Sehr geehrte Damen und Herren

Die Revision des Aktienrechts und damit unweigerlich verbunden die Volksinitiative gegen die Abzockerei sind heute in aller Munde. Und dies nicht nur im erlauchten Kreis der Aktienrechtsspezialisten, sondern in der ganzen Bevölkerung. Ich habe daher die Einladung von Gaudenz Zindel, den ich übrigens noch aus meiner Churer Schulzeit kenne, zum Stand der parlamentarischen Beratung der Aktienrechtsrevision ein Referat zu halten, gerne angenommen.

In den nächsten 30 Minuten möchte ich Ihnen in einem ersten Teil die Kernpunkte der Vorlage aus der Sicht des Bundesrates wiederzugeben. In einem zweiten Teil werde ich versuchen, den Stand der parlamentarischen Beratung aufzuzeigen; dies ist allerdings leichter ge-sagt als getan, da das Parlament eine neue Vorliebe für Abspaltungen (wohlverstanden nicht nach Fusions-gesetz) entdeckt hat: Die einstige Vorlage des Aktien- und Rechnungslegungsrechts ist nun stark fragmen-tiert. Schliesslich möchte ich in einem dritten Teil im Sinne einer Synthese die Ergebnisse der parlamentari-schen Beratung in Bezug auf die Kernpunkte der Vor-lage zusammenfassen.

Zu den Kernpunkten der Aktienrechtsrevision;

Bevor ich auf die einzelnen, materiellen Kernpunkte zu sprechen komme, möchte ich auf drei Leitlinien hinweisen, die für die gesamtheitliche Beurteilung der Aktienrechtsrevision von Bedeutung sind.

Dem Bundesrat schwebt ein modernes, ausgewogenes und einheitliches Aktienrecht vor:

ein modernes Aktienrecht, bspw. durch Bestimmungen, die flexible Kapitalstrukturen zulassen oder den Einbezug elektronischer Medien ermöglichen;
ein ausgewogenes Aktienrecht, das die Aktionärsrechte stärkt und unserer liberalen Tradition Rechnung trägt;
und ein einheitliches Aktienrecht, das in pragmatischer Weise für alle Gesellschaften gelten soll und punktuelle, materielle Differenzierungen dort vornimmt, wo es nötig ist.

Ein erster materieller Kernpunkt der Aktienrechtsrevision ist nach Auffassung des Bundesrates: Corporate Governance

Im Bereich der Corporate Governance, der auch politisch immer wichtiger wird, möchte ich die folgenden Aspekte hervorheben:
Zunächst:

