Sehr geehrte Damen und Herren

Ich freue mich besonders aus zwei Gründen, hier an der Universität Zürich vor Ihnen über das Thema „Die Verhandlungen im Steuerstreit UBS/USA" zu referieren. Zum einen habe ich selber vor Jahren an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich studiert. Ich trage deshalb als Alumna gerne mit dieser Veranstaltung dazu bei, die Beziehungen unter den Ehemaligen und mit der Fakultät zu pflegen. Zum anderen ermöglicht das Thema, interessante rechtliche Fragen zu erörtern. Das Thema ist zudem von besonderer Aktualität und grossem öffentlichem Interesse.

Die gesetzeswidrige Geschäftspolitik der UBS in den USA

„Sei mit Lust bei deinen Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass du nachts ruhig schlafen kannst." Mit diesen Worten bringt Thomas Mann in seinem Roman Buddenbrooks die Maxime des rechtschaffenen Kaufmanns auf den Punkt. Von dieser Geschäftsethik haben sich die im grenzüberschreitenden USA-Geschäft tätigen Kundenberater der UBS offensichtlich nicht leiten lassen. Sie haben daher sich selber sowie darüber hinaus auch den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung einige unruhige Nächte beschert. In den Jahren 2000 bis 2007 hat die UBS Tausenden von reichen US-Staatsangehörigen systematisch bei der Verletzung ihrer Steuerpflichten geholfen. In einem mit dem amerikanischen Justizdepartement vereinbarten Abkommen über den Aufschub der Strafverfolgung, dem sogenannten Deferred Prosecution Agreement vom 18. Februar 2009, hat die UBS diesen Sachverhalt anerkannt. Sie hat namentlich eingestanden, über die Einrichtung von Offshore-Konten US-Steuerpflichtigen ermöglicht zu haben, ihr Vermögen und ihre Einkünfte vor der amerikanischen Steuerbehörde zu verheimlichen. Die Bank hat ferner eingestanden, Kunden, die ihre Konten der amerikanischen Steuerbehörde nicht gemeldet hatten, vor Ort in den USA besucht und betreut zu haben. Nach amerikanischen Angaben ist der Fiskus durch die gesetzeswidrige Geschäftspolitik der UBS um Steuereinkünfte in Höhe von Hunderten von Millionen US-Dollar betrogen worden.

Mit dem Deferred Prosecution Agreement wurde das amerikanische Strafverfahren gegen die UBS gewissermassen auf Bewährung für 18 Monate eingestellt. Erfüllt die UBS ihre Verpflichtungen, wird das Strafverfahren definitiv eingestellt. Verletzt die UBS hingegen diese Vereinbarung, kann das Strafverfahren wieder aufgenommen und die Erhebung einer Anklage in die Wege geleitet werden. Mit dem Deferred Prosecution Agreement verpflichtete sich die UBS zur Herausgabe der Daten von 255 Kunden, zum Ausstieg aus dem grenzüberschreitenden Geschäft mit US-Kunden, zur Zahlung einer Busse von 780 Millionen US-Dollar sowie zur weiteren Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden.

Die Herausgabe von Kundendaten am 18. Februar 2009 ...

Aufgrund des Deferred Prosecution Agreements wies die Finanzmarktaufsicht (FINMA) die UBS am 18. Februar 2009 an, ihr die Daten der 255 Kunden zu übergeben. Diese Daten gab die FINMA noch gleichentags den amerikanischen Behörden heraus. Bis zu diesem Tage hatte die Eidgenössische Steuerverwaltung im Rahmen eines ersten Amtshilfeverfahrens in Sachen UBS 26 Schlussverfügungen erlassen, aber noch keine Kundendaten herausgegeben. Die amerikanische Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) zog in der Folge ihr Amtshilfeersuchen - wie vom Deferred Prosecution Agreement vorgesehen - zurück.

