Was in der Welt funktionieren soll, muss im Kleinen beginnen.

Sehr geehrter Herr Stadtpräsident,sehr geehrte Damen und Herren National- und Ständeräte, Excellenzen, meine verehrten Damen und Herren.

Deutschland und die Schweiz machen es der Welt vor; wir messen uns im sportlich fairen Wettbewerb. Im kleinen Grenzverkehr zwischen Baden-Württemberg und meinem Heimatkanton Aargau, mit diversen INTERREG-Programmen entlang dem Rhein oder im Import-/Exportverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz. In Zahlen ausgedrückt und auf Deutschland bezogen: Rund 160’000 Menschen aus Deutschland leben und arbeiten bei uns. Über 3,5 Millionen Touristen aus Deutschland haben sich in diesem Jahr schon bei uns erholt 1. Wir haben aus Deutschland im ersten Halbjahr 2006 Waren für 26,5 Milliarden Franken importiert und Güter für 17,1 Milliarden Franken nach Deutschland exportiert 2.

Kurz: Von diesem Wettbewerb profitieren wir beide. Wir Schweizer können von Deutschland lernen; wie etwa ein flexibler Gütermarkt funktioniert. Und Deutschland kann von uns lernen, wie ein flexibler Arbeitsmarkt funktioniert.

Nur wer sich so im ständigen Wettkampf misst, wird seine Leistung steigern können. Wir tun das! Deshalb erstaunt es mich nicht, dass die Schweiz vom WEF zum wettbewerbsfähigsten Land der Welt gewählt wurde. Man mag zwar von solchen Rankings halten, was man will: Tatsache ist, dass es der Schweiz zur Zeit wirtschaftlich gut geht.

Das BIP-Wachstum lag im zurückliegenden 2. Quartal bei über 3%.
Die Inflationsrate verharrt seit Jahren deutlich unter der Marke von 2%.
Die Arbeitslosenquote erreicht gegenwärtig im internationalen Vergleich sehr günstige 3,1% und dürfte – wenn der gegenwärtige Trend anhält – im Verlauf des nächsten Jahres sogar unter 3% fallen.

Wir sind nach wie vor eines der wohlhabendsten Länder der Erde3. Und auch puncto Innovationskraft stehen wir ganz vorne: Im Verhältnis zur Einwohnerzahl haben wir am meisten Nobelpreisträger und die zweithöchste Anzahl Patente.Beleg für diese Innovationskraft sind zwei Typen von kleinen Motoren;

die einen bewegen das Mars-Mobil,
die anderen die Glaskuppeln des Reichstagsgebäudes.

Neben so viel ökonomischer Stärke kommen aber auch die „soft factors“ nicht zu kurz: Zürich und Genf gelten im weltweiten Quervergleich als die Städte mit der höchsten Lebensqualität. Beste Voraussetzungen also für unser Land, um im globalen Wettbewerb aus der Pole-Position heraus zu starten. Diese guten Startbedingungen sind notwendig für Erfolg – aber sie genügen nicht! Es kommt nämlich darauf an, was man daraus macht. Die Schweiz sieht sich im globalen Wettbewerb Herausforderungen gegenüber, die ein Ausruhen auf früher verdienten Lorbeeren nicht erlauben.

Denn die Weltwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren rasend schnell verändert. Die vierzig Jahre des Kalten Krieges waren bestimmt keine gemütliche Epoche – aber immerhin herrschten klare Verhältnisse: Der Erdball war aufgeteilt in eine „erste“, eine „zweite“ und eine „dritte“ Welt. Allen war klar, wer zu welcher Welt gehörte.

Heute ist nichts mehr so klar wie damals. Zwar gibt es immer noch eine erkennbare Trennlinie zwischen dem entwickelten „Norden“ und dem sich entwickelnden „Süden“. Aber Länder wie Indien und Brasilien stehen heute an der Schwelle zur „ersten Welt“.