Verbesserung der Aktionärsrechte: Es ist vermehrt zu einem faktischen Machtgefälle zwischen der Unternehmensführung (d.h. dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung) und den Aktionären gekommen. Damit die Aktionäre ihre Rechte besser wahren können, schlägt der Entwurf unter anderem vor:
- die Senkung der Schwellenwerte für die Einleitung der Sonderuntersuchung sowie für Begehren auf Einberufung, Traktandierung und Stellung von Anträgen und
- die Verbesserung der Auskunfts- und Einsichtsrechte bei KMU, da gerade dort ein nicht unerhebliches Missbrauchspotenzial besteht.
Zum Bereich Corporate Governance gehört auch die Regelung der Vergütungen des Managements. Die rechtliche Behandlung der Vergütungen insb. des Verwaltungsrats hat in den letzten Jahrzehnten einen grossen Wandel erlebt. Ausgehend von der gewinnabhängigen Tantieme, die von den Statuten vorgesehen werden muss, entwickelte sich die Ausrichtung von Vergütungen an den Verwaltungsrat aus steuertechnischen Gründen in die alleinige Kompetenz des Verwaltungsrats. Nachdem für börsenkotierte Gesellschaften gewisse Schranken durch die Selbstregulierung aufgestellt wurden, besteht heute eine klare Tendenz zur Regulierung durch den Gesetzgeber. Wie weit diese Gesetzesbestimmungen gehen sollen, ist allerdings umstritten. Ich bin jedoch nach wie vor der Ansicht, dass der Bundesrat in der Zusatzbotschaft einen vernünftigen und praktikablen Weg gewählt hat.
Der Zusatzentwurf sieht diesbezüglich für börsenkotierte Aktiengesellschaften folgende zwingenden Regeln vor: Der Verwaltungsrat erlässt ein Vergütungsreglement und einen Vergütungsbericht. Gestützt darauf beschliesst die Generalversammlung bindend über die Grundvergütungen (prospektiv) und die zusätzlichen Vergütungen (retrospektiv) des Verwaltungsrats. In Bezug auf die Vergütungen der Geschäftsleitung und des Beirats wird die Generalversammlung konsultativ befragt.
Die Statuten aller Aktiengesellschaften - nicht nur der börsenkotierten - können aber auch in diesen Bereichen weiterreichende Kompetenzen der Generalversammlung vorsehen.
Und schliesslich, eine dritte Komponente der Corporate Governance: Stimmrechtsvertretung. Die best austarierten Aktionärsrechte nützen nichts, wenn nicht garantiert ist, dass an der Generalversammlung der tatsächliche Wille der Aktionäre zum Ausdruck kommt. Aus diesem Grund sind die heute geltenden Regeln zur Organ- und Depotvertretung unbefriedigend, da die Weisungsregeln fragwürdig sind (bei der Depotvertretung) oder gar vollständig fehlen (bei der Organvertretung). In der Praxis kann und wird daher durch vorformulierte Formulare und Bestimmungen in Depotverträgen eine gewisse Lenkung vorgenommen. Der Entwurf beschränkt daher die institutionelle Stimmrechtsbeschränkung auf den unabhängigen Stimmrechtsvertreter und sieht auch klare Weisungsregeln vor.

Ein zweiter materieller Kernpunkt der Aktienrechtsrevision - neben der Corporate Governance - sind: Kapitalstrukturen

Die geltenden Bestimmungen zu den Kapitalstrukturen sind teilweise unklar und lückenhaft. Folgende Neuerungen sind vorgesehen:

Zum einen Einführung eines Kapitalbands - zum andern Neuregelung der Reservebestimmungen
Durch das Kapitalband kann die Generalversammlung den Verwaltungsrat ermächtigen, das Aktienkapital während einer gewissen Dauer innerhalb einer bestimmten Bandbreite herauf- und herabzusetzen. Das Kapitalband übernimmt somit gleichzeitig die Funktion einer genehmigten Kapitalerhöhung und -herabsetzung.
Reserven
Die heutige, unklar formulierte Reservenbestimmung wird neu geregelt. Nach dem Entwurf gibt es eine gesetzliche Kapitalreserve, eine gesetzliche Gewinnreserve und eine freiwillige Gewinnreserve.
Nachdem die Lehrmeinungen gespalten waren, hat der Bundesrat entschieden, dass das Agio der gesetzlichen Kapitalreserve zuzuweisen ist und somit nicht an die Aktionäre zurück bezahlt werden kann.

Und schliesslich der dritte materielle Kernpunkt der Revision: neue Regelungen für die Generalversammlung

Die heutigen elektronischen Kommunikationsmittel eröffnen neue Möglichkeiten für die Durchführung einer Generalversammlung. Der Entwurf will die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen schaffen.

Das heisst: Die Bestimmungen zum Tagungsort und zur Verwendung von elektronischen Kommunikationsmitteln werden flexibilisiert. So ermöglicht der Entwurf Generalversammlungen mit mehreren Tagungsorten resp. mit einem Tagungsort im Ausland und sieht auch Regeln vor für die elektronische Einberufung, elektronische Vollmachtserteilung und die Verwendung von elektronischen Kommunikationsmitteln (Videokonferenz oder Internet).