... und ihre gerichtliche Beurteilung

Dieses Vorgehen ist vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Entscheid vom 7. Januar 2010 als rechtswidrig beurteilt worden. Das Bundesverwaltungsgericht teilte zwar die Auffassung des Bundesrates, dass die von der FINMA verfügte Herausgabe der Kundendaten zum damaligen Zeitpunkt die einzige Möglichkeit darstellte, um eine drohende Anklageerhebung gegen die UBS mit schwerwiegenden Folgen für die Bank und die schweizerische Volkswirtschaft abzuwenden. Das Bundesverwaltungsgericht hielt weiter fest, dass Art. 25 und 26 des Bankengesetzes der FINMA die Kompetenz geben, bei Insolvenzgefahr einer Bank Schutzmassnahmen zu ergreifen. Diese Bestimmungen stellten aber keine genügende gesetzliche Grundlage dar, um ausserhalb eines Amtshilfeverfahrens die Herausgabe von Kundendaten an ausländische Behörden zu verfügen.

Das Bundesverwaltungsgericht liess in seinem Entscheid durchblicken, dass nur der Bundesrat in der damaligen Notsituation hätte rechtmässig handeln können, indem er selber - gestützt auf sein verfassungsmässig verankertes Verordnungs- und Verfügungsrecht (Art. 184 Abs. 3 BV) - die Herausgabe der Kundendaten angeordnet hätte. Der Bundesrat hatte allerdings aus damaliger Sicht keine Veranlassung, von seinem Notrecht Gebrauch zu machen. Der Bundesrat soll ja aus rechtsstaatlichen Gründen von dieser Kompetenz nur in jenen Fällen Gebrauch machen, wo keine gesetzliche Grundlage besteht. Und eben diese Grundlage schien aufgrund der damaligen Einschätzung mit den Bestimmungen des Bankengesetzes gegeben. Die FINMA hat den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts an das Bundesgericht weiterzogen. Somit wird das Bundesgericht als letzte Instanz darüber urteilen, wie diese Bestimmungen des Bankengesetzes auszulegen sind und welcher Handlungsspielraum der FINMA in Krisensituationen zusteht.

Vom Steuerstreit zum Rechts- und Souveränitätskonflikt

Am 19. Februar 2009 reichte die amerikanische Steuerbehörde IRS im Rahmen eines Zivilverfahrens beim zuständigen Gericht in Miami ein Durchsetzungsbegehren ein, um die UBS zur Herausgabe der Bankunterlagen von 52 000 Kontoinhabern zu verpflichten. Damit wurde vollends klar, dass es im Fall UBS weit mehr als um einen Steuerstreit zwischen dem amerikanischen Fiskus und einer Schweizer Bank geht. Die Erhebung dieser Zivilklage führte zu einem drohenden Rechts- und Souveränitätskonflikt zwischen der Schweiz und den USA. Die UBS hätte nämlich nach einem Herausgabebefehl des zuständigen Gerichts in Miami nur noch die Wahl gehabt, entweder schweizerisches oder amerikanisches Recht zu verletzen.

Hätte die UBS den Herausgabebefehl des Gerichts in Miami befolgt, wäre sie von den schweizerischen Behörden strafrechtlich verfolgt und bestraft worden, und zwar wegen Verletzung des Bankgeheimnisses (Art. 47 Bankengesetz) sowie wegen verbotener Handlungen für einen fremden Staat und wegen verbotenen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (Art. 271 und 273 Strafgesetzbuch).
Hätte die UBS hingegen die Anordnung des Gerichts missachtet und die Bankunterlagen nicht herausgegeben, hätte die Bank mit sehr hohen Beugebussen und mit der Wiederaufnahme des amerikanischen Strafverfahrens rechnen müssen. Vergleichbare Fälle legen den Schluss nahe, dass die UBS eine Anklageerhebung in den USA kaum überstanden hätte. Ein Ausfall der UBS hätte wiederum wegen der Systemrelevanz dieser Bank einen schwerwiegenden Schaden auch für den übrigen Bankensektor in der Schweiz sowie für die gesamte schweizerische Volkswirtschaft zur Folge gehabt.

Daher machte der Bundesrat von der im amerikanischen Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, dem Gericht in einem sogenannten amicus curiae brief seine Haltung zum Fall darzulegen ohne selbst Partei zu werden. Er pochte in seiner Eingabe vom 30. April 2009 darauf, dass die Rechtsordnung und Souveränität der Schweiz zu respektieren sind. Er stellte insbesondere folgende Fakten klar: Das amerikanische Zivilverfahren gegen die UBS missachtet das im geltenden bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen vereinbarte Verfahren des Informationsaustausches. Der Versuch, die UBS durch einseitige Massnahmen zur Herausgabe von Kundendaten zu zwingen, verletzt die Schweizer Souveränität. Dieser Versuch droht zudem, die UBS zur Verletzung schweizerischer Rechtsnormen zu zwingen.

