Sehr geehrte Damen und Herren

Ich freue mich, am 21. ch Regierungs-Seminar meine Vorstellungen zur Weiterentwicklung des Föderalismus darlegen zu können und danke Ihnen für die Einladung.

In meinem Referat möchte ich zuerst die Kräfte des Wandels skizzieren, die auf unseren Staat wirken. Dann werde ich die daraus entstehenden Herausforderungen beleuchten und anschliessend darstellen, wie sich der Föderalismus weiter entwickeln soll und wird.

Als Bündnerin komme ich aus einem Kanton mit 150 Tälern, mit zwei unterschiedlichen Religionen und mit drei Sprachen. Aus einem Kanton, der aus dem Bündnis mehrerer Bünde entstanden ist und deren Bewohner seit jeher einen intensiven Kontakt mit den Nachbarregionen Oberitaliens und des Vorarlbergs pflegten. Damit ist mein Kanton ein Mikrokosmos der Schweiz, der die Geschichte und die Vielfalt unseres Landes in seinem Innern spiegelt. Und es ist auch ein Kanton, der sich über die Jahrhunderte dem Wandel der Zeit angepasst hat.

Ursachen des Wandels

Es spricht für die politischen Institutionen und die politische Kultur meines Kantons und der Schweiz als Ganzes, dass die einstigen Konfliktlinien - Religion bzw. Konfession und Sprache - nicht mehr zu bedeutenden Irritationen Anlass geben. Heute verlaufen die Konfliktlinien anders. Der Wandel und die Geschwindigkeit, mit der er sich vollzieht, sind aber nicht weniger sichtbar. Ich werde jeweils aufs Wochenende hin von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit zahlreichen Dossiers eingedeckt. Ich nehme mir aber dennoch die Zeit auf meinen gelegentlichen Zugfahrten von Chur nach Bern am Sonntagabend von meinen Dossiers aufzuschauen und die Umwelt um mich herum zu betrachten. Veränderung und Wandel werden dabei sichtbar, zumal ich die Strecke zwischen Chur und Zürich schon während meiner Studienjahre unzählige Male und über eine längere Zeit bis heute immer wieder gefahren bin.

Auf dieser Reise begleiten mich

der Gegensatz zwischen Stadt und Land;
der Gegensatz zwischen Gebieten, die von der Globalisierung profitieren, und Gebieten, die ihre Chance noch finden werden;
der Gegensatz zwischen steuergünstigen und weniger steuergünstigen Kantonen und Gemeinden.
Es sind dies alles Gegensätze, die glücklicherweise keine alten oder neuen Konfliktlinien aufreissen, die aber den heutigen Föderalismus prägen.

Internationale Verflechtungen

Es gibt aber noch weitere Ursachen des Wandels, welche auf einer Fahrt von Chur - Bern weniger sichtbar sind, aber dennoch eminent wichtig. So ist die Vernetzung mit dem Ausland für die Region zwischen Chur und Zürich, für die grenznahen Gebiete und für die Schweiz als Ganzes nichts Neues. Wir sind ein global ausgerichtetes, hoch kompetitives Land. Dieser Verwurzelung im Kleinräumigen, zusammen mit der Kraft global zu agieren, erweist sich als Erfolgsmodell. Gestern war es die Erschliessung der Alpenpässe, dann der Abschluss internationaler Handelsverträge und heute sind es Abkommen, die sehr direkt auf uns, auf die Regionen und auf unser Staatswesen als Ganzes wirken.

Herausforderungen für den Staat

Diese neuen, transnationalen Herausforderungen betreffen unser Gemeinwesen und seine Organisation in tiefgreifender Weise:

Einerseits verliert der Staat angesichts der Mobilität von Kapital und Arbeit an Autonomie. Er wird in Frage gestellt, soll sich reformieren oder redimensionieren. Politische Gruppierungen verlangen eine Verschlankung der Strukturen. Reformen sind angesagt, seien es Regierungs-, Parlaments-, Verwaltungs-, Territorial- oder Justizreformen. Der Staat soll die nüchternen, ökonomischen Werte verkörpern.
Andererseits wird in der Krise, vor allem bei Marktversagen, nach dem Staat als Retter gerufen. Offenbar ist der Staat immer noch die einzige Institution, welche noch Vertrauen, Identität und Sicherheit schaffen kann. Das Ende des Nationalstaates, wie er von Politauguren und Historikern Anfang der 90er Jahre vorausgesagt wurde, ist noch nicht abzusehen.
Die jüngste Finanzkrise hat gezeigt, dass in ausserordentlichen Situationen der Staat versuchen muss, Vertrauen in den Markt zu schaffen. Das gelingt nicht immer: die globale Vernetzung zeigt hier ihre Nachteile, dämpft die Wirkung des staatlichen Handelns.

