Meine verehrten Damen und Herren,

Die NZZ hält Rückschau und Ausblick. Es ist mir eine grosse Freude und Ehre, mit dabei zu sein. Ich überbringe Ihnen die besten Grüsse der Landesregierung. Und ich will Ihnen danken! Danken, für Ihr Engagement, ideell und materiell, meine sehr verehrten Damen und Herren Aktionäre und Medienschaffende! Ich weiss um die gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit - auch für Ihre Branche. Umso wichtiger und anerkennenswerter ist es, dass die NZZ-Gruppe wie ein Fels in der Brandung, wertebasiert, bestehen bleibt!

Ich habe es damit gesagt, die NZZ ist Teil einer Branche, die mitten in einem tiefgreifenden Strukturwandel steht. Der Strukturwandel verändert die Branche in ihrem Kern. Oder anders gesagt: Die Technik verändert die Art des Journalismus in seinen Festen. Aber etwas kann und darf die Technik nicht - nämlich, die Solidität und die Wertehaltung guten Journalismus‘ in Frage stellen.

Sie, meine sehr geehrte Damen und Herren, garantieren, dass Ihre Journalistinnen und Journalisten Produkte anbieten können, die weiterhin auf jene publizistische Grundhaltung basieren, auf der die NZZ seit jeher aufgebaut wurde und wird. Und auf welcher Basis sie zu einem der einflussreichsten Blätter im deutschsprachigen Raum geworden ist. Ihr Kürzel klingt mindestens so vielversprechend wie diejenigen von FAZ, Welt, FT oder Times.

Und dabei ist die NZZ nicht das auflagestärkste Medium in unserem Land. Klasse ist eben nicht Masse. Wahre Grösse zeigt sich nicht in der Auflage, wahre Grösse zeigt sich in der Haltung und in der Qualität. Und Haltung und Qualität werden zunehmend zu kostbaren Gütern. Das gilt für Sie in den Medien ebenso wie bei uns in der Politik. Solide Orientierung und eine sachliche profunde Auseinandersetzung mit komplexen Themen - und was ist schon nicht komplex - wird immer schwieriger. Vor fast 30 Jahren forderte deshalb der ehemalige Chefredaktor der NZZ, Fred Luchsinger, in einer auch heute noch lesenswerten Rede, ich zitiere: „eine Publizistik, die es mit der Gegenwart, mit dem liberalen Erbe, mit den verteidigungswürdigen Werten noch ernst meint und die dem allgemeinen Hang zu unterhaltsamer Oberflächlichkeit zu widerstehen sucht."

Das heisst auf heute übersetzt: Gefragt ist weiterhin eine Publizistik, die nicht auf Effekte aus ist, sondern auf Relevanz aufbaut. Luchsinger's Worte haben weder an Aktualität noch an Gültigkeit verloren. Auch, oder vielleicht gerade weil sich in diesen Jahren vieles so dramatisch geändert hat. Die Geometrie der Welt ist heute eine andere als Mitte der achtziger Jahre. Die Sowjetunion ist Geschichte. Mit oder ohne Renaissance ist wohl die aktuelle Frage. China ist auf dem Weg vom Drittweltland zur wirtschaftlichen Weltmacht erster Güte, die USA wurden zwischenzeitlich zum Mass aller Dinge, haben ihre unbestrittene Vormachtstellung aber wieder eingebüsst und Europa durchlief EWR, EG und wurde zur EU der 28. Und diese ringt um ihre Zukunft und um eine neue Identität.

Auch unser Land ist nicht mehr die Schweiz von damals, auch wenn dies manche gerne weiterhin so sähen. Das macht das Abstimmungsresultat vom 9. Februar in geradezu frappanter Deutlichkeit klar. Wenn man so will, sind an diesem Sonntag im Februar zwei Konzeptionen und zwei Geschwindigkeiten der Schweiz aufeinander getroffen. Zum einen eine Schweiz, die sich als kleines, wohlhabendes, als abgesichert geglaubtes und wissensorientiertes Land sieht und zum anderen eine Schweiz, die als Land im Herzen Europas zu den 20 grössten Wirtschaftsmächten gehört und in Sachen Innovation und Wettbewerbsfähigkeit an der Weltspitze steht.

Der 9. Februar steht für eine Kollision von einer traditionell gewachsenen, historischen Schweiz mit einer international denkenden und global handelnden, offenen Schweiz. Diese beiden Überzeugungen machen die Schweiz aus. Diese beiden Welten, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir zusammenführen - zum Wohle von uns allen und auch zum Wohle unseres Umfeldes. Die Herausforderung ist grösser denn je! Die am 9.2.2014 zum Ausdruck gekommenen zwei gegensätzlichen Schweiz-Konzeptionen werden uns sehr lange beschäftigen. Lösungen für Wohlstand, Wohlfahrt und Sicherheit, auch soziale Sicherheit, sind gefragt! Die Lösungsfindung ist umso schwieriger, als dass das Vertrauen in die Wirtschaft und Politik heute deutlich geringer ist als noch vor 30 Jahren.