Russland und China, in ihrer kommunistischen Planwirtschaften Inbegriff einer abgeschotteten „zweiten Welt“, haben sich reformiert und geöffnet. Heute nehmen sie in der globalisierten Wirtschaft eine Schlüsselrolle. Afrika steckt in einer Entwicklungsblockade. Mit projektbezogener Entwicklungshilfe allein lässt sich auf diesem Kontinent keine nachhaltige und selbsttragende wirtschaftliche und soziale Entwicklung anstossen. Es braucht die Impulse des Marktes und eine Öffnung der Absatzmärkte der Industrienationen. Auf der anderen, nördlichen Hemisphäre bilden immer noch Westeuropa, Nordamerika und Japan die klassische „erste Welt“. Ihr Anteil am Welt-BIP beträgt zwei Drittel. Doch es ist unübersehbar, dass sich die Kräfteverhältnisse verschieben. Die USA konnten ihren Anteil am Welt-BIP und ihren Beitrag zum globalen Wirtschaftswachstum über die letzten zwanzig Jahre halten.

Europa dagegen – speziell die vier grossen EU-Länder Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Italien – haben an Boden verloren. Die sogenannten „emerging markets“ Brasilien, Russland, Indien und China vereinigen zusammen bereits einen Viertel des Welt-BIPs auf sich. Für die Schweiz bedeutet dies, dass ihr Anteil am Welthandel tendenziell zurückgeht. Zwar ist die Aussenhandelsleistung pro Kopf der Bevölkerung der Schweiz immer noch eine der höchsten der Welt. In absoluten Grössen sind wir aber in den letzten 15 Jahren von Rang 14 auf Rang 21 der Exportnationen abgerutscht. Was bedeutet das nun für die Positionierung der Schweiz im globalen Wettbewerb? Zwei fundamentale Tatsachen gilt es zu berücksichtigen:

Erstens: Die Schweiz ist Teil Europas. Wir sind von den grossen globalen Kräfteverschiebungen betroffen. Wir spüren den Wachstums- und Wettbewerbsdruck, der von den grossen Schwellenländer ausgeht.
Zweitens: Die Schweiz ist eine offene Volkswirtschaft, die keinem grossen Handelsblock angehört. Aber wir sind weitgehend in die globale Wirtschaft integriert. Und einen grossen Teil unseres Einkommens erwirtschaften wir im Verkehr mit dem Ausland.

Daraus folgt, dass die Schweiz eine doppelte Strategie verfolgen muss: Zu Europa und zum Rest der Welt. Darin unterscheiden wir uns beispielsweise von Deutschland, das als EU-Mitglied ganz andere Voraussetzungen antrifft. Ich möchte im folgenden kurz auf diese beiden Dimensionen unserer globalen Wettbewerbsstrategie eingehen.

Die Staaten Europas, spezifisch der EU, sind unsere bei weitem wichtigsten Wirtschaftspartner: 63% unserer Exporte und 82% unserer Importe wickelten wir im letzten Jahr mit der EU ab. Allein Deutschland nimmt einen Fünftel unserer Ausfuhren ab und liefert einen Drittel unserer Einfuhren. In der Schweiz leben rund 900’000 EU-Bürger; 400’000 Schweizer ihren Wohnsitz in der EU. Etwa die Hälfte der schweizerischen Direktinvestitionen im Ausland fliessen in die EU. Rund 200 Milliarden Franken haben Schweizer Unternehmen in der EU investiert und damit 850’000 Arbeitsplätze geschaffen.

Bei dieser engen Verflechtung haben beide Seiten ein Interesse an einem stabilen und zuverlässigen Verhältnis; an tragfähigen bilateralen Verträgen. Mit rund 20 Hauptabkommen und ungefähr 100 Sekundärabkommen haben wir eine sichere Basis zu Europa geschaffen. Und die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass wir diese Basis ausbauen werden. Gerade letzte Woche hat der EU-Ministerrat Grünes Licht für Verhandlungen mit der Schweiz über ein Strommarkt-Abkommen gegeben. Unser bilaterale Vertragssystem mit der EU hat sich bewährt. Und das Schweizer Volk hat diesen Weg immer wieder bestätigt. Zuletzt mit dem «Ja» zur Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten in Osteuropa und zur Assoziation an «Schengen/Dublin» im vergangenen Jahr.

