und kulturell bedingte Vorstellungen über eine richtige Steuer- und Ausgabenpolitik gehen in der Schweiz weit auseinander. Wäre es angesichts dieser Ausgangslage klug, eine weitere Harmonisierung anzustreben? Nein, denn die innovative Kraft des Steuerwettbewerbs ist ein wichtiger Aspekt. Der ehemalige Landammann und Ständerat Raymond Broger behauptete an der Innerrhoder Landsgemeinde im April 1976 nicht ohne Grund: "Es gibt überhaupt fast nichts, was dem Bund selbst in den Sinn gekommen ist. Fast alles hat er den Kantonen aus ihren praktischen Experimentierfeldern abgeschaut". Die Erfahrung zeigt, dass sich Steuerreformen auf kantonaler Ebene rascher durchsetzen lassen als auf Bundesebene. Die Kantone können flexibler auf die Herausforderungen reagieren. Damit erhöht sich die steuerliche Attraktivität, was nicht zuletzt auch die kritische Aufmerksamkeit ausländischer Beobachter auf uns lenkt. Diesen Druck gilt es auszuhalten.

Dies bedeutet auch, dass wir bei der
formellen Harmonisierung der Steuerbasis nie fertig gedacht haben. Wir müssen den Mut für gelegentliche Anpassungen aufbringen. Ein Beispiel stellt die Kapitalsteuer dar. Während der Bund - mit guten Gründen - die schädliche Kapitalsteuer anlässlich der ersten Unternehmenssteuerreform abgeschafft hat, schreibt er den Kantonen im Steuerharmonisierungsgesetz nach wie vor die Erhebung dieser Steuer vor! Die Kantone werden also daran gehindert, sinnvolle Reformen ihres Steuersystems vorzunehmen. Das Argument, dass diese Steuer ja auf einen sehr kleinen Satz reduziert werden könne, vermag nicht zu überzeugen. Die Aufhebung dieser Steuer würde nicht nur die Standortattraktivität der Schweiz (oder zumindest einiger Kantone) steigern, sondern auch eine echte Vereinfachung des Steuersystems bringen. Die Vorlage zur zweiten Unternehmensteuerreform sieht hier über die Anrechung der Gewinnsteuer an die Kapitalsteuer eine Lösung vor.

In einer globalisierten Welt mit sich verschärfendem Steuerwettbewerb wird die flexible Anpassung des Steuersystems an die sich ändernden Rahmenbedingungen immer wichtiger. Der Bund reagiert auf diese Herausforderungen träger als die Kantone. Wir tun deshalb gut daran, wenn wir unsere Kantone ihre komparativen Vorteile im internationalen Steuerwettbewerb voll ausspielen lassen. Davon profitiert die Schweiz insgesamt. Dies bedingt aber, dass wir die Kantone nicht mit Fesseln einer materiellen Steuerharmonisierung belasten.

Das Fazit mündet in 3 Thesen:

Der
Föderalismus ist ein wesentliches Identifikationsmerkmal der Schweiz. Lebendiger Föderalismus setzt eine weitgehende Steuer- und Ausgabenautonomie der Kantone voraus. Dies führt zu Steuerwettbewerb.
Steuerwettbewerb ist ein integraler Bestandteil einer erfolgreichen und modernen Schweiz. Die Zähmung des Steuerappetits und die Verhinderung eines Steuerkartells durch Steuerwettbewerb sind dabei wichtige Vorteile. Ebenso wichtig ist der Steuerwettbewerb als Entdeckungsverfahren. Er regt die politische Innovation an, das Experimentieren mit neuen Lösungen. Damit werden Erfolgschancen politischer Reformen maximiert und die Kosten eines Scheiterns minimiert.
Der Steuerwettbewerb bringt neben Vorteilen auch Nachteile mit sich. Zwischen völliger Entsolidarisierung und völliger Gleichmacherei muss es eine Balance geben. Diese Balance wird durch einen effizienten
Finanzausgleich und eine
formelle Harmonisierung der Steuerbasis erreicht. Die materielle Steuerharmonisierung muss dagegen abgelehnt werden: sie trägt nicht zum Ausgleich der kantonalen Disparitäten bei. Es ist eher zu befürchten, dass damit die peripheren Regionen entweder zu "Armenhäusern" verkämen oder sich die Kantone als "Beutejäger" in Bern profilieren müssten.

Steuerwettbewerb, Finanzausgleich und formelle Harmonisierung der Steuerbasis sind ein bewährtes Erfolgsrezept der Schweiz. Tragen wir Sorge zu diesem erfolgreichen Dreigespann.

Den Wettbewerb in der Steuerpolitik sichern