Überdies äusserte der Bundesrat in einer gleichentags an das amerikanische Aussenministerium übermittelten Note seine Besorgnis, dass das Zivilverfahren gegen die UBS den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen mit erweiterten Amtshilfebestimmungen gemäss OECD-Standard beeinträchtigen und eine Ratifikation des neuen Abkommens gefährden könnte. Diese Verknüpfung wurde von verschiedenen amerikanischen Medien fälschlicherweise als bad deal kritisiert. Sie verkannten, dass die Schweiz damit nicht einen Handel vorschlug. Vielmehr lag dieser Verknüpfung folgende Überlegung zugrunde: Einseitige Massnahmen zur Informationsbeschaffung ausserhalb des staatsvertraglich vorgesehenen Amtshilfeweges legen den Schluss nahe, dass sich die USA nicht an ihre internationalen Verpflichtungen halten. Wenn sich aber die USA nicht an die geltenden Spielregeln halten, ist es für die Schweiz schwierig, neue Spielregeln auszuhandeln und zu genehmigen.

Dennoch bekräftigten die amerikanischen Behörden am 30. Juni 2009 ihre Forderung, die Zivilklage gegen die UBS zu vollstrecken. In ihrer Eingabe an das Gericht behaupteten sie zudem, die UBS müsste im Falle einer Herausgabe der Kundendaten nicht mit einem Strafverfahren rechnen. In seiner Replik vom 7. Juli 2009 wiederholte der Bundesrat unmissverständlich, dass das Schweizer Recht eine erzwungene Herausgabe der Kundendaten verbietet. Überdies beseitigte er mögliche Zweifel an der Entschlossenheit der Schweiz, ihre Rechtsordnung und Souveränität zu schützen. Er wies auf seinen bisher unveröffentlichten Grundsatzentscheid hin, der UBS die Herausgabe der Kundendaten ausdrücklich zu verbieten und die Verfügungsgewalt über die geforderten Daten zu entziehen. Der Bundesrat kündigte an, dass im Ernstfall das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement diesen Grundsatzentscheid durch den Erlass einer Verfügung umsetzen werde.

Dieser in Aussicht gestellte Blocking Order stellte ein wirksames Instrument dar, um den drohenden Angriff auf die schweizerische Rechtsordnung und Souveränität abzuwehren. Der Erlass dieser Verfügung hätte aber unweigerlich zu einer Eskalation des Konflikts geführt und die guten Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA beeinträchtigt. Es war daher gut, dass der Ernstfall nicht eintrat und die unterschriftsreife Verfügung nie in Kraft gesetzt werden musste. Bereits am 12. Juli 2009 ersuchten die amerikanische Regierung und die UBS mit der Unterstützung des Bundesrates das Gericht im Miami, das Zivilverfahren im Hinblick auf eine aussergerichtliche Einigung im Fall UBS zu sistieren. Schliesslich konnten die Schweiz und die USA nach einem über zwei Monate dauernden Verhandlungsmarathon dem Gericht am 12. August 2009 mitteilen, im Zivilverfahren gegen die UBS einen Vergleich erzielt zu haben.

Das UBS-Abkommen vom 19. August 2009

Mit diesem aussergerichtlichen Vergleich, dem am 19. August 2009 unterzeichneten Abkommen zwischen der Schweiz und den USA über ein Amtshilfegesuch der amerikanischen Steuerbehörde IRS betreffend die UBS, konnte der drohende Rechtskonflikt zwischen den beiden Staaten abgewechselt werden. Mit der Unterzeichnung des UBS-Abkommens
verzichteten die USA auf einseitige Massnahmen zur Informationsbeschaffung und zogen das vor dem Gericht hängige Durchsetzungsbegehren gegen die UBS zurück. Sie verpflichteten sich, kein weiteres Durchsetzungsbegehren zu stellen und stattdessen den staatsvertraglich vorgesehenen Amtshilfeweg zu beschreiten. Als
Gegenleistung verpflichtete sich die Schweiz, ein neues, rund 4450 Konten betreffendes Amtshilfegesuch innert eines Jahres zu bearbeiten. Konkret muss die Eidgenössische Steuerverwaltung 90 Tage nach Eingang des Gesuchs in den ersten 500 Fällen und nach 360 Tagen in allen übrigen Fällen eine Schlussverfügung über die Herausgabe der verlangten Informationen erlassen. Der Rechtsschutz der betroffenen Personen bleibt gewahrt: Sie können die Schlussverfügungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung beim Bundesverwaltungsgericht anfechten.