Damit kann das Unmittelbarkeitsprinzip beibehalten werden. Die neuen Bestimmungen ermöglichen es den Aktionären, sich nicht mehr zwingend an den Ort der Generalversammlung begeben zu müssen.

Zum Stand der parlamentarischen Beratung

Bevor ich auf den Stand der parlamentarischen Beratung zu sprechen komme, erscheint es mir angezeigt, kurz die Evolution der Revisionsvorlage zu skizzieren.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurden zahlreiche parlamentarische Vorstösse im Bereich der Corporate Governance eingereicht.
Daraufhin hat das Bundesamt für Justiz verschiedene Expertenberichte in Auftrag gegeben, u.a. bei den hier anwesenden Professoren Böckli und von der Crone.
Gestützt darauf erarbeitete das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement den Vorentwurf und Begleitbericht vom 2. Dezember 2005. Der Vorentwurf verband zudem die Revision des Aktienrechts mit der integralen Neuregelung des Rechnungslegungsrechts.
Nach der Vernehmlassung und der Ämterkonsultation erliess der Bundesrat am 21. Dezember 2007 den Entwurf und die Botschaft zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts.
Am 26. Februar 2008 wurde die Volksinitiative gegen die Abzockerei eingereicht, welche ganz spezifische Regeln in Bezug auf die Vergütungen des Managements von börsenkotierten Gesellschaften verlangt und daher einen sehr engen Bezug zur Aktienrechtsrevision aufweist.
Am 5. Dezember 2008 hat der Bundesrat schliesslich die Botschaft zur Volksinitiative gegen die Abzockerei erlassen. Darin befinden sich auch zusätzliche Bestimmungen, die den Entwurf vom 21.Dezember 2007 komplettieren. Ich spreche daher vom Zusatzentwurf und der Zusatzbotschaft.

Bei genauerem Betrachten der Daten könnte man nun fast den Eindruck erhalten, es handle sich um aktienrechtliche „Dezemberrevolutionen" des Bundesrates.
Ich kann Ihnen aber versichern, dass die Vorschläge alles andere als revolutionär sind: Wenn man die politischen Entwicklungen verfolgt, verdeutlicht sich je länger je mehr, dass diese Entwürfe, die zusammen als eine konsolidierte Vorlage zu betrachten sind, einen vernünftigen und gangbaren Mittelweg darstellen würden. Am Konjunktiv können Sie aber bereits erkennen, dass das Parlament bis anhin mit dem Bundesrat nicht ganz einig war.

Parlamentarische Beratung

Die Revision des Aktienrechts wurde für die Vorberatung der Kommission für Rechtsfragen zugeteilt und als Erstrat wurde der Ständerat bestimmt.
Vorgängig ist besonders erwähnenswert, dass im Laufe der parlamentarischen Beratung ungewöhnlich viele Anträge gestellt wurden. Dies zeugt einerseits von der Wichtigkeit der Vorlage, andererseits aber auch von der politischen Brisanz in Bezug auf die Volksinitiative gegen die Abzockerei.

Rechtskommission Ständerat

Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates hat im Spätsommer 2008 die Arbeiten aufgenommen und erste Expertenhearings durchgeführt.
Am 27. Oktober 2008 ist die RK-S auf die Vorlage eingetreten, Ende November 2008 hat sie mit der Detailberatung zu den Bestimmungen im Bereich der Kapitalstrukturen begonnen. Im Januar 2009 hat sie zusätzliche Hearings in Bezug auf den Bereich der Corporate Governance durchgeführt (insbesondere hat sie auch das Initiativkomitee der Volksinitiative angehört) und sodann mit der Detailberatung dieses Bereichs begonnen (der neu auch die zusätzlichen Bestimmungen des Zusatzentwurfs enthielt).
Die wichtigsten Beschlüsse der RK-S in Bezug auf die eingangs erwähnten Kernanliegen sind die folgenden:

