Sehr geehrte Kreditoren
Sehr geehrte Debitoren
Liebe Festgemeinde

Sie feiern Ihr Jubiläum im Opernhaus und laden als Redner den Bundespräsidenten ein. Eine Grossbank setzt sich zwischen Politik und Kultur, freiwillig.

In einem Opernhaus wird meist Lug und Trug, Untreue und Verrat zelebriert, während  eine Bank ja auf Vertrauen setzt. Die CS trägt dieses Vertrauen schon im eigenen Namen: Kredit heisst zwar rein kaufmännisch Guthaben, crédit suisse also Schweizerisches Guthaben. Der Bund müsste angesichts seiner Finanzlage demnach débit suisse heissen.

Der Ursprung Ihres Namens bedeutet aber Glaubwürdigkeit, bildet Vertrauen und steht für die gegenseitige Verpflichtung von Guthaben und Schuld.

Diese gegenseitige Verpflichtung ist vielleicht auch der Grund, dass ich als Bundespräsident sprechen darf. Obwohl Banken ja grössten Wert darauf legen, vom Staat völlig unabhängig zu sein, und finden, der Bund sei von ihnen viel zu unabhängig. Und doch müssen wir uns beide eingestehen, dass wir miteinander viel enger verflochten sind, als wir zuweilen wahrhaben wollen.

Die heutige Credit Suisse und der schweizerische Bundesstaat kreuzten immer wieder die Wege und gingen manche Strecke gemeinsam:

Der Bau des Gotthardtunnels: Ohne Alfred Escher keine SKA, ohne SKA keine Gotthardbahn, ohne Staat kein Gotthardtunnel. Der junge Bundesstaat und die Wirtschaft haben sich in Abhängigkeit und Vertrauen gegenseitig umschlungen wie die Kehrtunnel das Kirchlein von Wassen. Gemeinsam haben sie diese Pionierleistung vollbracht.
Eine anderes Resultat solcher gegenseitiger Verflechtung ist auf ein erschütterndes Drama über Liebe, über Schuld und Sühne zurückzuführen, das ohne weiteres Stoff für eine Oper hergäbe: Die einzige Tochter des SKA-Gründers, Lydia Escher, war verheiratet mit dem Sohn von Bundesrat Welti. Sie verliebte sich in den Künstler Karl Stauffer. Bundesrat Welti liess mit Hilfe der Eidgenossenschaft den Künstler verhaften und seine Schwiegertochter in eine Irrenanstalt bringen. Stauffer stirbt im Gefängnis an einer Überdosis Schlafmittel, Lydia Escher öffnet in der Anstalt den Gashahn. Aus ihrem Erbe kam der Bundesrat später zum Landgut Lohn, den er als Ort der Erholung nutzen wollte. Dort sühnt er noch heute bitter für die Sünden der Vergangenheit. Er empfängt im Lohn nämlich auch Wirtschaftsführer und muss sich anhören, was er alles falsch macht. Das Drama von Schuld und Sühne perpetuiert sich.
Bei den nachrichtenlosen Vermögen mussten Banken und Bundesrat ein enges historisches Gewebe von Schuld und Ursache gemeinsam aufarbeiten und bewältigen. (Aus diesen Verstrickungen und der seriösen Vergangenheitsbewältigung sind unser Land und unser Finanzplatz an Vertrauen und Glaubwürdigkeit gestärkt hervorgegangen.)
Das Grounding der Swissair verflocht uns auch: Gewaltige offene Schulden führten zum Kollaps. Das führte zwischen Politik und Wirtschaft zunächst zu ebenso massiven Schuldzuweisungen. Diesen folgten aber prompt neue Schulden, indem beide für den Neustart wieder enorme Verpflichtungen eingingen. Dies hat allen vor Augen geführt, welche politische Auswirkungen das wirtschaftliche Gebaren eines privaten Unternehmens hat und dass der Staat nicht umhin kommt, die Reparaturen an die Hand zu nehmen. Es hat aber auch der Wirtschaft gezeigt, wie sie den Staat mit seinen Bemühungen um eine Auffanggesellschaft nicht allein lassen konnte.

