Es war also lange nicht sicher, ob ich die Glattalbahn einweihen darf. Es wurde eine interdepartementale Arbeitsgruppe eingesetzt, die untersuchte, ob ein Bundesrat an diese Eröffnung kommen darf, bezw. kommen muss.

Kommissionen des diplomatischen Dienstes und koordinierende Ausschüsse der verschiedenen Zeremonienbeauftragten des Protokolls konsultierten das „Handbuch für aktive Bundesräte". Dort steht, an welchen Anlass man als Bundesrat gehen darf, an welche man gehen muss und es werden dort alle weiteren protokollarischen Details aufgelistet, zum Beispiel, was man anziehen muss, ob man dort rauchen darf oder nicht.

(Bei einigen Anlässen, zum Beispiel beim Empfang eines Staatspräsidenten, muss man rauchen, es steht jedenfalls ausdrücklich „smoking obligatorisch".)

An lokale Anlässe sollte ein Bundesrat in der Regel nicht gehen, denn sonst werden die anderen Gegenden, die ihn auch gern gehabt hätten, eifersüchtig.

Es gibt allerdings drei Ausnahmen:

- Bei einem 100-Jahr Jubiläum darf ein Bundesrat gehen. Das ist heute leider nicht der Fall, noch nicht. Ich habe mir aber 2106 in die Agenda geschrieben und freue mich. (Wie Sie wissen, habe ich mich ja entschieden, noch ein Jahrhundert zu bleiben - auf dringendes Anraten des Tagesanzeigers.)
- Laut Handbuch ist eine weitere Ausnahme ist eine lokale „Natur- oder andere Katastrophe". Das ist heute auch nicht der Fall. Ganz im Gegenteil: Eine Katastrophe wäre es ja eher, wenn es die Glattalbahn nicht gäbe.
- Bleibt also die dritte Ausnahme: eine „nationale Ausstrahlung" des gefeierten Anlasses.

Hat die Glattalbahn eine nationale Ausstrahlung?

Das ist eigentlich schon deshalb der Fall, weil das Schweizer Fernsehen endlich an den öffentlichen Verkehr angebunden wird. Das war seit langer Zeit überfällig und wird grosse Vorteile bringen:

- Die SRG kann künftig die Gebührenerhöhung mit der Glattalbahn koordinieren. So ist auch schon sicher gestellt, dass die Glattalbahn immer rentieren wird.
- Die Fans der Sendungen können endlich mit dem öffentlichen Verkehr transportiert werden, und damit es nach der Arena nicht zu Hooliganismus kommt, werden fürs Pro und fürs Kontra je verschiedene Trams eingesetzt. So kann man auch genau zählen, wie viele Leute heute die Arena noch schauen.

Ja, die Glattalbahn ist von nationaler Bedeutung wie die NEAT. Sie ist gewissermassen das Vorbild der NEAT.

Sie wird pünktlich eröffnet. (Holz anfassen, denn die erste Etappe der NEAT wird auch pünktlich eröffnet, der Lötschbergtunnel nämlich, in einem halben Jahr. Beim Gotthard müssen wir allerdings noch sehr viel Holz anfassen.)
Bei der Glattalbahn kam es im Gegensatz zum zweitwichtigsten Bahnwerk, der NEAT, nicht zu einem Vergabestreit. (Die Firma Marti kam zwar bei der ersten Etappe Glattalbahn nicht zum Zug kam, wurde aber bei der zweiten Etappe gerade mit zwei Baulosen bedient.)

Kann man die NEAT und die GLATT sonst noch miteinander vergleichen?

Ich würde sagen, ja, beide sind von nationaler Bedeutung.

Es gibt keinen einzigen Teil des öffentlichen Verkehrs, der nicht von nationaler Bedeutung wäre. Die Glattalbahn ist nicht ein isoliertes Tram, das die Nachbarn von Oerlikon schneller untereinander verbindet und am Samstag auf den Markt bringt.

Das auch. Aber sie ist Teil eines ganzen Systems von öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch die Hauptlinien sind nur ein Element dieses Netzes, ein wichtiges zwar, aber nicht das einzige. Denn was nützt ein Hochgeschwindigkeitszug, wenn ich beim Bahnhof zwei Stunden auf einen langsamen Regionalbus warten muss, der mich dann erst noch fünf Kilometer vor meinem Ziel absetzt? Es braucht unzählige fein verästelte regionale Linien, damit das Netz als Ganzes funktionieren kann.

Die Glattalbahn ist ein Musterbeispiel für ein gutes Agglomerationsverkehrsprojekt. Sie erschliesst neue Wohn- und Arbeitsräume mit öffentlichem Verkehr. Sie entlastet die Stadt von Staus, Lärm, Gestank und schafft Lebens- und Standortqualität.

Sie behindert nicht einfach den Automobilverkehr, sondern sie schafft Anreize. Sie ist ein verkehrspolitisches Gesamtkunstwerk, denn sie fördert auch das Velo.

Ich bin sehr froh, dass mit dem beschlossenen Infrastrukturfonds die Bundesunterstützung gesichert ist.

Die Glattalbahn macht es vor: Ein Tram oder eine S-Bahn ergänzen und entlasten die Strassen.

