Vor fünfzig Jahren war ich in dieser Gegend im Landdienst. Am Sonntag beobachteten wir Kinder die Hornusser vor, während und nach dem Spiel. Die Erinnerung daran ist während der langen Zeit geblieben und ich sage Ihnen auch gerne warum.

Hornussen wird immer wieder mit anderen Sportarten verglichen. Doch der Vergleich hinkt immer. Immer gibt es ganz fundamentale Unterschiede. Hornussen ist eben eine eigensinnige Sache.

-    In Südafrika nennt man Hornussen zum Beispiel „swiss golf“. Das Schlagen mit dem Stecken hat zwar etwas Ähnliches wie das Schwingen mit dem Golfschläger. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die Eintrittsgebühren in einen Hornusserverein sind für jedermann bezahlbar. Hornussen ist offen für alle. Und deswegen hat hier niemand einen Dünkel.
-    Man hat Hornussen auch schon als eine Art Mannschaftstennis bezeichnet. Das Abtun der Nousse erinnert an den Tennissport. Und doch gibt es einen Unterschied: Es verdient beim Hornussen nicht jeder ganz so viel wie Roger Federer und Martina Hingis.
-    Hornussen ist ein Sport mit einem Bock. Das ist ein Unterschied zu den Velorennfahrern:  Viele von ihnen haben nach der letzten Tour-de France null Bock.
-    Beim Hornussen gehört das Zvieri zum Spiel. Das ist wie bei den Bundesratssitzungen, die wichtigen Entscheidungen werden beim gemeinsamen Znüni gefunden. Aber es gibt einen Unterschied: wir trinken  aus Kaffeetassen, nie aus dem Trinkhorn.
-    Beim Hornussen spielen zwar zwei Mannschaften um den Sieg wie im Fussball. Doch gibt es einen Unterschied: Bei einem Nummero wird kein Siegesgebrüll veranstaltet, es werden nicht Leibchen ausgezogen und Ihr müsst nicht alle aufeinander liegen wie es die Fussballer nach jedem Goal unbedingt tun müssen.
-    Beim Hornussen gibt es nicht je Spezialisten fürs Schlagen und fürs Abtun. Jeder Spieler steht im Feld, jeder führt den Stecken für zwei Streiche. Das ist ein Unterschied zum Fussball: Nicht alle können dort Penalty schiessen, aber verschiessen können alle ganz gut.
-    Hornussen ist da menschlicher als Fussball. Wer im Fussball einen Penalty verschiesst, ist ein Pechvogel. Beim Hornussen kann ein schlecht getroffener Nouss unabgetan ins Feld fallen und zum Nummero werden. Der Pechvogel wird zum Glückspilz. Mit den Hornusserregeln hätten unsere Fussballer jedes Penaltyschiessen gewonnen.
-    Im Hornussen braucht es aber keine WM. Wir sind schon Weltmeister und zwar alle, die hier teilnehmen. 

Hornussen ist ein sehr spezieller Sport. Er ist ja auch hauptsächlich hier verbreitet, in der wichtigsten Gegend der Schweiz - schliesslich befindet sich hier mein Heimatort. Und obwohl im Welschen kaum gehornusst wird (ich weiss schon, dass heute eine Mannschaft aus Commugny - Coppet spielt und auch eine aus Südafrika), gilt Hornussen als typisch schweizerisch, ja, die Schweiz wäre ohne Hornussen nicht die Schweiz.

Wieso?

Es gibt nicht eine Kultur, welche die Schweiz prägt, nicht eine Sprache, nicht eine Religion und nicht eine politische Wahrheit. Wie heisst es doch im Leitbild des Eidgenössischen Hornusser-Verbandes: „Wir sind offen für Mitglieder aller Kulturen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft und der sozialen Stellung.“ Die Schweiz lebt von völlig verschiedenen Regionen, Sprachen und Meinungen. Es machte über Jahrzehnte die Stärke unseres Landes aus, dass wir keine Einheitskultur und keine Leitkultur  kennen.

Das ist nicht immer leicht und muss geübt sein. Hornusser wissen, was ich meine:

Wer vor dem Bock steht mit der Rute in der Hand, schaut aufs Feld und sieht dort eine ganze Reihe von Menschen mit einem Brett vor dem Kopf, die nichts anderes wollen, als seinen Nouss zu Boden bringen.