Zur Vermeidung von Dispoaktien wurde ein Nominee-Modell eingeführt;
Die Reservenbestimmung wurde geändert, wodurch Agiorückzahlung an die Aktionäre unter gewissen Bedingungen erlaubt wird;
Die von der Zusatzbotschaft vorgeschlagenen Vergütungsregeln wurden grundsätzlich unverändert übernommen;
Zudem wurden zusätzliche Vergütungs- und Transparenzbestimmungen eingeführt, um die Vorlage noch mehr den Forderungen der Volksinitiative anzunähern:

Eine notwendige statutarische Regelung für Erfolgs- und Beteiligungspläne, Renten, Kredite sowie Arbeitsverträge der Geschäftsleitung;
ein Verbot für Abgangsentschädigungen, Vergütungen im Voraus sowie Prämien für Firmenkäufe und -verkäufe;
die individuelle Offenlegung aller Vergütungen der Geschäftsleitungsmitglieder im Geschäftsbericht;
die Offenlegung aller Vergütungen innerhalb der Gesellschaft, die höher sind als die niedrigste Vergütung eines Geschäftsleitungsmitglieds im Geschäftsbericht.

Schliesslich wurde aus Zeitgründen die Abkoppelung des Rechnungslegungsrechts beschlossen. Dadurch sollte es ermöglicht werden, dem Volk fristgerecht mit der Volksinitiative auch einen indirekten Gegenvorschlag zu präsentieren.

Die RK-S hat in der Schlussabstimmung die Revision des Aktienrechts angenommen und gleichzeitig die Volksinitiative gegen die Abzockerei abgelehnt.

Ständerat

Der Ständerat hat in der Sommersession 2009 die Revision des Aktienrechts beraten.
Auch hier möchte ich kurz auf die wichtigsten Beschlüsse der kleinen Kammer eingehen:

Die zusätzlichen von der RK-S eingeführten Vergütungs- und Transparenzbestimmungen für börsenkotierte Gesellschaften wurden ersatzlos gestrichen;
Auch bei den KMU wurde der Rotstift angesetzt; dem Ständerat gingen die verbesserten Auskunfts- und Einsichtsrecht bei nicht börsenkotierten Gesellschaften zu weit, weshalb auch diese gestrichen wurden;
Schliesslich wurden auch die Schwellenwerte für die Einleitung einer Sonderuntersuchung erhöht.
Das Nominee-Modell, die modifizierten Reservebestimmungen sowie die Vergütungsregeln gemäss der Zusatzbotschaft wurden bestätigt.

In der Schlussabstimmung wurde die Revision des Aktienrechts angenommen, die Volksinitiative abgelehnt.
Die Presse sprach in der Folge von der Kastration des Aktienrechts durch den Ständerat. Ohne weiter auf diesen Titel einzugehen, bin ich doch immerhin erfreut darüber, dass noch keine mediale Autopsie vorgenommen wurde.

Rechtskommission des Nationalrats

Die RK-N hat am 25. Juni 2009 beschlossen, auf die Revision des Aktienrechts einzutreten.
Die Detailberatung ist zwar noch nicht abgeschlossen. Es wurden aber bereits einige wegweisende Beschlüsse gefällt, die ich hier kurz erwähnen möchte.