Im Gewebe dieser Verbundenheit gab es immer wieder Auseinandersetzungen, Vertrauensbrüche, Enttäuschungen und auf beiden Seiten das Gefühl, die andere sei schuld oder bleibe in der Schuld. Banken und Bund blieben so stets miteinander verbunden. Nie gaben sie sich eine Saldoquittung, sie vergalten einander aber auch nichts und sie blieben sich so stets etwas schuldig.

Und gerade diese Abhängigkeit verbindet sie. Denn Glaubwürdigkeit, Schuld und Kredit sind miteinander verwandt, nicht nur etymologisch.

Schuldverhältnis als sozialer und wirtschaftlicher Motor

Das beginnt schon im Privaten: Werde ich zu einem Essen eingeladen, organisiere ich nicht tags darauf die Gegeneinladung. Das geziemt sich nicht und gilt als unanständig, nämlich als Absicht, sofort wieder quitt sein zu wollen, die Beziehung gewissermassen zu saldieren. Abgeltung oder gar Vergeltung sind das Gegenteil einer Freundschaft. Es bereichert die Beziehung, sich gegenseitig etwas schuldig zu bleiben, das Vertrauen zu haben, dass irgendeine Gegengeste irgendeinmal kommen wird.

Wir kennen die unwürdigen Streitereien in einem Restaurant, wer die Rechnung bezahlen darf. Ihnen liegt doch die Haltung zugrunde: Ich will dir nichts schuldig bleiben.

Das setzt sich im Geschäftlichen fort: Schulden sind ein Motor der Wirtschaft. Um sich zu entfalten, geht jemand Schulden ein und nimmt einen Kredit auf. Je mehr die Rückzahlung gefährdet ist, desto höher der verlangte Zins. Ist dieses Risiko so hoch, dass der Zins in amoralische Höhen klettert, ist das Grundgeschäft als solches amoralisch, weil sich das Vertrauen zwischen den Vertragspartnern nicht einstellen kann. Der Zinssatz ist also ein Gradmesser der moralischen Zulässigkeit des Grundgeschäftes. Der Zürcher Reformator Bullinger, der Nachfolger Zwinglis, setzte fest, ein Zinsfuss von 5% sei moralisch korrekt. Auch heute gibt es eine kantonal festgelegte Zinsgrenze, oberhalb derer Wucher vorliegt. Der Staat greift also noch heute regelnd in Abhängigkeitsverhältnisse ein. Ihre Tochter, die Bank Leu, ging aus einer staatlichen Zinskommission hervor.

Ohne Investitionen kann weder ein Unternehmer noch der Staat seine langfristigen Ziele verwirklichen. Grosse Infrastrukturprojekte wie der Gotthardtunnel sind zentrale Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung. Es braucht einen Staat, der sich dafür verschuldet und Bürger, die ihrem Staat Geld ausleihen. So entsteht das Verantwortungsbewusstsein der Bürger gegenüber ihrem Staat. Umgekehrt steht der Staat in der Verantwortung, mit ihrem Geld vernünftig und langfristig zu wirtschaften.

Dazu gehört allerdings, dass Schulden nicht auf andere überwälzt werden, die das Guthaben nicht einlösen können. Es entspricht der Nachhaltigkeit, dass Schulden nicht künftigen Generationen überlassen werden. Sie dürfen nicht durch Schulden ihrer Väter und Mütter in der eigenen Handlungsfreiheit eingeschränkt werden. Deswegen macht es einen grossen Unterschied, ob das aufgenommene Geld für Investitionen mit direktem Nutzen für die kommenden Generationen verwendet wird oder für die laufenden Bedürfnisse der eigenen Generation. Sie erlauben mir diese Bemerkung als Infrastrukturminister: Es macht einen Unterschied, ob die künftige Generation Zinsen für eine Infrastruktur bezahlt, die sie benützen und die ihr nützen wird, also zum Beispiel Spitäler, Schulen oder die NEAT, oder ob Schulden weitergegeben werden, weil die Generation vor ihr es verpasste, die notwendigen Strukturänderungen in Landwirtschaft oder Gesundheitswesen vorzunehmen.

Das ewige Schuldverhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Kultur

Zwischen Staat, Wirtschaft und Kultur besteht ein ewiges „Schuldverhältnis", das weit über finanzielle Geschäfte hinausgeht.