Auch unsere föderalistischen Strukturen werden immer wieder in Frage gestellt.

Einerseits erwarten die Bürgerinnen und Bürger zu Recht von ihren Kantonen und Gemeinden einen guten Gegenwert für ihre Steuern, d.h. gut koordinierte und effizient erbrachte Dienstleistungen.
Andererseits wünschen die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls zu Recht Selbstbestimmung im Sinne einer möglichst intensiven und einfachen demokratischen Teilhabe auf allen drei Ebenen unseres Staates. Sie möchten direkte Ansprechpartner. Sie suchen Identität im nationalen, kantonalen und lokalen Raum.
Diesem Spannungsfeld zwischen nüchterner Leistungserbringung und emotionaler Identitätsstiftung, zwischen lokalen Ansprüchen der Bürger und internationalen Herausforderungen müssen wir in all unserem Handeln Rechnung tragen.

Auf dieses Spannungsfeld und auf die Herausforderungen an Bund und Kantone möchte ich etwas näher eingehen. In der KdK immer wieder Thema ist das Verhältnis Bund-Kantone mit Blick auf die europäische Integration.

Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Bereich der europäischen Integration

Die europäische Integration stellt denn auch eine besondere Aufgabe dar. Je mehr Entscheide auf internationaler Ebene getroffen werden, desto grösser ist die Gefahr, dass die Kantone an Einfluss verlieren. Der Föderalismus als Ausdruck der Vielfalt in der Einheit - könnte man meinen - ist potenziell gefährdet. Damit das nicht geschieht, haben wir Mechanismen entwickelt, die es den Kantonen ermöglichen, an den Verhandlungen mitzuwirken. Eine zentral gelenkte Aussenpolitik hat sich in der Schweiz nie durchgesetzt. Den Kantonen blieb stets die "kleine Aussenpolitik" vorbehalten und Sie beteiligten sich an den Verhandlungen mit der EU um eine engere Zusammenarbeit; zuletzt und seit mehreren Jahren bei der Umsetzung und bei der Weiterentwicklung der Bilateralen I und II.

Glücklicherweise sind die anfänglichen Unstimmigkeiten und das mangelnde Verständnis des Bundes gegenüber den Anliegen der Kantone mehr und mehr der Einsicht gewichen, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen vor, während und nach Abschluss der Verträge unabdingbare Voraussetzung für ein Gelingen der immer engeren Zusammenarbeit mit der EU ist.

In dieser bilateralen Zusammenarbeit mit der EU haben wir zwar aufwändige, aber wirkungsvolle Informations-, Kommunikations- und Mitwirkungsstrukturen aufgebaut sowohl auf der politischen als auch auf der fachlichen Ebene. Als Vorsteherin des EJPD denke ich hier natürlich an erster Stelle an das Abkommen von Schengen/Dublin. Zusammen mit den Kantonen hat mein Departement intensiv daran gearbeitet, die Voraussetzungen für die Inkraftsetzung des Abkommens zu schaffen. Am 12. Dezember wurden die Personenkontrollen an den Landesgrenzen aufgehoben. Am 29. März 2009 wird dies auch an den Flughäfen geschehen. Bund und Kantone engagieren sich gemeinsam in der Umsetzung des komplexen und einschneidenden Vertragswerks. Dies erfordert auch den Weiterausbau von Infrastruktur, namentlich im Bereich der Informatik, in der Vernetzung der Systeme und im Datenschutz. Mit den Kantonen sind wir im Weiteren beteiligt an der Weiterentwicklung des Rechtsbestands von Schengen/Dublin. Dies ermöglicht der Schweiz faktisch mehr Einflussmöglichkeiten, als ihr formell zugestanden wurden.

