Sehr geehrte Mitglieder der Schweizerischen Public Affairs-Gesellschaft
Werte Anwesende

Referate von Bundesrätinnen oder Bundesräten über die Mittagszeit eignen sich offensichtlich gut als Verdauungsmittel. Oder auch für ein Mittagsschläfchen. Anders lässt sich kaum erklären, dass immer wieder Bundesräte zu solchen Vereinsanlässen eingeladen werden.

Körperlich fordernde Sponsorenläufe sind hingegen meist weniger gefragt, weil zu anstrengend. Heute brauchen Sie Ihren Verein also nicht durch eigenes Schwitzen vor Publikum zu unterstützen. Den "Schwitzpart" übernehme ich.

1. Lobbyismus in der Demokratie

Dabei sind Sie ja tatsächlich eine Art professionelle Sponsorenläuferinnen und Sponsorenläufer. Sie bezeichnen sich mehrheitlich als Lobbyistinnen und Lobbyisten und damit rennen Sie tagtäglich für die von Ihnen vertretenen Interessen.

Im politischen Bereich dürfte der Kern Ihrer Aktivitäten in der Vertretung spezifischer Interessen gegenüber politischen Akteuren bestehen. Und das ist gut so!

Par analogie avec le quatrième pouvoir que constituent les médias, on dit souvent, Mesdames et Messieurs, que le lobbyisme représente, lui, le cinquième pouvoir. En effet, tout comme les médias, et en conjonction avec ceux-ci, les intérêts que vous défendez peuvent avoir une influence sur les pouvoirs publics.

Le lobbyisme joue même un rôle important dans le processus de formation de la volonté politique : en raison de la complexité croissante des thèmes et des structures, les représentants des autorités se tournent volontiers vers vous pour obtenir des informations exhaustives sur un sujet de réglementation.

Votre activité n'étant que partiellement encadrée par des dispositions légales, le lobbyisme est toujours sur la corde raide entre l'exercice légitime d'une influence et le risque potentiel posé aux principes démocratiques. C'est la raison pour laquelle j'aimerais, en tant que représentante d'une autorité politique, vous proposer quelques réflexions sur la position et le rôle des autorités dans le processus de formation de la volonté politique.

2. Gebot zu aktiver Behördeninformation

Zunächst haben die Behörden die Öffentlichkeit aktiv über ihre Tätigkeiten zu informieren. Aktive Information ist eigentliche Pflicht der Behörden. Sie bildet eine zentrale Voraussetzung für die politische Partizipation der Bürgerinnen und Bürger. Besonders eindrücklich zeigt sich dies im Fall von Abstimmungen.

3. Aktive Behördeninformation vor Wahlen und Abstimmungen

Bei Abstimmungen ist die behördliche Information eng mit dem Grundrecht der Wahl- und Abstimmungsfreiheit verschränkt. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit statuiert den Anspruch der Stimmberechtigten auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe.

Als Abwehrrecht verstanden, schützt die Wahl- und Abstimmungsfreiheit zunächst vor gewissen staatlichen und privaten Handlungen, die den Willensbildungsprozess der Stimmberechtigten verfälschen könnten. Zu denken ist etwa an irreführende Fragestellungen oder an Informationen, die suggestive, emotionale oder stark vereinfachende Inhalte in den Vordergrund stellen.

Die unverfälschte Ausübung des Stimmrechts ist allerdings ohne Behördeninformation kaum möglich. Die Stimmberechtigten sind häufig kaum in der Lage, sich ohne behördliche Information ein Urteil über die meist komplexen Abstimmungsvorlagen zu bilden.

Den Behörden kommt deshalb eine Beratungsfunktion zugunsten der Stimmberechtigten zu. Überdies wäre unverständlich, wenn eine Behörde die wichtigsten Geschäfte zwar vorbereiten, dann aber nicht oder bloss defensiv begründen dürfte.

Die Auslegeordnung von Wissen, die Begründung des behördlichen Standpunkts sowie der Dialog zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat sind im Licht der starken Mediatisierung der Politik zur Voraussetzung für die individuelle politische Entscheidfindung geworden.

Dementsprechend fliesst aus der Wahl- und Abstimmungsfreiheit einerseits eine behördliche Informationspflicht; andererseits setzt die Wahl- und Abstimmungsfreiheit der behördlichen Information aber auch gewisse Schranken. Namentlich im Vorfeld von Abstimmungen kommt es nicht auf das ob, sondern entscheidend auf die Art und Weise des behördlichen Engagements an.