Die Wirtschaft braucht Freiheit, um sich entfalten zu können. Diese Freiheit garantiert ihr der Staat. Er tut das mit Gesetzen und Sanktionen. Das kann er nur, wenn die Bürger ihm vertrauen. Wenn dieses Vertrauen, wie in vielen Entwicklungsländern fehlt, und die Eliten ihrem Gemeinwesen keinen Kredit, also kein Vertrauen geben und ihr Geld „flüchten" lassen, gibt es keinen Ausweg aus dem Teufelskreis der Armut. Ist das Vertrauen zerstört, ist auch die Bank zerstört, oder italienisch, dann kommt es zur banca rotta, zum Bankrott, zur Bankrotterklärung eines ganzen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems. 

Die Freiheit kann sich nur in einem Klima des Vertrauens und der Selbstverantwortung entfalten. So haben die Schweizer Grossbanken unlängst Geschäfte mit einem Staat abgebrochen, weil ihnen das Vertrauen fehlte.

Der Staat sorgt mit Regeln dafür, dass seine Bürger sich an Normen halten, die das gegenseitige Vertrauen sicherstellen. Deshalb gibt es ein Strafrecht, Regeln über die Ehe, über das ausservertragliche und das vertragliche Schuldverhältnis. Dabei übernimmt der Staat moralische Regeln und schreibt sie vor:

Die Bundesverfassung will, dass sich alle Personen für das Wohl der Gesellschaft einsetzen,
das Zivilgesetzbuch verpflichtet jedermann, nach „Treu und Glauben" zu handeln  und schützt den „guten Glauben",
das Obligationenrecht macht die "guten Sitten" zur Bedingung eines Vertrages.
Das Bundesgericht anerkennt ausländische Urteile nur, wenn sie schweizerischem "ordre public", also unseren moralischen Grundsätzen, entsprechen.

Der Staat allein kann diese moralischen Normen nicht garantieren. Auch mit  jeder Polizeigewalt nicht. Die Quelle dieser Normen, welche die Grundlage des Vertrauens unter den Menschen bilden, findet sich bei den Menschen selbst, und gespeist wird sie unter anderem aus dem ewigen Grundwasser der Religionen und der Kultur. Diese Werte sind über Jahrhunderte entwickelt und bis heute weiter gegeben worden. Sie haben das Gewissen von Generationen geweckt und geschärft. Unser ganzes Denken, Empfinden und Handeln ist davon geprägt.

Jede Gesellschaft muss die Regeln des Zusammenlebens immer wieder neu gestalten. Das ist ein kultureller Vorgang. Die Kultur ist nicht eine Nische für Schöngeister. Sie ist aber auch keine Handelsware, sondern sie garantiert das Funktionieren einer Gesellschaft. Politische Fortschritte sind immer kulturelle Leistungen.

Der Gesang, die Musik, die Schrift, die Architektur bilden die Grundlagen unserer Entwicklung.
Die Renaissance wurde von Architekten geprägt. In Siena haben die aufstrebenden Bankiers der Stadt die schönsten öffentlichen Baudenkmäler und Kunstwerke verschafft. Sie haben die Bankkonten überdauert.
Die Aufklärung bereitete der französischen Revolution den Weg. Diese stürzte den Absolutismus und das Patriziertum auch bei uns und ermöglichte mit demokratischen Strukturen die Handels- und Gewerbefreiheit.

Der Staat - und mit ihm auch die Wirtschaft - sind also ihrerseits auf Religion und Kultur angewiesen.

Deswegen feiern Sie heute im Opernhaus  (und in der Veranstaltungsliste des Opernhauses steht für den heutigen Tag, an dem ausnahmsweise eine Aufführung ausfällt: „Partner des Zürcher Balletts: die UBS!" ...das ist wahre Konkordanz, da können einige noch etwas lernen).
Deswegen unterstützt die CS im Jubiläumsjahr auch Christo – weil er Künstler ist, nicht etwa in der Hoffnung, er packe den Bundesrat ein.
Deswegen setzt sich der CS-Verwaltungsratspräsident als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft für die Kultur ein.
Deswegen sponsert die CS Opernaufführungen und DRS 2.