Ein
Amtshilfeverfahren in dieser ausserordentlichen Grössenordnung innert der verbindlich vorgegebenen Fristen durchzuziehen, ist in der Geschichte der Schweizer Amtshilfe
einmalig. Diese Aufgabe lässt sich nur mit einer Projektorganisation bewältigen, wie sie von der Eidgenössischen Steuerverwaltung umgehend eingesetzt wurde. Diese Projektorganisation setzt sich aus rund 40 verwaltungsintern rekrutierten Juristen und Steuerspezialisten zusammen, welche die hoheitlichen Kernaufgaben, insbesondere den Erlass der Schlussverfügungen, wahrnehmen. Hinzu kommen bis zu 30 externe Wirtschaftsprüfer, die - unter der Aufsicht der Steuerverwaltung - den jeweiligen Sachverhalt klären. Die Umsetzung des UBS-Abkommens ist für die Schweiz eine grosse Herausforderung. Wir müssen uns aber vor Augen führen, dass es
keine Alternative zur erzielten Verhandlungslösung gibt.

Der Verzicht auf eine Verhandlungslösung hätte zu einer Eskalation des Rechtskonfliktes mit den bereits erwähnten schwerwiegenden volkswirtschaftlichen Konsequenzen geführt.
Eine Zahlung der Steuerschulden durch die UBS stellvertretend für ihre Kunden war ebenfalls keine Option. Die die USA sind nicht an einer solchen Zahlung interessiert, sondern wollen mit Hilfe der verlangten Kundendaten gegen mutmassliche Steuerbetrüger vorgehen.
Eine Datenherausgabe durch die UBS unter behördlicher Duldung hätte bedeutet, dass die Schweiz eine Verletzung ihres Rechts hinnimmt und vor dem extraterritorialen Geltungsanspruch des amerikanischen Rechts kapituliert. Zudem wären andere, im grenzüberschreitenden Geschäft mit den USA tätige Schweizer Banken erpressbar geworden.
Eine Datenherausgabe gestützt auf Notrecht, das heisst ohne Erlass einer Schlussverfügung und unter Missachtung der Verfahrens- und Beschwerderechte der betroffenen Personen, kam für den Bundesrat aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in Frage.
Eine umfassende Problemlösung durch Verhandlungen über eine Abgeltungssteuer in Verbindung mit einer Weissgeldstrategie mit den USA erwies sich zum damaligen Zeitpunkt wegen des hohen Zeitdrucks und der ungewissen Realisierungschancen als nicht machbar.

Den
rechtlichen Rahmen für den Abschluss und die Umsetzung des
UBS-Abkommens steckt das geltende bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen ab. Das UBS-Abkommen konkretisiert das Doppelbesteuerungsabkommen und stellt eine massgeschneiderte Lösung für die Bewältigung dieses Falles dar. Das neue Amtshilfegesuch der amerikanischen Steuerbehörde, das am 31. August 2009 bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung eintraf, stützt sich auf klar definierte
Kriterien eines bestimmten Handlungs- und Verhaltensmusters. Diese in einem Anhang zum Abkommen festgelegten Kriterien ermöglichen es, im Falle der UBS und im Rahmen des geltenden schweizerischen Rechts und der Gerichtspraxis Fälle von „Steuerbetrug und dergleichen" zu identifizieren. Der Anhang wurde auf Wunsch der USA im Interesse einer erfolgreichen Durchführung des freiwilligen Offenlegungsprogramms der amerikanischen Steuerbehörde erst 90 Tage nach Inkrafttreten des Abkommens veröffentlicht. Der Anhang ist nämlich so konkret gefasst, dass jeder Steuerpflichtige überprüfen kann, ob er vom Amtshilfegesuch betroffen ist.