Weiterentwicklung im Bereich der Integrationspolitik

Da in fast allen Dossiers, die im Rahmen der Bilateralen umzusetzen sind oder bei welchen Vorgespräche mit der EU erfolgen, die Kantone betroffen sind, ist es nicht nur wichtig, sondern selbstverständlich, dass sie frühzeitig informiert, konsultiert und, gegebenenfalls, in die Verhandlungs- und Umsetzungsprozesse einbezogen werden. Nötig ist vor allem konsequentes und unauffälliges Arbeiten - auf Ebene Bund und Kantone - um

den gegenseitigen Informationsfluss sicherzustellen,
Chancen und Risiken von Vorschlägen und Optionen abzuschätzen,
Stellungnahmen einzuholen und abzugeben,
und um die schweizerische Haltung klar und effektvoll in die europäischen Gremien einzubringen

Damit dies möglich wird, sind kantonale Mitarbeitende weiter im Bereich der europäischen Integration auszubilden.

Horizontale und vertikale Zusammenarbeit

Das Thema "Zusammenarbeit" beschäftigt nun aber nicht nur Europa, sondern auch und ganz besonders die innerstaatlichen Aspekte der Zusammenarbeit. Diese Zusammenarbeit ist eines der wesentlichen Merkmale des heutigen Föderalismus:

Wir wissen alle, dass die Probleme nicht mehr vor Kantonsgrenzen halt machen. Eine horizontale Zusammenarbeit unter den Kantonen ist in zunehmendem Masse unabdingbar. Bürgerinnen und Bürger haben immer weniger Verständnis für Mobilitätsbarrieren zwischen den Kantonen, z.B. in Form umständlicher Anmeldeverfahren bei der Gemeinde, komplizierter Steuerverfahren oder unterschiedlichen Fremdsprachenunterrichts für ihre Kinder (Frühenglisch, Frühfranzösisch oder Frühitalienisch). Eine intensive Zusammenarbeit unter den Kantonen ist auch aus der Sicht des Bundes sehr zu begrüssen; eine effiziente und koordinierte Aufgabenerfüllung durch die Kantone entlastet den Bund.
Gleichzeitig wird auch die vertikale Zusammenarbeit immer wichtiger. Dies ist nicht zuletzt auch die Folge einer Politik, welche die Autonomie der Kantone möglichst wenig antasten will. Der Bund zieht nicht ganze Aufgabengebiete an sich, sondern regelt bloss einzelne Punkte, die einer gesamtschweizerisch einheitlichen Lösung bedürfen. Damit gehen zwar die Kompetenzen von Bund und Kantonen mehr und mehr ineinander über, Entscheide werden aber dennoch dort gefällt, wo sie auch umgesetzt werden. Während noch vor 30 Jahren von den kantonalen "Hoheiten" in den Bereichen "Schule", "Spitäler", "Polizei" und "Kultur" gesprochen wurde, bestehen nun in all diesen Bereichen Kooperationsstrukturen zum Vorteil aller drei Gebietskörperschaften.

Die eigentlichen Scharniere der horizontalen und vertikalen Kooperation sind die interkantonalen Direktorenkonferenzen und die KdK. Ihrer Rolle bin ich mir seit meiner Tätigkeit als kantonale Finanzdirektorin und als Präsidentin der Finanzdirektorenkonferenz bewusst. Der Bevölkerung und wohl auch den Medien ist die Bedeutung dieser Organe mindestens zu einem guten Teil, erst mit der Schaffung des "Hauses der Kantone" ins Bewusstsein gerückt. Die interkantonalen Organe sind aus dem kleinräumigen schweizerischen Föderalismus nicht mehr wegzudenken, erbringen sie doch Aufgaben, die für dessen Effizienz unabdingbar sind.