Dies ist in der öffentlichen Diskussion nicht gänzlich unbestritten. Die Volksinitiative "Volkssouveränität statt Behördenpropaganda" brachte dies kürzlich deutlich zum Ausdruck; sie wollte die behördliche Informationstätigkeit vor Abstimmungen erheblich einschränken.

Die Initiative wurde am 1. Juni 2008 von Volk und Ständen deutlich abgelehnt. Dazu mag entscheidend die Erkenntnis beigetragen haben, dass heute die Beeinträchtigung der freien Meinungsbildung weniger von den Behörden ausgeht. Vielmehr wird die freie Meinungsbildung primär von privaten Akteuren gefährdet, die sich gerade auch in Ihrem Berufsfeld, dem Lobbyismus, finden.

4. Umfang und Grenzen der aktiven Behördeninformation

Eine Arbeitsgruppe der Informationsdienste des Bundes erarbeitete im Jahr 2001 einen Bericht zum Engagement von Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld eidgenössischer Abstimmungen. Die heutige Praxis orientiert sich im Wesentlichen noch immer an diesem Bericht.

Demnach muss die behördliche Information vier Grundsätze beachten: Kontinuität, Transparenz, Sachlichkeit und Verhältnismässigkeit. Ich greife einige zentrale Aspekte heraus:

4.1 Sachlichkeit der Information

Das Gebot der Sachlichkeit der Information vor Abstimmungen garantiert eine objektive und vollständige Information, bei der sowohl auf die positiven als auch auf die negativen Seiten einer Vorlage hinzuweisen ist.

Die Behörden müssen sich aber nicht auf die Vermittlung reiner Fakten beschränken. Sie dürfen auch einen eigenen Standpunkt haben und diesen entsprechend vertreten, solange sie sich nicht unlauterer Mittel wie der Propaganda oder der Polemik bedienen.

Die Stimmberechtigten dürfen argumentativ überzeugt, nicht aber mit undifferenzierten oder einseitigen Argumenten überredet werden.

4.2 Verhältnismässigkeit der Information

Das Gebot der Verhältnismässigkeit garantiert, dass die behördliche Information in ihrer Art, Intensität und Wahl der Mittel geeignet und erforderlich ist, um die freie Willensbildung der Stimmberechtigten zu ermöglichen und zu erleichtern.

Das Gebot bezweckt die Herstellung von Chancengleichheit im Abstimmungskampf und will dadurch eine einseitige Beeinflussung vermeiden, die zu einer Verfälschung der Ergebnisse führen könnte.

Hier besteht ein enger Zusammenhang zwischen der privaten Öffentlichkeitsarbeit und der behördlichen Information:

Bei intensiver und ausgewogener privater Öffentlichkeitsarbeit kann sich der Staat zurückhalten.
Besteht ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen den beiden Seiten der privaten Öffentlichkeitsarbeit, kann es für den Staat angezeigt sein, auf einen Ausgleich hinzuwirken.
Selbstverständlich ist dies insbesondere dann der Fall, wenn der behördliche Standpunkt in der privaten Öffentlichkeitsarbeit nicht oder nicht ausreichend zum Ausdruck kommt.
Fehlt die private Öffentlichkeitsarbeit - etwa weil eine Vorlage institutionelle Fragen betrifft und keine besonderen privaten Interessen auf dem Spiel stehen - ist es umso mehr am Staat, die Bevölkerung über eine Vorlage zu informieren (Unverjährbarkeitsinitiative).
Schliesslich haben die Behörden unwahre oder zumindest irreführende private Informationen zu berichtigen. Dies war etwa im Rahmen der Abstimmung vom 8. Februar über die Personenfreizügigkeit wiederum notwendig.

Die Behörden hatten richtigzustellen, dass ein Nein zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Bulgarien und Rumänien zur Anwendung der Guillotine-Klausel hätte führen können, die für die Bilateralen I vorgesehen ist. (Prof. Müller/Mastronardi als "Zeugen")

4.3 Verhältnismässigkeit der eingesetzten Mittel

Regelmässig die heikelste Frage in diesem Zusammenhang bildet die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der eingesetzten Mittel. Zwar ist umstritten, ob Abstimmungserfolge "käuflich" sind, doch spielen Wahl und Umfang der eingesetzten Mittel zweifellos eine massgebliche Rolle.