Wirtschaftliche und wissenschaftliche Erfolge werden heutzutage von der Bevölkerung nicht mehr einfach positiv wahrgenommen. Ganz im Gegenteil bestimmen Wachstumsskepsis und Verteilungsängste zunehmend den öffentlichen Diskurs. Ein Zeichen des Vertrauensverlustes ist auch die in den letzten Jahren deutlich angestiegene Regulierungslust. 29 Volksabstimmungen stehen derzeit auf der Agenda der Schweizer Politik. Und auffallend viele davon, attackieren unsere liberales Wirtschaftssystem. Ich denke an die Mindestlohn-Initiative, an Ecopop, an die Initiative zur Einführung der Erbschaftssteuer, an jene zu Abschaffung der Pauschalbesteuerung, an die Goldinitiative und an die Initiative für eine grüne Wirtschaft, und ich denke an verschiedene Initiativen aus den Bereichen Energie und Landwirtschaft. Ganz zu Schweigen von der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen, welche ein früherer Avenir-Suisse-Chef kürzlich als Ausdruck eines „geradezu unmoralischen Massstabsverlustes" bezeichnet hat.

Diese Initiativen hätten - würden sie angenommen - riesige Regulierungsschübe zur Folge, Regulierungen, welche unsere Bewegungsfreiheit entscheidend einschränken und unsere Leistungsfähigkeit schwächen würden. Wir brauchen keine zusätzlichen Normen. Sie machen eine Gesellschaft nur scheinbar widerstandsfähiger. Was wir brauchen, ist ein starker Wille, den Liberalismus verantwortungsvoll zu leben. Liberalismus heisst Freiheit. Freiheit beinhaltet auch Gemeinsinn. Gemeinsinn fördert Vertrauen. Vertrauen verzichtet auf Fesseln. Kurz: Wir, Sie und ich, bestimmen darüber, wie viele Fesseln wir uns anlegen wollen!

Die liberalen Grundsätze, die die NZZ seit über 200 Jahren propagiert, die zum Fundament des helvetischen Erfolgsmodells geworden sind, diese liberalen Grundsätze sind das beste Rezept, Wohlstand, Unabhängigkeit und unsere Freiheit bewahren zu können. Freiheit geht also nicht ohne Verantwortung. Diesen Grundsatz müssen wir wiederum ins Zentrum unseres Denkens und Handelns rücken!

Wir brauchen eine Renaissance des Verantwortungsbewusstseins. Oder anders gesagt: Wir müssen den Freiraum nutzen, ohne ihn auszunutzen! Dies um das öffentliche Bewusstsein kenntlich zu machen, das ist auch heute Aufgabe der Medien, die dem öffentlichen Diskurs verpflichtet sind. Diesen Anspruch müssen die Medien einlösen, wenn sie auch in Zukunft die Rolle der vierten Gewalt spielen wollen. Ich weiss, ich verlange viel. Es ist ein hoher Anspruch an eine Branche, die, wie ich eingangs erwähnt habe, unter einem enormen Modernisierungsdruck steht.

Nur allzu oft ist die Konsequenz eine Hinwendung zur Unterhaltung. Diesem Trend ist die NZZ nicht gefolgt. Diesem billigen Trend darf die NZZ nicht folgen! Ihre und „unsere" NZZ hat diesbezüglich eine enorme Herausforderung zu bestehen. Nach wie vor steht die Zeitung für Zuverlässigkeit, Massstabtreue, Vertiefung, Hintergrund, Profil und Meinung. Fast entschuldigend meinte Fred Luchsinger: Weil wir nicht anders können.

Ich sage es offen: Ich bin sehr froh, dass dies so ist und dass Sie nicht anders können. Ich bin froh, dass Sie der seriösen Publizistik als Geschäftsmodell treu bleiben. Dabei können Sie sich auf das äussere und innere Gewicht einer mehr als 200-jährigen Tradition stützen. Dieses Gewicht hat sie zu einem publizistischen Wahrzeichen gemacht. Dieses Gewicht, da bin ich mir sicher, gibt Ihnen auch in Zukunft den nötigen Halt und die erforderliche Sicherheit. Ich freue mich, wenn Sie ihren Weg weitergehen. Zum Wohle des Unternehmens, zum Wohle aber auch einer offenen, schweizerischen Politkultur. Und damit zum Wohle unseres Landes.

Denn schliesslich ist es das gleiche, das uns antreibt, Sie und mich, nämlich: Erstens, die liberale Grundhaltung und zweitens, die Liebe zur Schweiz!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Wahrzeichen sind auch Orientierungshilfen