Unglücklicherweise kollidieren diese Zusammenarbeitsstrukturen aber mit einem eng gefassten Effizienzbegriff, der klare Ansprechpartner und ungeteilte Verantwortung vorsieht. Zusammenarbeit wird aus dieser Perspektive mit Ineffizienz gleichgesetzt. Sie wissen, dass mein Vorgänger im EJPD diese Auffassung vertreten und die Notwendigkeit der interkantonalen Gremien in Frage gestellt hat. Er hat damit ein Unbehagen thematisiert, das bei nicht wenigen Bürgerinnen und Bürgern besteht, auch bei gewissen Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Dabei wird oftmals vergessen, dass Effizienz und Effektivität gegeneinander abgewogen werden müssen. Effektivität bedeutet 'das Richtige tun'; Effizienz bedeutet: 'etwas richtig tun'. Wenn wir durch Effizienzsteigerung Strukturen zerstören, die funktionieren, werden wir ineffektiv. Wenn man die Mechanismen der Suche nach akzeptablen Lösungen durch Effizienzstreben verkürzt, oder ganz aufhebt, dann wird das Staatswesen beginnen, das Falsche zu tun: Es wird ineffektiv, mit Auswirkungen die früher oder später zum Nachteil aller gereichen.

Interkantonale Zusammenarbeit und demokratische Teilhabe

Von diesem letzten eher abstrakten Punkt ist es nicht mehr weit zum konkreten: Ich möchte die interkantonale Zusammenarbeit aus dem Blickwinkel der demokratischen Mitsprache beleuchten. Die gegenwärtig laufenden Abstimmungen zum HarmoS-Konkordat zeigen die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten der interkantonalen Zusammenarbeit deutlich auf. Die kantonalen Parlamente und anschliessend das Stimmvolk können am Vertrag selbst nichts mehr ändern, sondern bloss noch Ja oder Nein dazu sagen. Entscheiden sie sich für ein Nein, so müssen sie zusätzlich mit dem Vorwurf leben, sie würden die interkantonale Zusammenarbeit beeinträchtigen. Sie befinden sich dann in einer ähnlichen Lage wie die Iren bezüglich des Vertrags von Lissabon. Allerdings ist beim HarmoS-Konkordat formell nur die Ratifizierung von zehn Kantonen nötig, damit es in Kraft treten kann. Wo Einstimmigkeit nötig ist, besteht leicht die Gefahr einer Blockierung.

Diesen demokratiebedingten Schwierigkeiten ist Rechnung zu tragen:
In unserem Land ist die lebendige demokratische Teilhabe auf allen drei Staatsebenen Bestandteil der nationalen Identität. Es geht deshalb nicht an, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger eines Kantons mit Blick auf die Zwänge der Zusammenarbeit disziplinieren zu wollen; das ist auch gar nicht möglich. Wir müssen die demokratische Mitwirkung ernst nehmen, auch um den Preis des Scheiterns einer interkantonalen Lösung: Hier „opfern" wir die Effizienz einer interkantonalen Lösung der Effektivität demokratischen Mitwirkens.

In diesem Zusammenhang gestatte ich mir ein paar persönliche Bemerkungen zur Allgemeinverbindlicherklärung von interkantonalen Vereinbarungen durch den Bund. Zwar sehe ich durchaus den Nutzen eines solchen Instruments; ich begegne ihm aber dennoch mit einer gewissen Skepsis. Der Bund muss in einem solchen Fall nämlich Stellung nehmen: Gegen einen oder mehrere Kantone, gegen die Regierungen und die Stimmberechtigten, die eine interkantonale Vereinbarung abgelehnt haben. Damit muss der Bund einen demokratischen Entscheid umstossen. Dies erschwert die spätere Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den betroffenen Kantonen. Ja allein die Möglichkeit einer solchen Allgemeinverbindlicherklärung könnte zur Folge haben, dass bei bestehenden Differenzen über eine interkantonale Vereinbarung der Bund als „Drohung" benutzt und womöglich bereits im Stadium der Entscheidungsfindung in den Konflikt hineingezogen würde. Zwar kann eingewendet werden, auch das Bundesgericht stosse gelegentlich demokratisch gefällte kantonale Entscheide um. Das Bundesgericht entscheidet aber vollkommen unabhängig und es ist - im Gegensatz zum Bundesrat - nicht in eine stete Zusammenarbeit mit den Kantonen eingebunden.