Der Anhang zum UBS-Abkommen

Der am 17. November 2009 veröffentlichte Anhang zum UBS-Abkommen bestimmt zunächst, dass das amerikanische Amtshilfeersuchen die einzelnen
Namen der verdächtigen Steuerpflichtigen
nicht zu nennen braucht. Aus drei Gründen kann im Fall UBS von der Regel abgewichen werden, wonach die ersuchende Behörde in einem Amtshilfegesuch die betroffenen Personen klar identifizieren muss.
Erstens hat die UBS im Deferred Prosecution Agreement anerkannt, amerikanischen Steuerpflichtigen bei der Begehung von Steuerdelikten geholfen zu haben. Aufgrund dieses Geständnisses ist
zweitens der Verdacht genügend belegt, dass jene Kunden, welche die Dienstleistungen der UBS in Anspruch genommen haben, amtshilfefähige Steuerdelikte begangen haben.
Drittens hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 5. März 2009 festgehalten, dass die ersuchende Behörde unter bestimmten Voraussetzungen darauf verzichten kann, in einem Amtshilfegesuch die Namen von verdächtigen Personen zu nennen. Ist der Sachverhalt klar und genügend bestimmt dargestellt, liegt - trotz fehlender Namen - keine unzulässige Suchaktion ohne konkrete Verdachtsmomente (fishing expedition) vor.
Der Anhang legt weiter fest, welche beiden Kundenkategorien das Amtshilfegesuch erfasst. Zum einen sind dies in den USA wohnhafte UBS-Kunden, die zwischen 2001 und 2008 mehr als eine Million Franken direkt auf nicht gemeldeten Konten hielten und daran wirtschaftlich berechtigt waren. Zum anderen sind amerikanische Staatsangehörige im In- und Ausland betroffen, die im gleichen Zeitraum an Konten einer Offshore-Gesellschaft wirtschaftlich berechtigt waren, ohne als Organ oder Bevollmächtigter der Gesellschaft zu erscheinen.
Schliesslich definiert der Anhang, was im konkreten Fall unter „
Steuerbetrug und dergleichen" zu verstehen ist. Die Umschreibung des
Steuerbetrugs umfasst die in Ziffer 10 des Protokolls zum bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen beschriebenen Handlungen und orientiert sich zugleich an der schweizerischen Rechtssprechung. Demnach liegt ein amtshilfefähiges betrügerisches Verhalten dann vor, wenn der Steuerpflichtige falsche oder gefälschte Unterlagen verwendet oder wenn er die Steuerbehörden durch die Errichtung von Lügengebäuden oder andere schwer durchschaubare Machenschaften täuscht, um Vermögenswerte zu verschleiern und damit eine Reduktion der Steuer zu erzielen. Nach diesem Muster betrügerischen Verhaltens sind rund 250 Konteninhaber bzw. wirtschaftlich Berechtigte an Offshore-Konten vorgegangen.

Als „
und dergleichen" gelten fortgesetzte und schwere Steuerdelikte. Diese Interpretation des Anhangs geht zwar über die bisherige restriktive Amtshilfepraxis hinaus, bewegt sich aber innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens. Wegleitend ist auch hier das Ziffer 10 des Protokolls zum bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen und der folgende darin verankerte Grundsatz: Die Informationsrechte, die den Behörden des ersuchten Staates in innerstaatlichen Verfahren zustehen, sollen auch den Behörden des ersuchenden Staates im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit eingeräumt werden. Im schweizerischen Recht knüpft der Anhang an Art. 190 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer an. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde bei begründetem Verdacht auf fortgesetzte Hinterziehung grosser Beträge besondere Untersuchungsmassnahmen, einschliesslich der zwangsweisen Beschaffung von Bankunterlagen, anordnen.