Am 26. November werden wir erneut über unser Verhältnis zu Europa abstimmen. Vordergründig geht es um die Erneuerung schweizerischen Ostzusammenarbeit. Seit 1990 beteiligen wir uns an der Aufbauarbeit in den Ländern der untergegangenen „zweiten Welt“. Und mit dem Osthilfegesetz wollen wir diese Arbeit fortsetzen. Das Referendum gegen dieses Gesetz ergriffen wurde nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner europapolitischen Dimension. Die Gegner stören sich offiziell am Erweiterungsbeitrag. Ein Nein hätte aber direkte Auswirkung auf unser gutes Verhältnis zur EU. Die Glaubwürdigkeit der Schweiz würde massiv beschädigt. Dabei hat die Schweiz durch ihr Engagement in den zehn neuen EU-Staaten nur zu gewinnen.
Diese Staaten sind eine dynamische Region mit einem weit aus höheren Wirtschaftswachstum als die «alte» EU und die Schweiz. Wollen wir von diesem Boom, müssen wir unsere Präsenz auf diesen Wachstumsmärkten verstärken. Mit den bilateralen Verträgen und unserem Engagement vor Ort können wir wenigstens teilweise verhindern, dass wir von diesen neuen EU-Mitgliedern nicht als Drittstaat ausgegrenzt werden. Das ist nötig, denn wir haben ein Potenzial in dieser Region. Die Schweizer Exporte in diese Länder sind in den letzten zehn Jahren um durchschnittlich 10% pro Jahr gewachsen. Im Jahr 2005 haben wir einen Handelsbilanzüberschuss von 1,4 Milliarden Franken erreichte.

Der Handel mit den neuen EU-Staaten trägt also zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen in der Schweiz bei. Ein Ja zum Osthilfegesetz ist ein Ja zu einer lohnende Investition in die Zukunft des Werkplatzes Schweiz und zu einer Investition den Frieden und die Stabilität in Europa.

Bei aller Nähe zu Europa dürfen wir nicht vergessen, dass die Schweiz auf dem Weltmarkt mit hochwertigen Gütern und Dienstleistungen positioniert sein muss. 40% unserer Exporte gehen nach Übersee, 10% in die USA und 3,5% nach Japan. Angesichts der Bedeutung dieser Handelspartner prüfen wir bilaterale Freihandelsabkommen.

Zur Zeit bestehen 16 EFTA-Freihandelsabkommen sowie 2 bilaterale Abkommen mit der EWG (1973) und mit den Färöerinseln (1995). In Verhandlungen sind wir mit Ägypten, Thailand und Kanada sowie mit Algerien, dem Kooperationsrat der Arabischen Golfstaaten und in Vorbereitung stehen wir mit Indonesien. Machbarkeits-Abklärungen finden mit Japan statt. Sondierungen laufen mit China, Indien, Malaysia und  mit Russland und der Ukraine. Mit den USA haben wir Forum geschaffen, in dem Fragen des Handels und der Investitionen gemeinsam erörtert werden können.

Das Netz an präferenziellen Abkommen soll in Zukunft immer dichter geflochten werden; vor allem natürlich auch mit den BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China. Sie beherbergen 40% der Weltbevölkerung und verfügen über grosse Rohstoffressourcen. Mit grossen Schritten suchen diese vier Länder den Weg in die Weltwirtschaft. Allein im Jahr 2005 wuchsen ihre Exporte um 28% und die Importe um 21%, während der gesamte Welthandel „nur“ um 13% expandierte.

Auf bilateraler – oder im Rahmen der EFTA – ist die Schweiz grundsätzlich am Abschluss von Freihandelsabkommen mit allen BRIC-Staaten interessiert. Deshalb hat mein Staatssekretariat für Wirtschaft Strategien entwickelt, um den Zugang der Schweizer Wirtschaft zu diesen grossen «emerging markets» zu sichern und auszuweiten.
Wie weit wir mit Freihandelsabkommen kommen, hängt aber von der Entwicklung der Doha-Runde ab. Und hier stehen die Chancen gegenwärtig leider nicht besonders gut, zu unterschiedlich sind die Interessender verschiedenen Akteure. Die Suspendierung der Doha-Runde hat Auswirkungen auf die aussenwirtschaftspolitische Strategie der Schweiz.