Kommt es bei einer notwendigen interkantonalen Kooperation zu einer Blockierung, dann kann eine Bundeslösung durchaus Sinn machen; dies vor allem dann, wenn der Handlungsbedarf an sich mehrheitlich anerkannt wird. Auch solche Bundeslösungen sind demokratisch abgestützt. Das Parlament fällt den Entscheid und die Stimmberechtigten haben mit dem Referendum eine Vetomöglichkeit in der Hand.

Zentral ist also m.E. nicht, dass Entscheide für allgemeinverbindlich erklärt werden, sondern dass die interkantonale Zusammenarbeit von den kantonalen gewählten Politikerinnen und Politikern, den Regierungsrätinnen und Regierungsräten, vertreten wird und dass sie an den kantonalen politischen Strukturen angebunden wird. Die Verwaltung der interkantonalen Gremien, die ja nun weitgehend im "Haus der Kantone" zusammengefasst ist, ist vielleicht so etwas wie das Nervenzentrum dieser Zusammenarbeit. Es wäre indessen unklug, wenn sie nach aussen mehr als bisher in Erscheinung träte. Mit der interkantonalen Zusammenarbeit kann man nicht gut "Staat machen". Die Zusammenarbeit wird also in einem gewissen Sinn unsichtbar bleiben und bleiben müssen; die Parlamente und die Stimmberechtigten wollen klare Ansprechpartner. Diese Ansprechpartner aber können nur die Kantone bzw. ihre Vertreterinnen und Vertreter sein.

Es liegt folglich im Interesse der Kantone, ihre gegenseitigen Konflikte möglichst selbst zu lösen, damit ein Problem nicht auf die Bundesstufe gehoben wird. Dies bedingt auf Seite der Kantonsregierungen viel Überzeugungsarbeit, namentlich gegenüber den eigenen Stimmbürgern. Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe und eine echte Herausforderung; namentlich dann, wenn man als Regierung mit sachlichen Argumenten gegen emotionale Argumente und „Halbwahrheiten" antreten muss.

Zusammenarbeit zwischen Kantonen und in Agglomerationen

In jüngster Zeit hat eine weitere Form der regionalen Zusammenarbeit mehr und mehr Bedeutung erhalten und sie wird an Dynamik noch gewinnen: Die Zusammenarbeit zwischen Kantonen und den grossen Agglomerationen.

In unserem stark urbanisierten Land gibt es in Tat und Wahrheit keine Alternative zur Zusammenarbeit unter den Kantonen und den Regionen. Territorialreformen auf Kantonsebene, vor allem Kantonsfusionen, sind sehr schwierig zu bewerkstelligen und im Moment auch gar kein Thema. Auf absehbare Zeit wird es also primär darum gehen, die regionale Zusammenarbeit themenspezifisch zu verstärken.

Hier sind in erster Linie einmal die Mitglieder der kantonalen Regierungen gefordert; in den verschiedenen Direktorenkonferenzen werden für unterschiedliche Bereiche und Fragen in intensiver Zusammenarbeit Lösungen gesucht. Im Rahmen der Zusammenarbeit werden die grösseren Agglomerationen bzw. die Metropolitanregionen eine besondere Bedeutung gewinnen. Positiv zu vermerken ist, dass es mit der Tripartiten Agglomerationskonferenz gelungen ist, die drei Ebenen an einen Tisch zu bringen. Damit können Anliegen der Städte und Agglomerationen bei grösseren Projekten des Bundes und der Kantone frühzeitig berücksichtigt werden. Agglomerationsmodellvorhaben und Agglomerationsprogramme können aber auch Signalwirkung für eine engere Zusammenarbeit innerhalb der grösseren Agglomerationen haben.