Das amerikanische Amtshilfegesuch erfasst schwere Fälle, wo während mindestens dreier Jahre durchschnittlich mehr als 100 000 Franken an Zinsen, Dividenden und Kapitalgewinnen erzielt und dieses Einkommen nicht der amerikanischen Steuerbehörde gemeldet worden ist. Diese Fälle machen die grosse Mehrheit aus: Rund 4200 Konteninhaber bzw. wirtschaftlich Berechtigte haben nach diesem Muster schwere Steuerwiderhandlungen begangen.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Januar 2010

Der Bundesrat hat sich stets vom Grundsatz leiten lassen, den Fall UBS auf einer
rechtsstaatlich korrekten Basis zu bewältigen. Er genehmigte das Amtshilfeabkommen mit den USA aufgrund einer sorgfältigen Prüfung und gestützt auf interne und externe Gutachten. Den Weg zu seiner Interpretation von „Steuerbetrug und dergleichen" spurte übrigens das Bundesverwaltungsgericht selber vor. Es anerkannte nämlich in dem bereits erwähnten Urteil vom 5. März 2009, dass „auch Steuerhinterziehungen den gleichen Unrechtsgehalt wie ein Abgabebetrug haben [können], nämlich dann wenn sie insbesondere die fortgesetzte Hinterziehung grosser Steuerbeträge betreffen. Dies zeigt sich daran, dass unter diesen Umständen auch bei der Hinterziehung direkter Steuern ausnahmsweise die strafprozessualen Zwangsmassnahmen des Verwaltungsstrafrechts zur Anwendung gelangen und dass u.a. auch das Bankkundengeheimnis (auch innerstaatlich) nicht greift."

In seinem Entscheid vom 21. Januar 2010 hiess dann das Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde gegen eine Schlussverfügung der Eidgenössischen Steuerverwaltung gut und gelangte zum Schluss, dass in Fällen von schweren Steuerwiderhandlungen im Sinne der fortgesetzten Hinterziehung grosser Beträge keine Amtshilfe möglich ist. Wie lässt sich diese unterschiedliche Beurteilung der Rechtslage durch Regierung und Gericht erklären? Das Bundesverwaltungsgericht stellte in drei Punkten die
Weichen anders. Es qualifiziert
erstens das Amtshilfeabkommen mit den USA als blosse Verständigungsvereinbarung. Es ist
zweitens der Auffassung, dass der Begriff „Betrugsdelikte und dergleichen" in Ziffer 10 des Protokolls zum bilateralen Doppelbsteuerungsabkommen umfassend beschrieben ist und nicht in einer Verständigungsvereinbarung modifiziert werden kann. Und es ist
drittens der Ansicht, dass diese Bestimmung „Betrugsdelikte und dergleichen" abschliessend einzig im Sinne von Steuer- oder Abgabebetrug definiert.

Mit seinem Entscheid vom 21. Januar 2010 hat das Bundesverwaltungsgericht die Umsetzung des UBS-Abkommens, das zu rund 90 % Fälle von fortgesetzter schwerer Steuerhinterziehung betrifft, in Frage gestellt. Der Entscheid dispensiert die Schweiz aber nicht davon, die mit dem UBS-Abkommen eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. Der Bundesrat will ein verlässlicher Vertragspartner sein und diesbezüglich keine Zweifel aufkommen lassen - so wie sie die „New York Times" in ihrem Leitartikel Is a Swiss Deal a Deal? angetönt hatte. Nebst der Vertragstreue spricht aber auch das Eigeninteresse der Schweiz dafür, die Umsetzung des UBS-Abkommens weiterhin zu gewährleisten. Die USA haben Neuverhandlungen ausgeschlossen und klar gestellt, dass sie nicht zu Abstrichen bei den Verpflichtungen der Schweiz bereit sind. Sie haben zudem bereits angekündigt, falls erforderlich die vorgesehenen „angemessenen Ausgleichsmassnahmen zur Beseitigung des eingetretenen Ungleichgewichts zwischen den im Abkommen vereinbarten Rechten und Pflichten" zu ergreifen. Wir müssten in einem solchen Fall davon ausgehen, dass die USA zumindest das Zivilverfahren gegen die UBS wieder aufnehmen und dass ein US-Gericht die Bank zur Herausgabe der Daten der rund 4450 Kontobeziehungen verurteilen könnte. Damit befänden wir uns aber wieder in der verfahrenen Ausgangslage.

