Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Wilerinnen und Wiler, liebe Schützinnen und Schützen,

Ich denke es jedes Mal wieder, wenn ich durch die Altstadt von Wil gehe und auf dem Hofplatz stehe: Sie haben es wirklich wunderschön hier.

Und wir sind hier mitten in unserer Geschichte, nicht allein in der Geschichte von Wil oder des Fürstenlandes, sondern auch mitten in unserer Landesgeschichte. Es ist typisch für unsere Schweiz, dass die wichtigen historischen Entscheidungen nicht wie in vielen andern Ländern zentral am Hof eines Königs oder in einer Landeshauptstadt getroffen wurden. Bei uns haben die verschiedenen Landesteile und Regionen alle ihre unterschiedlichen Beiträge geleistet zu dem, was unser Land heute ist.

Unsere Armee beispielsweise hat ihre frühesten Wurzeln unter anderem hier in Wil. Hier wurde 1647 das eidgenössische Defensionale von Wil beschlossen. In diesem Vertrag koordinierten die eidgenössischen Stände ihre Anstrengungen im Wehrwesen und arbeiteten auf einen gemeinsamen Grenzschutz hin; sie sprachen sich über den Aufmarsch, die Organisation und die Bewaffnung des Heeres ab.

Historisch gesehen ist das ein Meilenstein in der Entwicklung hin zu einer gemeinsamen eidgenössischen Armee und zu einer gesamtschweizerischen Sicherheitspolitik.

Der heutige Anlass erinnert noch an andere Wurzeln: Schützenfeste sind in unserem Land seit dem 15. Jahrhundert überliefert. Seit Jahrhunderten geht es bei Schützenfesten um dreierlei: Zuerst einmal um Sport und Wettbewerb. Dann aber auch um Geselligkeit. Und drittens um Freiheit.

Ich möchte kurz auf diese drei Punkte eingehen:

Sport und Wettkampf

Als Schützinnen und Schützen sind Sie zuerst einmal Sportler. Es geht Ihnen um gute Leistung und um den Wettbewerb. Ein Kantonalschützenfest wie dieses gehört zu den Höhepunkten, für die Sie überall im Land in den Vereinen trainieren. Sie betreiben eine moderne Sportart, die Ihnen im Wettkampf vor allem auch mental viel abverlangt.

Und wenn sich das Schiessen von anderen Sportarten unterscheidet, dann nur positiv. Es gibt keine Fankrawalle und keine Wettskandale. Und zumindest an Volksschützenfesten gibt es wohl auch keine grösseren Dopingprobleme, denn das Zielwasser ist ja legal ...

Ich wünsche Ihnen allen ein tolles Fest, spannende Wettkämpfe und gute Resultate!

Geselligkeit und Gesellschaft

Ich komme zum zweiten Punkt, zur Geselligkeit. An einem Schützenfest geht es um die Wurst. Im doppelten Sinne: Neben dem Wettbewerb ist auch die Geselligkeit wichtig. Und da darf man auch ruhig dazu stehen: Zu einem Schützenfest gehören Wurst und Bier oder Most; zu einem Schützenfest gehört die Geselligkeit in der Festbeiz.

Unsere Gesellschaft braucht diese Geselligkeit; sie ist Teil unseres Landes: Unser freiheitliche Bundesstaat ist im 19. Jahrhundert entstanden. Treibende Kraft waren damals vor allem die Vereine. Gesangsvereine, Turnvereine und ganz zuvorderst die Schützenvereine.

Sie machten ihre Kameradschaft zur offiziellen Politik der Schweiz: Im Bundeshaus steht unter der Kuppel um ein Schweizerkreuz herum die lateinische Inschrift: „Unus pro omnibus, omnes pro uno". Auf Deutsch heisst das: „Einer für alle, alle für einen".

Auch heute noch ist die Schweiz das Land der Vereine. Und diese Bereitschaft, zusammen etwas anzupacken, zusammen etwas zu erreichen, das gehört immer noch zu unseren ganz grossen Stärken.

Dieses Schützenfest ist ein Beispiel dafür: Freiwillige leisteten und leisten in ihrer Freizeit grosse Arbeit, damit das alles möglich geworden ist. Wir verdanken in der Schweiz solchen freiwilligen Chrampfern unglaublich viel. In den Vereinen, aber auch in Milizfunktionen in unserem Staat und in unserer Gesellschaft.

Das geht von der Freiwilligenfeuerwehr bis zur wertvollen Tätigkeit der Vereine in Jugendarbeit, Kunst, Kultur und Sport; das geht von der Schul- und Kirchenpflege bis zu den Laienrichtern und den Milizpolitikern, sei es im Gemeinderat oder im eidgenössischen Parlament. Und ganz wichtig ist dieses Engagement in unserer Armee.