In diesem Sinne wurde der Infrastrukturfonds entwickelt, und bei der zweiten und dritten Etappe der Glattalbahn können nun bereits Treibstoffgelder aus dem Fonds eingesetzt werden.

Das Gesetz über den Infrastrukturfonds wurde als zweiter Anlauf zur Bewältigung der Agglomerationsprobleme gestartet und nun erfolgreich abgeschlossen. Es wurde aus einem ersten Fehler gelernt. Dort wurde nämlich zuerst auf die Vernetzung von Agglomerationen und Randregionen, von Strasse und Schiene zu wenig Rücksicht genommen.

Ebenso war es ein Fehler, in der Bahnreform II ein Haupt- und ein Ergänzungsnetz vorzuschlagen. Auch aus diesem Fehler musste gelernt werden. Die Erkenntnis ist eben gerade, dass sich nationale und regionale Linien ergänzen. Auch ein Tram ist von nationaler Bedeutung, so wie es eine Postautolinie in den Bergen auch ist.

Der öffentliche Verkehr hat bei Budgetberatungen, bei den Verteilkämpfen um öffentliche Aufgaben wie Bildung und Forschung, soziale Sicherheit einen schweren Stand. Da wird dann argumentiert über den volkswirtschaftlichen Nutzen. Aber die emotionale Bindung ist eben auch etwas Wichtiges. Daher ist das Design, die Liebe zur Erscheinung, die Ästhetik auch etwas Herausragendes. Ich bin um die Gestaltung der Glattalbahn glücklich. Die ganze Bindung an den service public, an den öffentlichen Verkehr ist oft auch auf das Gesicht, die Erscheinungsform zurückzuführen: Denken wir an das Postauto, an die Briefkästen, an die Bahnhöfe.

In diesem Sinne steht das öffentliche Verkehrsnetz durchaus symbolisch für die ganze schweizerische Kohäsionspolitik.

Wir brauchen in der Schweiz mit ihren ganz unterschiedlichen Regionen, Sprachen, Religionen, und Altersgruppen Netze, in denen alle Teile gleichwertig sind, die Rhätische Bahn ebenso wie Bahn 2000, das Regionalspital ebenso wie die Grossklinik, die Peripherie ebenso wie das Zentrum. Weil wir auf alle Teile des Landes Rücksicht nehmen, mag es bei uns gelegentlich etwas länger dauern, bis ein Projekt einmal beschlossen ist. Ist es das aber, ist das Projekt zu einem Teil von uns selbst geworden. Wir sprechen dann von „unserer" Bahn, „unserer" Post, „unseren" Schulen, wir identifizieren uns mit unseren Infrastrukturen und Dienstleistungen.

Und solange wir im Stande sind, dies so ganzheitlich zu sehen, so lange gibt es in der Schweiz auch keine brennenden Busse und keine mutwillig zerstörten Quartierzentren.

Das Tal der Glatt hat mit den Bergregionen auch noch etwas anderes zu tun.

Bei den Infrastrukturen der Sechziger- und Siebzigerjahren ist man von ganz anderen Voraussetzungen ausgegangen. Die damaligen Fehler korrigieren wir heute zum Beispiel mit der Einhausung von Schwamendingen. Nicht nur die Zerschneidung von Quartieren durch Autobahnen folgte einer Vorstellung, die wir heute nicht mehr teilen, auch energie- und klimapolitisch war das eine andere Zeit. Man glaubte noch an einen unerschöpflichen Energievorrat und das Wort Klimawandel gab es ebenfalls noch nicht. Heute brauchen wir klimaschonende Systeme für Gebäude, Industrie und Mobilität. Diese müssen wir zuerst aufbauen, erst danach werden sie Wirkung zeigen können.

Mit der Bahn 2000 und mit der NEAT haben Schweizerinnen und Schweizer diese Trendumkehr bereits eingeleitet. Beim Personenverkehr kommt uns unsere Tradition der Vernetzung zugute: die Schweiz hatte schon immer ein gutes Bahnnetz, wir verdichten es Jahr für Jahr - heute kommt mit der Glattalbahn ein weiteres Element dazu. Und weil dieses Netz so gut funktioniert, lassen immer mehr Menschen das Auto in der Garage.

Insofern leisten die Glattalbahn wie auch die NEAT ihren Beitrag gegen schmelzende Gletscher. Und deshalb ist sie von nationaler Bedeutung.

Und weil sie damit auch einen Beitrag zur weltweiten CO2-Reduktion leistet, ist sie sogar ein Beitrag zum Kyotoziel und von weltpolitischer Ausstrahlung. Sie ist ja auch bis zum Flughafen geplant und dieser Hub wird seinen Flugplan künftig nach dem Fahrplan der Glattalbahn ausrichten.

Die Bedeutung der Glattalbahn ist also nicht nur national, sie ist global: Bei Anlässen von globaler Bedeutung sieht das „Handbuch für aktive Bundesräte" vor: Es muss der Bundespräsident kommen.

Ich danke Ihnen, dass Sie die Einweihung noch dieses Jahr vornahmen.

Was wäre die NEAT ohne die GLATT?