Obwohl dies klar den Forderungen der Volksinitiative gegen die Abzockerei widerspricht, hat die RK-N beschlossen, das Depot- und Organstimmrecht wieder zuzulassen.
Später wurde der Verwaltung der Auftrag erteilt, eine formelle Zweiteilung des Aktienrechts nach dem Kriterium der Börsenkotierung vorzunehmen. Es soll demnach einen allgemeinen Teil und einen nur für börsenkotierte Gesellschaften geltenden Teil geben. Der Entwurf der Verwaltung wurde unterdessen der Kommission übergeben; ein formeller Beschluss (sprich eine Annahme oder Ablehnung) wurde jedoch noch nicht gefasst. Die Kommission führt jedoch bis anhin die Detailberatung auf der Grundlage des zweigeteilten Aktienrechts fort.
Schliesslich hat die Kommission die Entkoppelung der Aktienrechtsrevision von der Volksinitiative beschlossen. Dies bedeutete, dass über die Initiative unabhängig von der Revision des Aktienrechts abgestimmt werden konnte.
Die Volksinitiative wurde sodann zum Erstaunen gewisser Parteien angenommen und zwar ohne Gegenentwurf.
Nachdem sich eine parteiübergreifende Eigendynamik entwickelt hatte, beschloss die Rechtkommission anlässlich der nächsten Sitzung Rückkommen auf den Beschluss in Bezug auf die Volksinitiative.
Am 26. Februar dieses Jahres hat sich nun die Kommission gegen einen indirekten Gegenvorschlag, dafür aber für einen direkten Gegenentwurf auf Verfassungsstufe entschieden.

Nach der Bereinigung des direkten Gegenentwurfs (es lagen drei verschiedene Konzepte vor) wurde in der Schlussabstimmung sowohl der Gegenentwurf als auch die Volksinitiative angenommen.
Unterdessen hat die Kommission die Bestimmungen zur Kapitalstruktur und zur Generalversammlung fertig beraten. Der Bereich der Corporate Governance wird nun formell in einen separaten Teil verschoben (analog zu den Bestimmungen zur Rechnungslegung) und bis zum Ausgang der Volksabstimmung zur Volksinitiative gegen die Abzockerei sistiert.

Nationalrat

Der Nationalrat schliesslich hat in den Sitzungen vom 11. und 17. März 2010 in einer langen und teilweisen sehr emotionalen Debatte die Volksinitiative gegen die Abzockerei sowie den direkten Gegenentwurf beraten und beschlossen, Volk und Ständen sowohl die Initiative als auch den Gegenentwurf zur Annahme zu empfehlen, wobei in der Stichfrage der Gegenentwurf zu bevorzugen sei. Die Vorlage bezüglich der Volksinitiative gegen die Abzockerei geht nun zurück an den Ständerat.

Zum zeitlichen Ausblick und zu den Fristen

Wie aus den Beschlüssen der Rechtskommissionen sowie des Ständerates klar ersichtlich ist, sind die Aktienrechtsrevision sowie die Volksinitiative gegen die Abzockerei (zumindest materiell) untrennbar miteinander verbunden. Nicht unwesentlich in Bezug auf den bevorstehenden Abstimmungs- und nicht zu vergessen auch Wahlkampf (im Herbst 2011 stehen Nationalratswahlen an) sind dabei die zu beachtenden Fristen.

Die Volksinitiative wurde am 26. Februar 2008 eingereicht.
Grundsätzlich muss die Bundesversammlung bis zum 26. August 2010 beschliessen, ob sie die Initiative Volk und Ständen zur Annahme oder Ablehnung empfiehlt (Art. 100 ParlG).
Es besteht aber eine Verlängerungsmöglichkeit: Fasst ein Rat über einen Gegenentwurf oder über einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlassentwurf Beschluss, so kann die Bundesversammlung die Behandlungsfrist um ein Jahr verlängern (Art. 105 Abs. 1 ParlG). Die Frist könnte somit bis zum 26. August 2011 verlängert werden.
Unter Umständen besteht sogar die Möglichkeit für eine zweite Verlängerungsmöglichkeit: Steht ein mit der Volksinitiative eng zusammenhängender Erlassentwurf in der Form des Bundesgesetzes noch in der Differenzbereinigung, so kann die Bundesversammlung die Behandlungsfrist für die Volksinitiative um höchstens ein weiteres Jahr verlängern (Art. 105 Abs. 1bis ParlG). Dies wäre aber nur beim Vorliegen eines indirekten Gegenvorschlags möglich.
Der Bundesrat unterbreitet die Volksinitiative innert zehn Monaten nach der Schlussabstimmung in der Bundesversammlung, spätestens aber zehn Monate nach Ablauf der dem Parlament reservierten gesetzlichen Behandlungsfristen der Volksabstimmung. (Art. 75a BG über die politischen Rechte)

Synthese

Ich komme zum Ergebnis der parlamentarischen Beratungen in Bezug auf die Kernpunkte. Wie ist es den Kernanliegen des BR in der parlamentarischen Beratung ergangen?