Im nächsten Umgang sieht die Sache ganz anders aus: Da steht  er selber im Feld, und er hat gar kein Brett vor dem Kopf, sondern eine Schindel in der Hand und hält mit Adleraugen Ausschau nach dem kleinen schwarzen Geschoss, das durch die Luft geflogen kommt.

Beim Hornussen schlägt einmal die eine Mannschaft, und beim nächsten Durchgang  tut sie ab. Sie wechselt die Seite.

Zum Wesen unserer Demokratie gehört es, den Standpunkt des andern zu respektieren, zu versuchen, eine Sache auch einmal aus dem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Diese Fähigkeit, den Anderen zu achten, neue Kulturen aufzunehmen, sich mit ihnen auseinander zu setzen, die Vielfältigkeit, ja eine gewisse Eigensinnigkeit zu pflegen, hat unserem Lande viel gebracht.

Vieles hat sich sehr verändert:

Forscher sagen, Hornussen sei möglicherweise auf ein altes Kriegsspiel zurückzuführen. Es soll sogar eine Spielart gegeben haben, in der es darum ging, mit dem Nouss einen gegnerischen Spieler zu treffen.

Heute tragen die meisten Spieler Helme und es ist eine Schussblende errichtet worden, damit die Nouss auch ja niemanden verletzen kann. Kein Hornusser denkt daran, den Gegner zu verletzen oder zu vernichten. Aus dem Kriegsspiel ist ein Friedensspiel geworden.

Die Hornusser sind einen weiten Weg gegangen und haben sich und ihr Spiel immer wieder verändert. Sie haben Aggressionen in Geschicklichkeit und Feindschaft in freundschaftliche Rivalität verwandelt. Sie schufen ein Spiel, in welchem die gemeinsame Leistung den Einzelkämpfer überragt.

Viele haben diesen Weg noch vor sich.

Die grossen Konflikte in der Welt zeigen uns, wie nötig es ist, das gegenseitige Verständnis für verschiedene  Kulturen und Religionen zu pflegen. Dazu ist es nötig, sich in eine andere Seite hinein zu denken und zu versuchen, die Optik und den geistigen Standpunkt zu wechseln. Nur so können alle Seiten von einer verbissenen Rechthaberei, die im Effekt zu Gewalt und Krieg führt, wegkommen.

Europa, in dem sich die Länder jahrhundertelang kriegerisch bekämpft haben, hat sich ein grosses Ziel gesetzt: Ein Kontinent des Friedens zu sein.

Darum haben wir alles Interesse, wenn die EU diesen Friedensprozess fortführt und andere Länder einbezieht. Die Schweiz profitiert von friedlichen Nachbarn, auch wirtschaftlich und wir, die wir nicht Mitglieder der EU sind, wollen deshalb unseren versprochenen Beitrag dazu auch leisten. Das lohnt sich in jeder Hinsicht.

Hornussen ist immer wieder mit anderen Sportarten verglichen worden. Doch der Vergleich hinkt immer.

Hornussen ist nicht Golf. Die Eintrittsgebühren in einen Hornusserverein sind für jedermann bezahlbar. Alle sind willkommen. In welcher andern Sportart ist es möglich, dass der Grossvater und der Enkel in der gleichen Mannschaft nebeneinander stehen?  Das Eidgenössische Hornusserfest ist auch ein Fest der Generationen, auf dem Spielfeld und neben dem Spielfeld.

Ich bin Ihnen noch die Erklärung schuldig, warum mir die Erinnerung an die Hornusser seit meine Kindheit vor fünfzig Jahren geblieben ist. Es ist ja die Zeit der Geständnisse von Jugendsünden.

Nach dem Spiel streiften wir Kinder über das gemähte Feld und suchten nach Noussen, die die Spieler nicht fanden. Ich fand damals einen Nouss, sackte ihn ein und habe sie all die Jahre als eine Kostbarkeit aufbewahrt. Vielleicht hätte ich ihn zurückgeben sollen. Aber die Eigensinnigkeit der Hornusser hat auch mich erfasst. Heute ist der Tag des Geständnisses gekommen und ich kann Ihnen den Nouss zeigen. Ich habe in Ihren Grundsätzen gelesen: Sie sind tolerant und so hoffe ich, ich darf diesen Nouss behalten. Er wird mich weiterhin daran erinnern:

Hornussen ist und bleibt eine sehr eigensinnige Sache. Diese eigensinnige Sache pflegen Sie und bewahren so das, was die Schweiz ausmacht, ihre Vielfalt, ihre Offenheit und ihr Eigensinn.

Eigensinn und Vielfalt