Wir können es so zusammenfassen: Freiwilligenarbeit und Milizprinzip dienen dem Freiheitsschutz. Denn wo der Bürger die Tätigkeit selbst ausübt, da wird er nicht fremdbestimmt. Und wo er sich im Staat einsetzt, da bleibt der Staat bürgernah.

Freiheit und Souveränität

Ich komme zum dritten und letzten Punk, zur Freiheit. Das Schiessen hat auch eine staatspolitische Bedeutung. Nur ein freier Bürger trägt eine Waffe. Der Schütze steht für ein freies Land und eine freiheitliche Staatsordnung. Das macht uns zum Sonderfall. Auch das erklärt sich aus der Geschichte:

In andern Ländern stand ein Monarch an der Spitze. Sein Beamtenapparat reglementierte und kontrollierte die Untertanen. Und ein Heer aus Adligen und Berufssoldaten sicherte dem Regenten seine Stellung. Denn wer Waffen hat, der kann Macht ausüben. Auch gegenüber seinem eigenen Volk. Rechtlos sein und waffenlos sein gehört deshalb zusammen; auch heute noch.

Wir Schweizer hatten nie einen Obrigkeitsstaat. Unser Land ist einen andern Weg gegangen. Den Weg der Freiheit. Immer ging es um die Rechte und um die Stellung des Bürgers. Das lässt sich in den alten Landsgemeindeordnungen und „geschworenen Briefen" nachlesen. Das Obrigkeitliche war und ist uns fremd. Die Bürger gründeten und entwickelten diesen Staat. Sie erkämpften und verteidigten immer wieder ihre Rechte und ihre Freiheit. Das ist unser Staat, unser Bürgerstaat.

Die Freiheit aber hat nur Bestand, wenn wir uns dafür einsetzen. Immer wieder. Jeden Tag aufs Neue. Gottfried Keller hat unser Staatsverständnis in einem Satz zusammengefasst: „Keine Regierung und keine Bataillone vermögen Recht und Freiheit zu schützen, wo der Bürger nicht imstande ist, selber vor die Haustüre zu treten und nachzusehen, was es gibt."

Genau darum geht es: Vor die Haustüre treten und nachsehen, was es gibt. Das kann niemand tun, ausser der Bürger selbst. Nachsehen, was es gibt, das ist Chefsache. Und Chef in unserer Demokratie sind wir Bürger.

Vor einer wichtigen Weichenstellung

Vor die Türe treten müssen wir als Stimmbürger immer wieder. Als Bürger sind wir die höchste Instanz in diesem Land. Damit tragen wir auch grosse Verantwortung. Denn wir stellen die Weichen für die Zukunft. Von unseren Entscheiden hängt es ab, ob wir unsere Freiheit und unseren Wohlstand erhalten können.

Eine ganz besonders wichtige Weichenstellung steht uns bevor: Es geht um unser Verhältnis zur EU. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie sich diese Beziehungen weiter gestalten.

Wir können weiterhin ein freies Land bleiben, das seinen Weg selber wählt. Wir verhandeln dann auf Augenhöhe und als gleichberechtigter Partner mit andern Staaten oder mit internationalen Organisationen. Selbstverständlich unterhalten wir freundschaftliche Beziehungen, wo immer das möglich ist. Aber wir vertreten auch unsere Interessen, so wie das andere auch tun. Dabei bleiben wir die souveräne Schweiz.

Oder wir können unsere Freiheit und Selbstbestimmung aufgeben. Das verlangt die EU von uns. Sie will, dass wir ihr Recht übernehmen. Nicht nur das momentan gültige, sondern auch alles zukünftige, das noch gar niemand kennt. Und die EU will auch, dass wir uns ihren Gerichten und ihren Richtern unterstellen. Wir hätten dann wieder, was wir für Jahrhunderte haben vermeiden können: Fremde Richter und damit auch fremde Herren.

Aber zum Glück leben wir in einer Demokratie: Der Entscheid liegt am Schluss bei Ihnen, Sie bestimmen über das Schicksal unserer Heimat.

Vielleicht denken Sie in den nächsten Tagen ab und zu daran, warum es Schützenfest heisst; was wir an einem Schützenfest denn eigentlich feiern: An einem Schützenfest feiern wir die Resultate der Schützen, wir feiern das gemeinsame Zusammensein - aber vor allem feiern wir auch unsere Freiheit! Wir feiern, dass wir als freie Bürger in einem freien Land leben!

Jetzt wünsche ich Ihnen allen einen gelungenen und geselligen Anlass, den Schützinnen und Schützen wünsche ich „guät Schuss" und der Schweiz eine aktive Bürgerschaft, die sich auch in Zukunft für unsere Traditionen, für unsere Werte und für unsere Freiheit einsetzt.

Was wir an einem Schützenfest feiern