Tempora mutantur, et nos mutamur in illis.Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen.

Sehr geehrte Damen und Herren
Der Zivildienst ist der beste Beleg für diese Erkenntnis, die auf den römischen Epiker Ovid zurückgehen soll. Noch zu Beginn der Achtzigerjahre wurde zu unbedingter Gefängnisstrafe verurteilt, wer den Militärdienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Männer wurden kriminalisiert und als Verbrecher behandelt. Die betroffenen Personen und ihre Familien waren grossen Belastungen ausgesetzt. Justiz und Armee standen diesem Problem hilflos gegenüber, da sie strikt an das geltende Recht gebunden waren. Die Schweiz stand am Pranger wegen der Verletzung von Menschenrechten.

Diese Zeiten haben sich geändert, und wir mit ihnen. Vor 10 Jahren wurde der Zivildienst geschaffen, um die Armee von einem Problem zu befreien. Dieses Ziel haben wir klar erreicht: Mit der Schaffung des Zivildienstes hörten die Vorwürfe an die Adresse der Armee und der Militärjustiz schlagartig auf. Seither gibt es keine Verurteilungen infolge Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen mehr. Und wer aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leistet, gilt nicht mehr als Feigling, Krimineller oder fauler Hund. Der Zivildienst ist akzeptiert und sein Vollzugsmodell gilt als sinnvoll und nützlich.

Eine staatliche Dienstpflicht muss sich jedoch an klaren Bedürfnissen der Gesellschaft ausrichten. Deshalb gaben wir dem Zivildienst 2004 eigene Wirkungsziele. Wir wollen mit dem Zivildienst eine Wirkung erzielen, um:

den sozialen Zusammenhalt zu stärken, insbesondere die Situation Betreuungs-, Hilfe- und Pflegebedürftiger zu verbessern,
friedensfähige Strukturen aufzubauen und Gewaltpotenziale zu reduzieren,
die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu erhalten sowie die nachhaltige Entwicklung zu fördern,
das kulturelle Erbe zu erhalten und
Beiträge im Rahmen der nationalen Sicherheitskooperation leisten.

Diese Vorgaben machen den Zivildienst zu einem wichtigen Mittel, um Lücken im Netz einer sozialen und ökologischen Schweiz zu füllen. Wo heute die Individualität und Hedonismus Trumpf sind, propagiert der Zivildienst ein Gegenmodell. Wir setzen auf aktive Solidarität, gelebten Gemeinsinn und selbstlose Förderung des öffentlichen Interessens. Zivildienst zu leisten ist etwas Sinnfälliges. Dafür lassen sich Junge gewinnen.

Vergessen wir dabei nicht: Zivildienst leistet nur, wer Zivildienst leisten will. Niemand muss Zivildienst leisten, denn es gibt heute (leider) auch andere Wege, um dem Militärdienst auszuweichen. Ich habe daher Hochachtung vor denen, die den nicht immer leichten Zivi-Weg wählen und damit ihre Wehrpflicht erfüllen.
So sind in den letzten 10 Jahren über 17’000 Zivildienstgesuche eingegangen. Mehr als 15’000 Personen wurden zivildienstpflichtig. Sie haben bisher 2,25 Mio. Zivildiensttage geleistet. Dazu stehen ihnen mehr als 5’000 Einsatzplätze in über 1’500 Einsatzbetrieben zur Verfügung. Diesen Sommer waren jeweils mehr als 1’500 Zivis gleichzeitig im Einsatz. 70 Prozent ihrer Einsätze leisten sie im Gesundheits- und Sozialwesen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Die Zivis sind keine Drückeberger! Sie pflegen Betagte, begleiten Behinderte, räumen Unwetterschäden, bauen Trockenmauern oder helfen Schutzwälder aufforsten. Im Zivildienst lernt der Zivi andere Gesellschafts- und Altersschichten, andere Berufsgruppen und fremde Landesteile kennen. Er erfährt, mit welchen Problemen andere Menschen zurecht kommen müssen, und lernt ihnen bei der Problemlösung beizustehen. Dabei gewinnt er neue soziale und berufliche Kompetenzen.
Wie der Militärdienst ist deshalb auch der Zivildienst eine Schule für das Leben. Ich wünschen mir, dass das in dieser Schule Gelernte nachhaltig wirke und das Leben der Zivis langfristig präge. Deshalb sind wir herausgefordert, den Vollzug so zu gestalten, dass positive Diensterlebnisse möglich sind.