Weitgehend unproblematisch sind die behördlichen Abstimmungserläuterungen, solange sie in einem sachlichen, ausgewogenen Rahmen bleiben und die Stimmbürger objektiv und richtig informieren. Sodann hat sich in den letzten Jahren eingebürgert, dass der Bundesrat seine Abstimmungskampagne rund zwei Monate vor dem Abstimmungstermin mit einer Medienorientierung eröffnet.

Bestandteil der behördlichen Kampagne sind anschliessend Auftritte von Bundesratsmitgliedern und Kadern der Bundesverwaltung an zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen sowie an Radio und Fernsehen. Darüber hinausgehende Öffentlichkeitsarbeit, wie insbesondere Inserate in Printmedien und die Verwendung von Plakaten, ist heikel und bedarf einer besonders differenzierten Betrachtung.

Erfahrungen mit solchen Formen der Öffentlichkeitsarbeit sammelte der Bund namentlich 1998 mit einer Plakatkampagne zur Verfassungsreform. Die Kampagne wurde vor dem eigentlichen Abstimmungskampf gestartet und hatte zum Ziel, die Bevölkerung für das Projekt der Verfassungsreform zu sensibilisieren. Die Plakataktion kostete rund 700'000 Franken. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verletzt der Einsatz von Plakaten durch Behörden nicht per se die Wahl- und Abstimmungsfreiheit. Trotzdem ist die Verwendung von Plakaten grundsätzlich problematisch. Anders als etwa bei Abstimmungserläuterungen vermögen Strassenplakate keinen Beitrag zu einer besseren Information der Bevölkerung zu leisten.

Wenn allerdings eine private Lobby für eine Vorlage fehlt, wie dies bei der Verfassungsreform der Fall war, kann ein zurückhaltender Einsatz von Plakaten durchaus sinnvoll sein, um die Bürgerinnen und Bürger auf eine Vorlage aufmerksam zu machen.

5. Information als Begleitmassnahme der Gesetzgebung

Neben der behördlichen Information im Rahmen des politischen Meinungsbildungsprozesses ist die behördliche Informationsarbeit auch als Begleitmassnahme der Gesetzgebung eminent wichtig. So führt etwa das Bundesamt für Gesundheit seit 2007 in zeitlich gestaffelten Wellen eine Informationskampagne zum Thema Transplantation und Organspende durch.Mit den TV-Spots, Plakaten und Hängekartons in Bussen und Trams soll die Bevölkerung motiviert werden, sich über die Transplantation und Spende von Organen, Geweben und Zellen zu informieren und mit den Angehörigen darüber zu sprechen.

Nur wer gut informiert ist, kann sich eine eigene Meinung dazu bilden, ob er oder sie im Todesfall Organe oder Gewebe spenden will oder nicht. Darüber hinaus will diese Kampagne natürlich auch Personen dazu motivieren, im Todesfall die Entnahme von Organen zu Transplantationszwecken zu gestatten. Denn ohne diese freiwillige Bereitschaft zur Organspende fehlt es an Organen, die anderen Menschen das Überleben ermöglichen können.

6. Passive Information

Soviel zur aktiven Information. Bei der passiven Information geht es um das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu amtlichen Dokumenten. Die passive Information wird auf Verfassungsebene nicht explizit normiert, ist aber seit dem 1. Juli 2006 durch das Öffentlichkeitsgesetz auf Gesetzesstufe geregelt.

Das Öffentlichkeitsgesetz vollzieht den Paradigmenwechsel vom Geheimhaltungsgrundsatz mit Öffentlichkeitsvorbehalt zum Öffentlichkeitsgrundsatz mit Geheimhaltungsvorbehalt. Demnach hat im Grundsatz nun jede Person das Recht, amtliche Dokumente einzusehen und von den Behörden Auskünfte über deren Inhalt zu erhalten. Der Öffentlichkeitsgrundsatz soll einen Beitrag zur Verwirklichung des Grundrechts der Informationsfreiheit leisten, die Transparenz verbessern und als Instrument der Verwaltungsmodernisierung dienen. Die Verwaltung soll bürgernäher, dienstleistungs- und effizienzorientierter werden.

7. Wechselseitige Kommunikation mit der Öffentlichkeit

Aktive und passive Information erfolgen einseitig; sie ergehen seitens der Behörden an die Adresse der Bevölkerung. Daneben existiert aber auch eine wechselseitige Kommunikation zwischen den Behörden und der Bevölkerung und gerade auch mit Ihnen, mit den Lobbyistinnen und Lobbyisten. So bestimmt etwa Art. 11 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes, der Bundesrat habe die Beziehungen zur Öffentlichkeit zu pflegen und sich über die in der öffentlichen Diskussion vorgebrachten Meinungen und Anliegen zu informieren.

