Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Kinder und Jugendliche
Liebe Jungschar-Begleiterinnen und Begleiter
Liebe Frau Gemeindepräsidentin
Liebe Walliswilerinnen und Walliswiler
Sehr verehrte Gäste

Einleitung

Vor gut einem Jahr habe ich vom OK des Schweizertreffens 2005 der Jungschar einen Brief erhalten, mit dem es um einen Erstaugust-Redner/in aus dem BR anfragte. Ich habe mich über diese Anfrage sehr gefreut und gleich die Gunst der Stunde genutzt: ich habe dem BR vorgeschlagen, diese schöne Aufgabe selbst übernehmen zu dürfen – und er hat dem zugestimmt.

Es freut mich riesig, dass ich heute bei Ihnen sein darf, unter soviel motivierten und aufgestellten Kindern und Jugendlichen, die so "Mega-Wellen" machen können. Eine solche Welle haben auch die Organisatoren/innen des STR05 für die eindrückliche und professionelle Organisation des Zeltlagers verdient: Das OK unter der Leitung von Johnathan Gimmel, die Leiterinnen und Leiter, die Betreuerinnen und Betreuer. Herzlichen Dank!

Es freut mich auch, zum ersten Mal physisch in Walliswil zu sein; denn elektronisch war ich schon bei Ihnen, sehr verehrte Frau Gemeidepräsidentin, und habe mit Vergnügen Ihre Website besucht und mich über Ihre Gemeinde kundig gemacht.

Sie haben Ihre Gemeinde, Ihre Felder und Wälder, den Kindern und Jugendlichen zur Verfügung gestellt, um Ihnen vielfältige Begegnungen und Erlebnisse zu ermöglichen. Das finde ich toll! Ich gratuliere Ihnen dazu. Sie beweisen damit Ihre Offenheit und Ihre Bereitschaft, Begegnungen zu wagen und Risiken einzugehen.

Der 1. August, ein Tag der Gemeinschaft

Der 1. August, unser Nationalfeiertag, fällt mit der Halbzeit des Schweizertreffens der Jungschar zusammen – eine doppelte Gelegenheit, sich Gedanken zu machen zum Zusammenleben in der Gruppe, in der Gesellschaft und im Staat. Mit dem 1. August, den wir erst seit gut 100 Jahren feiern, gedenken wir nicht wie andere Staaten einer Schlacht, eines Kriegsendes, einer Revolution oder einer Unabhängigkeitserklärung. Wir erinnern uns am 1. August an die Geburtsstunde der Schweiz, an den „Ewigen Bund“, den unsere Gründungsväter, die Vertreter der drei Urkantone der Schweiz, vor 714 Jahren zusammen abgeschlossen haben. Es ging in erster Linie um die Verpflichtung, zusammenzubleiben, sich gegenseitig zu unterstützen, einander treu zu sein und gemeinsam für die Freiheit zu kämpfen. In diesen „Ewigen Bund“ wurden im Laufe der Zeit neue Partner aufgenommen, neue „Verbündete“. Und bei vielen Gelegenheiten haben die verbündeten Kantone und ihre Völker den Willen bekräftigt, ihren Bund zu festigen und sich für die gemeinsame Sache einzusetzen. Sie wollten gemeinsam einzigartig sein – und haben damit aus der Schweiz eine Insel des Friedens und des Wohlstandes gemacht!

Gemeinsam einzigartig

„Gemeinsam einzigartig“ ist auch das Motto des Schweizer Jungschaf-Treffens 05. Für 10 Tage sind hier in Walliswil Dörfer und Zelte aufgebaut worden, um gemeinsam etwas zu erleben. Damit das gemeinsame Erleben auch einzigartig wird, ist nicht nur wichtig, was wir erleben – etwa die Begegnung mit Gott, mit der Natur und mit den Menschen im Lager und dem Dorf - sondern auch wie wir es erleben.

Dieses Wie ist in den Zielsetzungen für das Jungschar-Lager eindrücklich umschrieben: Alle sollen sich ernstgenommen, sicher und wohl fühlen.

Einander ernst nehmen heisst für mich
• Dem anderen aktiv zuhören;
• Ihm eine eigene Meinung zugestehen und sie nicht a priori in Bausch und Bogen verwerfen – denn er könnte ja auch Recht haben!
• Einander trotz Unterschieden als gleichwertig betrachten;
• Offen sein für die Vielfalt, für Neues und neue Begegnungen;

Erst wenn man ernst genommen wird, fühlt man sich sicher und wohl. Sicherheit bedeutet, sich auf den anderen und die Gemeinschaft verlassen zu können, ihren Worten und Taten zu vertrauen. Das „Vertrauen“ ist besonders in der heutigen Zeit ganz besonders wichtig. Dieser Sicherheitsgedanke und das gegenseitige Vertrauen stehen auch hinter dem „Ewigen Bund“ der Eidgenossen, den wir heute feiern.