Kantonsübergreifende Lösungen für Agglomerationen, so für die Metropolitanregionen Zürich, Basel und Genf, machen Sinn. Eine engere Zusammenarbeit in diesen Regionen, sei sie problembezogen, wie beispielsweise die Schaffung eines Verkehrsverbundes, sei sie umfassend (z.B. Schaffung eines Agglomerationsrates für sämtliche Fragen) ist daher im Grundsatz zu begrüssen. In den erwähnten drei Regionen braucht es jeweils massgeschneiderte Lösungen, in Genf und Basel allein schon wegen der Grenznähe. Ganz im Sinne des angesprochenen Subsidiaritätsprinzips ist es aus Sicht des Bundes zu begrüssen, wenn Zusammenarbeitsprobleme unterhalb der kantonalen Stufe gelöst werden können. Einer genaueren Prüfung bedürfte es allerdings, wenn Metropolitanregionen einen kantonsähnlichen Status erhielten, indem für ihr Gebiet eine Sonderordnung mit eigenen demokratischen Institutionen und Volksrechten eingeführt würde. Hier bestünde ein Risiko für das föderalistische Gleichgewicht, könnten damit doch Kantone, die an keinen Metropolitanregionen partizipieren, insbesondere die Berggebiete, gesamtschweizerisch marginalisiert werden. Eine Minderheit müsste befürchten, systematisch zu unterliegen oder nur noch auf Goodwill bauen zu können. Eine solche Entwicklung ist aber wohl wenig wahrscheinlich; es ist vielmehr davon auszugehen, dass bereits die involvierten Kantone sehr wohl prüfen würden, ob sie einer solchen Sonderlösung für die Metropolitanregion tatsächlich zustimmen könnten.

Schlusswort

Ich möchte abschliessend meine Hauptaussagen zum Verhältnis Bund-Kantone in drei Punkten zusammenfassen und ein Fazit ziehen:

Der Wandel, insbesondere die immer engere internationale Zusammenarbeit und die europäische Integration erfordern eine immer engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen sowie unter den Kantonen. Diese Zusammenarbeit erfordert harte Knochenarbeit von allen Beteiligten.
Die enge Zusammenarbeit bringt aber auch Risiken mit sich, insbesondere das Risiko beeinträchtigter demokratischer Teilhabe sowie das Risiko der Blockierung. In einzelnen Fällen ist deshalb die alleinige Zuständigkeit einer demokratisch legitimierten Ebene angezeigt. Wie Erfahrungen zeigen, ist eine Konzentration beim Bund auch aus Optik der Kantone immer wieder eine naheliegende Lösung. Autonomie schonender aber ist es, wenn es den Kantonen gelingt, eine eigenständige Lösung zu finden. Dies bedingt häufig, dass der eine oder andere Kanton bzw. dessen Vertreter über ihre Schatten springen. Die kantonalen Regierungen müssen oft intensive Überzeugungsarbeit leisten, um bei den Stimmberechtigten Unterstützung für interkantonale Lösungen zu finden.
Die Kantone haben zahlreiche Möglichkeiten, in ihrem Bereich noch effizienter zu werden und entsprechende Reformen vorzunehmen, sei es auf ihrem Kantonsgebiet (ich erwähne Gemeinde-, Regierungs-, Parlaments-, Verwaltungs- und Finanzreformen), sei es im Bereich der interkantonalen Zusammenarbeit (ich erwähne regionale Regierungskonferenzen oder bessere institutionelle Gefässe für Agglomerationen und Metropolitanregionen).

Eigenständiges Handeln, wo immer möglich, Zusammenarbeit, wo nötig und auf der tiefstmöglichen Entscheidungsebene: auf diesen Punkt lässt sich meine Botschaft verdichten. Damit beides möglich ist, braucht es eigenständige Persönlichkeiten mit klaren Meinungen, aber auch mit Verständnis gegenüber den Gesprächspartnern und - bei Interessendifferenzen - gegenüber den Kontrahenten.

Die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse und Stürme der vergangenen Jahre und der letzten Monate - beispielsweise die Steuerdifferenzen mit der EU bzw. mit Deutschland und die Finanzkrise - zeigen, wie wichtig es ist, dass sich in der Schweiz alle involvierten Partner, Bund und Kantone, rasch auf eine gemeinsame Linie und Haltung einigen. Dies ist nur möglich, wenn bei allen vorhandenen Differenzen die gemeinsamen Interessen gesehen werden und wenn nicht nur von Zusammenarbeit gesprochen, sondern Zusammenarbeit gelebt wird. Nur wenn wir uns weiterhin an diese Spielregeln halten, die wir uns mit der Bundesverfassung gegeben haben und die sich bewährt haben, wird das Experiment "Schweiz" weiter so erfolgreich sein.

Wandel, Herausforderungen und Weiterentwicklung des Schweizer Föderalismus