Dem Bundesrat obliegt damit nicht nur eine Informationspflicht im Sinn einer Einwegkommunikation, sondern eine Kommunikationspflicht im Sinn eines Dialogs mit der Öffentlichkeit. Hintergrund bildet die Überzeugung, dass die Regierung nicht von der Lebenswirklichkeit abgeschlossen sein darf, sondern vielmehr in diese eingebettet ist.
Die Regierung soll in Kenntnis der politischen Realitäten handeln. Dafür muss sie die Meinungen und die Stimmungen unter der Bevölkerung kennen. Die wechselseitige Kommunikation verhilft ihr dazu.

Neben der Information der Öffentlichkeit ist auch die wechselseitige Kommunikation zwischen den Behörden und der Öffentlichkeit für das Funktionieren der Demokratie eminent wichtig. Die Formen der wechselseitigen Kommunikation sind ausgesprochen vielfältig und umfassen etwa direkte Begegnungen, dialogische Auseinandersetzungen, Teilnahme an Veranstaltungen oder das Vernehmlassungsverfahren, dem bei der Vorbereitung von Erlassen eine grosse Tragweite zukommt.

Hierzu zwei konkrete Beispiele:

Um die Situation der Muslime in der Schweiz möglichst zutreffend beurteilen zu können, suchte das EJPD vor einiger Zeit das direkte Gespräch mit muslimischen Kreisen. Es organisierte mehrere Hearings, die Vertretern der muslimischen Gemeinschaft die Möglichkeit gaben, ihre Anliegen zu äussern und auch auf Fragen der Behördenvertreter einzugehen.
Das Thema Sterbehilfe ist sehr aktuell und beschäftigt Mediziner, Ethiker, Juristen und vor allem den Mann und die Frau auf der Strasse. Auch hier haben wir mit Hearings versucht, gemeinsam Lösungen zu finden. Diese Form des Dialogs zwischen Behörden und Vertretern der Zivilgesellschaft ist ausserordentlich wichtig für das Funktionieren unseres politischen Systems.

8. Stellenwert der Kommunikation in der direkten Demokratie

In der direkten Demokratie unserer schweizerischen Ausprägung kommt der wechselseitigen Kommunikation eine erhöhte Bedeutung zu. Unsere direkte Demokratie ist in besonderem Mass offen gegenüber gesellschaftlichen Bedürfnissen, verbunden mit der Bereitschaft zu Problemlösungen im Sinn eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses.

Unsere direktdemokratischen Instrumente, insbesondere die Sachabstimmungen durch die Bevölkerung und das Initiativrecht, zielen auf einen aktiven Einbezug von Meinungen aus der Bevölkerung in die Behördentätigkeit. Sie schaffen einen besonders fruchtbaren Nährboden für den ständigen Austausch zwischen den Behörden und der Bevölkerung.

9. Grenzen der Kommunikation in der direkten Demokratie

Andererseits werden gerade in der direkten Demokratie auch die Grenzen der wechselseitigen Kommunikation besonders deutlich sichtbar. Sie liegen insbesondere im Schnittpunkt des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips.

In den letzten Jahren rieben sich die beiden Prinzipien etwa bei der Frage, ob über Einbürgerungsgesuche eine Fachbehörde oder die Gemeindeversammlung zu befinden habe. In diesem Beispiel steht auf der einen Seite das direktdemokratische Bedürfnis und damit auch das Bedürfnis nach unmittelbarer wechselseitiger Kommunikation zwischen den Behörden und der Bevölkerung.

Auf der anderen Seite steht das rechtsstaatliche Prinzip, das alle Entscheidungsträger verpflichtet, die Grundrechte, wie etwa den Schutz der Privatsphäre, zu wahren. Eine funktionierende Demokratie braucht gewisse rechtsstaatliche Spielregeln, die sie sich zu einem guten Teil selbst setzt.

10. Schluss

Gerade dieser Konfliktfall zeigt eindringlich auf, dass wir uns bei der demokratischen Entscheidfindung nicht an ein übergeordnetes, feststehendes inhaltliches Konzept halten können. Vielmehr befinden wir uns ständig auf dem Weg und sind im Rahmen der politischen Auseinandersetzung auf den permanenten Diskurs verwiesen.

Ich wünsche uns allen für das weitere erfolgreiche Beschreiten dieses Wegs viel Glück und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Stellung und Aufgabe der Behörden im politischen Meinungsbildungsprozess