Modernes Aktienrecht: Dieser Punkt ist abhängig von der Dauer der parlamentarischen Beratungen; es besteht die Gefahr, dass bei einer langen Beratungsdauer gewisse Bereiche bereits wieder „veraltet" sind.
Ausgewogenes Aktienrecht: die erneute Machtverschiebung zugunsten des Verwaltungsrats aufgrund der Beschlüsse des Ständerats (insbesondere in Bezug auf die Stimmrechtsvertretung) wurde über den Umweg der Volksinitiative resp. des direkten Gegenvorschlags durch die RK-N wieder aufgehoben. Ob noch Raum für ein liberales Aktienrecht besteht, wird vom Ausgang der Volksabstimmung über die Volksinitiative abhängen.
Einheitliches Aktienrecht: Entgegen der Auffassung des Bundesrats verfolgt die Rechtkommission des Nationalrats die Absicht der Zweiteilung des Aktienrechts aufgrund des Kriteriums der Börsenkotierung (Näheres dazu erfahren Sie im Vortrag von Prof. Vogt, der uns übrigens bei der Erarbeitung des entsprechenden Entwurfs geholfen hat)
Aktionärsrechte: Die Aktionärsrechte werden bis anhin zwar teilweise verbessert; gerade im sehr sensiblen Bereich der Privatgesellschaften wurde aber auf eine wesentliche Verbesserung namentlich der Transparenz verzichtet.
Vergütungen und Stimmrechtsvertretung: Die Ausgangslage ist nach wie vor unklar, da diese Bereiche direkt vom Ausgang der Volksabstimmung über die Volksinitiative gegen die Abzockerei abhängen. Es ist jedoch erfreulich, dass zumindest der direkte Gegenentwurf des Nationalrats den Ansatz des Bundesrates sehr stark aufgenommen hat.
Kapitalband: Diese neuen Bestimmungen wurden grundsätzlich gemäss der Botschaft des Bundesrates angenommen.
Reserven: Entgegen der Botschaft kann das Agio gemäss dem Entscheid des Ständeräts nun mehr oder weniger frei, und dank der Unternehmenssteuerreform auch steuerfrei, an die Aktionäre zurück bezahlt werden, was insbesondere aus Gläubigersicht nicht ungefährlich ist.
Generalversammlung: Die vorgeschlagenen Bestimmungen sind unproblematisch und wurden bisher in der parlamentarischen Beratung kaum thematisiert.
Stimmrechtsausübung durch Vorsorgeeinrichtungen z. H. Gemeinwesen / öffentlichrechtliche und gemischtrechtliche Anstalten

Mein Fazit:

Die Revision des Aktienrechts wurde auf Geheiss der Wirtschaftsverbände stark abgeändert und muss nun leider als Spielball für taktische Manöver in Bezug auf die Volksinitiative gegen die Abzockerei hinhalten. Dies ist nicht im Interesse des Wirtschaftstandortes Schweiz, der auf ein sachgerechtes, stabiles und nicht durch politischen Aktionismus gesteuertes Aktienrecht angewiesen ist.
Für die Weiterführung der Detailberatung zur Revision des Aktienrechts hoffe ich jedoch, dass wieder vermehrt Sach- anstatt Wahlkampfpolitik betrieben wird. Das Aktienrecht würde es uns danken.

"Stand der parlamentarischen Beratungen und Kernpunkte der Aktienrechtsrevision"