Liebe Festgemeinde, liebe Schwinger

Es ist jetzt bald neun Monate her, ich erinnere mich aber noch ganz genau:

An einer meiner allerersten Bundesratssitzungen musste der Bundesrat entscheiden, wen er hierhin ans Unspunnenfest delegiert. - Es war keine einfache Entscheidung.

Es ist nämlich etwas passiert, was fast nie passiert: Alle sieben Bundesrätinnen und Bundesräte haben genau das gleiche gedacht.

Es kam aber noch besser: Es haben dann auch noch alle sieben genau das gleiche gesagt.

Alle sieben Bundesrätinnen und Bundesräte wollten die Landesregierung am Unspunnenfest vertreten. - Es war aber klar, dass nur jemand gehen konnte.

Es ist im Bundesrat also zu einem richtigen Hosenlupf gekommen.

Ich weiss nicht mehr genau, mit welchen Argumenten ich mich dann habe durchsetzen können. Aber es ist ja so:

Die Linken sind ja die Netten. Und von den Schwingern sagt man, sie seien die Bösen. Ich hab dann einfach gesagt, es sei doch höchste Zeit, dass endlich einmal eine Nette zu den Bösen geht.

Liebe Festgemeinde, es ist aber nicht das erste Mal, dass ich an einem Schwingfest bin. Ich kenne deshalb auch den Schwung, der am häufigsten angewendet wird, den „Kur-zen":

Man verlagert den Gegner mit einer Finte nach rechts und wirft ihn dann mit einem Ruck nach links mit Kurz-Lätz zum Resultat.

Genau gleich geht es im Bundesrat zu und her: Recht-links wird argumentiert und dann zägg eine Finte und am Schluss kommt es dann manchmal halt trotzdem lätz.

Zwischen der Politik und dem Schwingen gibt es weitere Gemeinsamkeiten.

Genau wie die Schwinger wollen auch Politikerinnen und Politiker gewinnen. Im Schwingen und in der Politik gibt es aber nicht nur den Sieg oder die Niederlage, sondern noch etwas anderes:

Im Schwingen gibt es den „Gestellten", in der Politik den Kompromiss.

Ein Gestellter kann wie ein Sieg sein, aber auch wie eine Niederlage. Beim Kompromiss ist das anders:

Für einen Kompromiss müssen alle einen Schritt aufeinander zu machen, damit alle einen Teil ihrer Überzeugung umsetzen können.

Ein Kompromiss ist eine politische Kunst, die kaum jemand so gut beherrscht wie wir Schweizerinnen und Schweizer.

Jeder Kompromiss ist deshalb immer auch ein kleiner Sieg für unsere direkte Demokratie und für unsere politische Kultur.

Es gibt also auch Unterschiede zwischen dem Schwingsport und der Politik:

Eine gute Politik will nicht einfach den Gegner aufs Kreuz legen.

Vorkommen tut es dennoch. Manchmal, nach langen Debatten, haben die einen gewonnen, und die andern liegen im Sägemehl.

In diesen Momenten kann die Politik vom Schwingen ler-nen, wie man mit denen umgeht, die verloren haben:

Man hilft ihnen wieder auf die Beine und putzt ihnen das Sägemehl vom Rücken.

In dieser Hinsicht ist der Schwingsport ein Vorbild für die ganze Gesellschaft. Ich meine die Schwinger selber, ich meine aber auch ganz besonders das Publikum:

An einem Schwingfest werden die Unterlegenen nicht ausgepfiffen, verhöhnt oder gedemütigt. Wer einen fairen Kampf liefert, wird vom Publikum geachtet und respektiert.

Darum heisst es eben ganz zurecht Schwingfest.

In der Politik ist in den nächsten Wochen nicht Wahlfest, sondern Wahlkampf.

Wenn ich heute hier einen Wunsch offen hätte, dann wäre es der: dass dieses prächtige Unspunnenfest ein Vorbild sei für die Politik und für den Wahlherbst:

Harte Konfrontation ist erwünscht, spektakuläre Duelle auch - aber hier wird sauber gerungen.

Hier werden traditionelle Werte hochgehalten: Anstand und Respekt vor dem anderen und das heisst eben auch: Respekt vor dem politischen Gegner.

Liebe Festgemeinde, Schwingen ist nach wie vor eine Männerdomäne. Der Bundesrat mit seiner Frauenmehrheit ist dagegen fast schon eine Frauendomäne.

Ich habe schon die Vermutung gehört, im Bundesrat habe deshalb ein spezieller Schwung Hochkonjunktur: der „Wyberhaagge".

Ich kann das weder bestätigen noch dementieren, weil bei uns im Bundesrat alles absolut vertraulich ist (jedenfalls wenn es nicht schon in der Zeitung steht, bevor wir es besprechen). Eines kann ich ihnen aber sagen:

Auch im Bundesrat wird hart gerungen - wir schonen uns nicht.

Wir machen aber, nach diesen harten Auseinandersetzun-gen, immer wieder einen Schritt aufeinander zu. Wir ringen also nicht gegeneinander, sondern miteinander. Weil wir am Schluss eine Lösung haben wollen, und ich glaube, das ist auch das, was die Bevölkerung von uns erwartet.

Ich freue mich zusammen mit Euch auf die nächsten Stunden, und ich freue mich natürlich auch auf den Schlussgang. Eines kann ich jetzt schon sagen:

Der heutige Tag wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Es ist nämlich nicht überall so nett - wie hier bei den Bösen.

Mesdames et Messieurs, j'ai le grand honneur et le plaisir de vous transmettre les vœux et les salutations du gouvernement fédéral à l'occasion de cette nouvelle édition de la fête d'Unspunnen !

Signore e Signori, è per me un grande onore e piacere poter essere qui alla festa di Unspunnen e trasmettervi il saluto del Consiglio federale.

Liebe Festgemeinde, es ist mir eine grosse Ehre und eine grosse Freude, Ihnen allen zum Unspunnenfest 2011 die Grüsse und die Glückwünsche der Landesregierung zu überbringen.

Im Schwingen gibt es den "Gestellten", in der Politik den Kompromiss