Was geschieht mit der Doha-Runde?

Möglich ist, dass nach den Mid-term Wahlen in den USA im November dieses Jahres die USA weitere Konzessionen bei der Landwirtschaft eingehen.
Möglich ist aber auch, dass alle WTO-Mitglieder eine Neuausrichtung der Runde anstreben.
Möglich ist schliesslich, dass die Verhandlungen gemäss einem EU-Vorschlag zugunsten der Entwicklungsländer in einzelnen Bereichen also sektoriell weitergeführt werden.

Die Schweiz selber strebt einen integralen Abschluss an. Denn nur so sehen wir ein akzeptables Resultat, das beim Marktzugang offenere Märkte für Industrie und Dienstleistungen sowie mehr Rechtssicherheit mit besseren Regeln für unsere Unternehmen garantiert.

Deshalb hat die Schweiz ein grosses Interesse an der Weiterführung der Gespräche im Rahmen der Doha-Runde.

Damit sich die Schweiz optimal im globalen Wettbewerb positionieren kann, sind für mich drei Stossrichtungen zu verfolgen:

Erstens: Die Stärkung und Vertiefung des bilateralen Verhältnisses zur EU.
Zweitens: Unser Engagement zur Wiederbelebung der Gespräche in der WTO.
Drittens: Eine gezielte Ausweitung unseres weltweiten Netzes an präferenziellen Abkommen, sei es bilateral oder im Rahmen der EFTA.

Doch all dies nützt wenig, wenn wir selber den Ansprüchen der globalisierten Wirtschaft nicht genügen. In vielen Bereichen sitzen wir noch auf überholten Strukturen und detaillierten Regelungen. Und gerade hier lauern vielleicht die grössten Fallgruben.
Wenn wir die Herausforderungen des europäischen und des globalen Wettbewerbes bewältigen wollen, müssen wir bestehende Lücken in Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit schliessen, die zwischen Export- und Binnenwirtschaft klafft. Dazu müssen wir die Binnenwirtschaft auf ein ähnliches Fitness-Niveau bringen, wie die Exportwirtschaft. Der Weg dorthin führt über eine Belebung des Wettbewerbs in jenen Sektoren der Schweizerischen Volkswirtschaft, die dem Druck der globalen Konkurrenz weniger ausgesetzt sind.

Wichtige Schritte sind bereits unternommen worden: Das revidierte Binnenmarktgesetz, die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes gegenüber der EU.

Andere Elemente unseres Wachstumspaketes nehmen konkrete Gestalt an:

Das Stromversorgungsgesetz steht zur Zeit im Parlament.
In der bevorstehenden Wintersession wird sich der Ständerat der Agrarreform annahmen.
Noch vor Ende Jahr will ich die Vernehmlassung zur Revision des Gesetzes über die technischen Handelshemmnisse eröffnen und damit dem Cassis-de-Dijon Prinzip zum Durchbruch verhelfen.
Und mit einer weiteren Vorlage will ich beim Bürokratieabbau ernst machen.
Ein Freihandelsabkommen mit der EU im Agrar- und Lebensmittelbereich steht gegenwärtig in Prüfung.

Ziel all dieser Massnahmen ist eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und eine Senkung des hohen Preisniveaus.

Die ersten Erfolge dieser Fitnesskur sind sichtbar. Nach Jahren alarmierender Berichte über die notorische Wachstumsschwäche der Schweiz liest man plötzlich wieder positive Schlagzeilen – die Schweiz als wettbewerbsfähigstes Land der Welt! Nur mit einer konsequenten Abstimmung unserer Wirtschaftsordnung an den globalen Wettbewerb können wir dafür sorgen, dass das auch so bleibt! Die nächste Chance gilt es am 26. November zu ergreifen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Es gilt das gesprochene Wort ! 

Europäischer und globaler Wettbewerb als Herausforderung