Das Änderungsprotokoll vom 31. März 2010

Um die vom Bundesverwaltungsgericht beanstandeten Mängel zu beheben, hat der Bundesrat dem Parlament ein leicht modifiziertes Abkommen zur Genehmigung vorgelegt. Mit wenigen formellen Änderungen wird klargestellt, dass das UBS-Abkommen nicht eine blosse Verständigungsvereinbarung ist. Das UBS-Abkommen ist vielmehr ein
Staatsvertrag, der den rechtlichen Rahmen des bilateralen Doppelbesteuerungsabkommens konkretisiert und festlegt, dass unter den Begriff der amtshilfefähigen „Betrugsdelikte und dergleichen" auch die fortgesetzte schwere Steuerhinterziehung fällt. Zudem stellt eine
Kollisionsregel klar, dass im Falle eines Normkonflikts das UBS-Abkommen dem bilateralen DBA und seinem Zusatzprotokoll vorgeht.

Seit der Unterzeichung des Änderungsprotokolls am 31. März 2010 wird das revidierte UBS-Abkommen
vorläufig angewendet, d.h. die Eidgenössische Steuerverwaltung kann gestützt auf die neue Rechtsgrundlage auch in Fällen von fortgesetzter, schwerer Steuerhinterziehungen Schlussverfügungen erlassen. Beide in Art. 7b des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes genannten
Voraussetzungen für eine vorläufige Anwendung sind
erfüllt. Erstens ist die
besondere Dringlichkeit gegeben, weil ohne vorläufige Anwendung die Frist für den Erlass sämtlicher Schlussverfügungen bis Ende August 2010 nicht eingehalten werden kann. Zweitens werden
wichtige Interessen der Schweiz gewahrt, indem eine Eskalation des Konflikts mit den USA vermieden wird. Setzt die Schweiz das UBS-Abkommen nicht um, droht nicht nur eine Wiederaufnahme des Zivil- und des Strafverfahrens mit den damit verbundenen nachteiligen Folgen für die schweizerische Volkswirtschaft. Auch die rasche Ratifikation des am 23. September 2009 unterzeichneten neuen bilateralen Doppelbesteuerungsabkommens wäre gefährdet. Ein baldiges Inkrafttreten ist aber für den Werkplatz Schweiz bedeutsam, da die verbesserte Zusammenarbeit die schweizerische Exportwirtschaft unterstützt und Investitionen in der Schweiz fördert. An dieser Stelle möchte ich zudem darauf hinweisen, dass das neue bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen nach OECD-Standard wesentlich weiter als das UBS-Abkommen gehen wird, da künftig auch in Fällen einfacher Steuerhinterziehung Amtshilfe möglich sein wird.

Die vorläufige Anwendung des UBS-Abkommens nimmt den
Entscheid des Parlaments nicht vorweg. Um dies sicherzustellen, hat der Bundesrat die Eidgenössische Steuerverwaltung angewiesen, keine Kundendaten vor der parlamentarischen Genehmigung an die USA zu übermitteln. Ausgenommen sind jene Fälle, in denen die betroffene Person ausdrücklich der Übermittlung ihrer Daten zugestimmt hat oder sich im Offenlegungsprogramm der amerikanischen Steuerbehörde IRS selber angezeigt hat.

Keine Verknüpfung mit anderen Fragen!

Der Bundesrat hat wiederholt die verfehlte Geschäftspolitik der UBS in den USA scharf verurteilt. Mit der Umsetzung des UBS-Abkommens will er denn auch nicht für die UBS die Kastanien aus dem Feuer holen, sondern vielmehr erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden abwenden, was im Gesamtinteresse unseres Landes ist. Befindet sich eine systemrelevante Bank in einer Existenz bedrohenden Krise, ist der Staat im Sinne einer Schadensbegrenzung gezwungen, dieses Unternehmen zu stützen.

Das eine tun und das andere nicht lassen

Nach diesem Grundsatz will der Bundesrat mit einer pragmatischen Lösung den Fall UBS beilegen und zugleich rasch die nötigen Massnahmen vorkehren, damit sich in Zukunft nicht wieder ähnliche Fälle ereignen. Er hat bereits die Stossrichtung vorgegeben und eine verbindliche Planung vorgelegt: Mit einer Änderung des Bankengesetzes will er die Too big to fail"-Problematik eindämmen. Zudem will er mit verschiedenen Massnahmen den Lohnexzessen bei Banken und Versicherungen einen Riegel schieben.

"Die Verhandlungen im Steuerstreit UBS/USA"