Dieses Sponsoring ist nicht Werbung. Das hat das Bundesgericht ganz richtig erkannt, obwohl weder das Opernhaus noch Sie mit dem Urteil einverstanden sind.  Beide sollen Sie den dritten im Bunde nicht vergessen, den Staat. Wer die Kultur unterstützt, trägt zum Erhalt der eigenen Wirtschaftsfreiheit bei und webt so am ewigen Schuldverhältnis zwischen Wirtschaft, Kultur und Staat.

Das undurchsichtige Gewebe von Ursache und Wirkung

Diese Abhängigkeiten, Ursachen und Wirkungen tönen so ganz einfach und unmittelbar. Die Wirklichkeit ist komplizierter und ungerechter. Nicht jede Investition und nicht jedes Vertrauen zahlt sich aus. Im Eisenbahn-Wettbewerb zu Ende des 19. Jahrhunderts haben dies viele Gläubiger schmerzlich erfahren müssen. Im Volksmund wurde später ein Streckenabschnitt in Zürich als „Konkurskurve" bekannt.

Wie mancher wird in seinem Vertrauen enttäuscht, weil sein Schuldner einen Vertrauensmissbrauch, eine Enttäuschung weitergibt, die er anderswo erfuhr. Wie mancher erfuhr Böses und gab es einem Unschuldigen weiter.  Das geschieht auf der zwischenmenschlichen Ebene, aber auch im Grossen. Wer heute Böses leidet, wird morgen Böses tun. Ein Blick auf die Konfliktherde auf der Weltkarte beweist das.

Das Gewebe von Schuld und Sühne unter den Menschen ist dicht und komplex. Im Nehmen und Geben verhalten wir uns nicht nur logisch, rational und schon gar nicht immer gerecht:

Da zahlen die Stromkonsumenten die Wut der Stimmbürger auf einen unverhältnismässigen Polizeieinsatz in Seattle und ihre Angst vor weiteren Liberalisierungen mit einem Nein zur längst fälligen Strommarktöffnung.
Da zahlt Pro Helvetia den Zorn auf Hirschhorn mit dem Entzug von öffentlicher Unterstützung.
Da zahlt der Bund die Hunterstrategie der Swissair.
Da muss sich die Swisscom gar noch Vergleiche mit der damaligen Swissair-Führung gefallen lassen.
Ihre Bank erzielt einen Rekordgewinn und die Belohnung ist ein Kurssturz an der Börse, ausgelöst von einigen selbst ernannten Analysten.

Aber es gibt auch das andere: Wie mancher erfährt ein Glück, das er glaubt, nicht verdient zu haben.

Ein Apothekergehilfe kommt aus Deutschland in die Schweiz, weil er politisch verfolgt wird. Hier gründet er eine kleine Firma für Kindernahrung. Das war im 19. Jahrhundert, der Mann hiess Henri Nestlé. Sie kennen die Fortsetzung der Geschichte.
Hugenottische Glaubensflüchtlinge, die in unserem Land Freiräume für ihre religiösen Überzeugungen fanden, leisteten einen massgeblichen Beitrag zur Entstehung des Finanzplatzes Schweiz. Die Grossbanken stehen in der Schuld Glaubensflüchtlinge.
Oder da wird das weltweite Vertrauen der Kunden in die Schweizer Banken mit der einmaligen Stabilität der Schweizerischen Politik begründet (obwohl ja der Bundespräsident jährlich wechselt).

So bleiben wir alle gegenseitig in der Schuld. Wir sind nie quitt, geben uns keine Saldoquittung. Nur Feinde zahlen sich alles gegenseitig heim und bleiben sich nichts schuldig. Von der Abgeltung zur Vergeltung ist ein kurzer Weg. Wir aber kennen unsere gegenseitige Abhängigkeit. Gerade weil wir uns etwas schuldig sind, sind wir uns verbunden.

Danke für die Einladung zum heutigen Abend. Wir akzeptieren sie gerne. Die Gegeneinladung regeln wir noch nicht heute, - damit wir uns noch lange verbunden bleiben.

Vom Wert der Schuld