Zwar muss der Arbeitgeber eine dienstbedingte Absenz des Zivis in Kauf nehmen, die 1,5 mal so lange dauert wie diejenige eines Soldaten. Letztlich profitiert aber auch er davon. Denn der Zivi wird neue Kompetenzen an seinem Arbeitsplatz einbringen. Der grösste Nutzen aber fällt bei den Einsatzbetrieben und bei deren Kundengruppen an, zum Beispiel bei Betagten oder Behinderten. Zivis erlauben es den Einsatzbetrieben, Dienstleistungen zu erbringen, die nötig, aber nicht finanzierbar sind. So schafft der Zivildienst für alle Beteiligten Win-Win-Situationen.Der Zivildienst ist erst 10 Jahre alt. Er kann sich noch weiter entwickeln. Ich sehe folgende Optionen:

Die Verbesserung und Intensivierung der einsatzspezifischen Grundausbildung der Zivis. Das erhöht den Nutzen der Einsätze.
Den weiteren Ausbau der Schwerpunktprogramme. Das bündelt die Wirkungen des Zivildienstes.
Den Aufbau strategischer Partnerschaften im Umweltbereich. Damit reduzieren wir die Risiken von Unwetterschäden.
Die Klärung der Zusammenarbeit mit den Institutionen der Sicherheitspolitik im Rahmen der Existenzsicherung. Das verbessert die Hilfeleistungen nach besonderen Ereignissen.

Darüber hinaus sollten wir auch das Zulassungsverfahren kritisch überprüfen. Das ist nicht nur ein Wunsch im Parlament, es gehört zur permanenten Aufgabe der Staatstätigkeit. Denn es kann doch nicht im Interesse des Staates sein, junge Bürger, die sich engagieren wollen, von diesem Engagement abzubringen.

Ich will damit nicht sagen, das geltende Verfahren sei fehlerhaft und daher gänzlich umzubauen. Es schadet der persönlichen Entwicklung eines jungen Menschen sicher nicht, wenn er über sich selbst, seine moralische Grundhaltung und sein Verhältnis zu Staat und Gesellschaft nachdenken muss. Die dabei gewonnenen Einsichten werden ihn in seinem späteren Engagement stärken.

Meine Damen und Herren, wir blicken heute auf 10 Jahre erfolgreiche, intensive Aufbau- und Vollzugsarbeit zurück. Dafür danke ich allen Beteiligten. Ich stelle mit Befriedigung fest, dass die gesetzten Ziele erreicht wurden. Es waren keine Unfälle zu beklagen, wir mussten uns nicht über negative Schlagzeilen ärgern.

Dieser Erfolg der Zivis ist das Verdienst Vieler. Nur das intensive Zusammenwirken einer Grosszahl privater und öffentlicher Partner machte diese Erfolgsgeschichte möglich. Es sind dies die Gesuchsteller und die Zivis, ihre Arbeitgeber, ihr privates Umfeld und eine grosse Zahl anerkannter Einsatzbetriebe. Es sind aber auch die Vollzugsstelle für den Zivildienst, viele andere Bundesstellen sowie zwei ausserparlamentarische Kommissionen – die Zulassungskommission und die beratende Anerkennungskommission. Sie alle haben mitgeholfen, ein grosses Netzwerk zu knüpfen. Darauf dürfen wir stolz sein. Und – um wieder Ovid zu zitieren – dürfen wir mit Zuversicht die künftigen Herausforderungen anpacken, denn so wie sich die Zeiten ändern, so werden auch wir uns ändern.

Am Anfang des Zivildienstes standen Akte der Verweigerung. Heute wissen wir: Zivis sind alles andere als Verweigerer:

Sie engagieren sich als soziale und ökologische Dienstleister.
Sie leben Solidarität.
Sie setzen sich ein für ihre Mitmenschen und unsere Umwelt.
Sie legen Zeugnis ab von einem nachhaltig gelebten Gemeinsinn, den wir uns alle als Vorbild nehmen dürfen.

Ich danke Ihnen allen für die geleistete grosse Arbeit. Ich danke ganz besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zivi und Herrn Werenfels. Weiter danke ich den Mitgliedern der Kommission und Frau Monika Bürge-Leu sowie Herrn Hans-Ulrich Bigler. Und ich fordere Sie auf: Helfen Sie im selben offenen Geiste mit, den Zivildienst den sich stetig wandelnden Bedürfnissen der Zukunft anzupassen.

Es gilt das gesprochene Wort !

Zivildienst: Aus der Not zu einer Win-Win-Geschichte