Ohne Sicherheit und Vertrauen kein Wohlbefinden! Das Ziel jeder Gemeinschaft muss es sein, dass sich alle Mitglieder – ob arm oder reich, ob gesund oder krank, ob gebildet oder ungebildet - wohl und geborgen fühlen. Ohne sie ist ein harmonisches Zusammenleben unter den Menschen nicht möglich.

Unsere Bundesverfassung geht davon aus, dass sich „die Stärke des Volkes am Wohl des Schwachen“ misst. Deshalb verpflichten sich in der Bundesverfassung das Volk und die Kantone zu „gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung“ und dazu, „die Einheit in der Vielfalt zu leben. Unser Staat soll die „gemeinsame Wohlfahrt“ ebenso schützen wie die „nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt“ sowie „eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern“.

Vom Mais-und vom Politlabyrinth

Wir alle wissen, dass niemand perfekt ist. Wir alle machen immer wieder Fehler und müssen Konflikt, Ungerechtigkeiten und Rückschläge einstecken. Das musste im Verlaufe der Geschichte auch die Eidgenossenschaft.
„ S’gitt zvil Leid, nu will me endand nid kännt, und enand drum d’Fuuscht meh gitt als d’Hand“, heisst es im STR05-Lied. Im Zusammenleben mit anderen Menschen begegnen wir auch immer wieder Stolpersteinen. „S’gitt soviel, wo Mänschenhärze trännt. Chliini Schtoplerschtei wachsed zunre Wand“.

Das ist auch im Staat und in der Politik so, etwa wenn
• die Gegensätze und Unterschiede mehr betont werden als die Gemeinsamkeiten;
• die Argumente des politischen Gegner nicht ernst genommen und die Bereitschaft nicht besteht, diese in die eigenen Überlegungen miteinzubeziehen;
• die Einzelinteressen über das gemeinsame Interesse gestellt werden, seien es nun die Interessen einer politischen Partei, einer Gemeinde oder eines Kantons, oder
• wenn Misstrauen geschürt anstatt Vertrauen gepflegt wird.

Wir sind in den letzten Jahren m.E. zu sehr in Richtung unproduktiver Konfrontation gegangen und mangelnder Bereitschaft, einander ernst zu nehmen und einander zu vertrauen. „Jeder gegen jeden“ war das Motto, sei es nun im Kampf um Einfluss, um Subventionen oder um Medienpräsenz. Ich glaube, dass wir uns mit diesem Verhalten einen Garten mit Irrgängen geschaffen haben – ein Labyrinth, aus dem wir einen Ausweg erst noch finden müssen.

Liebe Kinder und Jugendliche, Ihr habt als Highlight des Zeltlagers, nicht ein politisches, aber ein Maislabyrinth in einer wunderschönen Natur geschaffen. Ihr konntet erleben, wie man sich in einem Labyrinth fühlt, wie man hineingerät aber auch, wie man wieder hinauskommt. Ihr habt aber auch allein oder zusammen ein Mittel und einen Weg gefunden, das Labyrinth zu einem positiven Erlebnis zu machen.

Beim Besuch Eures Lagers hat mich natürlich besonders interessiert, wie Ihr das Labyrinth erlebt habt und mit welchen Tricks Ihr den Ausweg daraus gefunden habt – und ich mir erhofft, Tipps zu erhalten für das Polit-Labyrinth!

Wege aus dem Labyrinth: gemeinsam einzigartig

Ihr habt mich nicht enttäuscht. Da sind zum einen die bereits erwähnten Zielsetzungen für das Schweizertreffen 05: An jedem Tag Beziehungen pflegen und neu knüpfen, an jedem Tag sich ernstgenommen, sicher und wohl fühlen und in der Öffentlichkeit präsent sein.

Zum andern ist es das gemeinsame Erleben, sei im gemeinsamen Planen, Erarbeiten, Spiel, Wettkampf, Essen und Beten, Aber vor allem auch im gemeinsamen Feiern und Festen. Deshalb bin ich gerne an Ihr gemeinsames Fest gekommen, umso mehr, als wir auch ein richtiges Feuer und ein grosses Feuerwerk erleben werden.

Das alles hat nichts zu tun mit Wichtig- und Grosstuerei, mit medienwirksamem Spektakel und mit Oberflächlichem. Nein, dahinter steckt Einsatz und Freude im Alltag, dahinter steckt Solides und Dauerhaftes. So wünsche ich mir die Politik: gemeinsames Erarbeiten von tragfähigen zukunftsgerichteten Lösungen für alle Bürgerinnen und Bürger, Offenheit für die Vielfalt und für Neues, gemeinsame Freude am so Erreichten. Ich bin sicher, dass im Willen und in der Lust dazu „Gemeinsam einzigartig zu sein“, die Zukunft auch der Schweiz liegt.

1. August-Ansprache von Bundeskanzlerin A. Huber-Hotz