Sehr geehrte Damen und Herren

Es gibt viele Gründe, in der Schweiz zu investieren. Investoren nennen in der Praxis immer wieder die hervorragende Infrastruktur, die moderate Besteuerung, die einfachen Gesetze und die unkomplizierten Behörden, ausserdem die Internationalität der Schweiz, das hohe Ausbildungsniveau, die guten Sprachkenntnisse der Bevölkerung, das gerade in letzter Zeit wieder vieldiskutierte Bankkundengeheimnis und die gute Lebensqualität1. Kurz gesagt: Bei uns ist es schön und das meiste funktioniert bestens. Darum entschieden und entscheiden sich auch viele Prominente, sich bei uns niederzulassen: Thomas Mann, Tina Turner, Michael Schuhmacher, die Boris Becker GmbH. Kein Bollywood-Film wäre denkbar ohne die Kulisse unserer - man muss diesen Gemeinplatz hier einfach brauchen - wunderbaren Bergwelt.

Die Schweiz ist also für Investoren und Prominente attraktiv. Das schafft Arbeitsplätze und Wohlstand, es ist gut für die Menschen. Dass dem so ist - und damit komme ich zur wahrscheinlich wenig überraschenden Kernaussage meines Referats - verdanken wir zu einem guten Teil unserem lebendigen Föderalismus. Er schafft ein günstiges Umfeld für die Menschen und ihre Wirtschaft.

Es ist ihnen sicher bekannt: unsere föderalistische Kultur hat mich geprägt. Mein politischer Werdegang beweist, dass mir ein rein technischer Umgang mit dem Föderalismus nicht genügt. Für mich ist der Föderalismus nicht eine Antwort der Institutionen auf täglich gestellte Fragen. Er ist vielmehr ein spontaner Reflex, der meine Überlegungen und mein politisches Handeln steuert. Anlässlich des Referendums gegen das Steuerpaket wurde mir klar, wie stark diese kulturelle Realität in der gesamten Schweizer Bevölkerung verankert ist. Ich konnte einmal mehr feststellen, dass der Föderalismus sehr eng mit der Identität der Schweiz verbunden ist. Ich habe ebenfalls verstanden, dass die Kantone in der Verwaltung unseres Landes eine wichtigere Rolle als je zuvor spielen. In einem so modernen Rechtsstaat, in einer so weit entwickelten liberalen Demokratie ist Macht ohne Verantwortung nicht möglich. Diese Verantwortung lastet auch auf den Kantonen. Die von ihnen mit dem Bund entwickelte Zusammenarbeit muss konsequent ausgeführt werden. Meines Erachtens sollten die Kantone bei der Umsetzung eines föderalistischen Kompromisses ein konsequentes Verhalten zeigen. Denn es geht um die Zukunft unseres föderalistischen Modells.

Mit Baden haben Sie einen idealen Ort gewählt, um über den Föderalismus und seine vitalisierende Wirkung zu sprechen. Baden und andere Aargauer Städte haben immer wieder ihren Einfluss im Kanton geltend gemacht und dafür gesorgt, dass sie als Standorte wichtiger Institutionen berücksichtigt wurden. Wir befinden uns hier also sozusagen in urföderalen Gefilden und somit am idealen Ort, die Vorzüge des Föderalismus zu unterstreichen.

I. Welche Funktionen hat der Föderalismus?

Lassen Sie mich zunächst etwas ausholen und das Wesen des Föderalismus etwas näher betrachten. Er ist mit der Demokratie, den Grundrechten und der Rechtsstaatlichkeit eine der vier tragenden Säulen unseres Landes, gewiss. Aber warum? Warum ist er wichtig für die Schweiz? Weil er fünf wichtige Aufgaben erfüllt.

Er schützt erstens die Identität der Minderheiten, der regional verwurzelten Gemeinschaften und der Sprachgruppen, weil sie ihren Lebensraum selber gestalten und ihre Eigenheiten pflegen können. Regionale Unterschiede kommen ja sogar in kulinarischen Fragen zum Zug: Eine neue Studie des Marktforschungsinstituts Link hat zwar gezeigt, dass einige diesbezügliche Klischees überholt sind: Der „Röstigraben" existiert nicht mehr - die währschafte Kartoffelspeise ist in der Deutschschweiz so beliebt wie in der Romandie. Dafür tut sich zwischen der lateinischen und der deutschen Schweiz aber eine „Suppenrinne" auf: Nur 17 % der Deutschschweizer nehmen abends den Suppenlöffel zur Hand, während es im Welschland 26 % und im Tessin gar 37 %2 sind .

In diesem Gefüge der lokalen und regionalen Eigenheiten - das sich in seiner Gesamtheit als „Schweiz" bezeichnet - ist es nun das föderalistische System, das es jeder Sprachgruppe, jeder regionalen Gemeinschaft ermöglicht, ihre Identität zu bewahren. Diesem Umstand verdanken wir die politische und soziale Stabilität, den wahrscheinlich überhaupt grössten Standortvorteil unseres Landes.
Eine weitere wichtige Funktion des Föderalismus ist, zweitens, die sogenannte vertikale Gewaltenteilung. Die staatliche Macht ist aufgeteilt auf den Bund, die 26 Kantone und die über 2700 Gemeinden. Der Föderalismus hemmt einerseits die Macht der Zentralgewalt. Umgekehrt wird auch die Macht der lokalen Behörden eingeschränkt, denn sie untersteht in einem gewissen Mass der Kontrolle durch die Zentralgewalt: Bei Problemen mit den lokalen Behörden steht den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit offen, an den Kanton und bis an die Bundesgerichte zu gelangen. So haben wir das Problem der Verfilzung, das aus der Kleinräumigkeit entstehen kann, weitgehend im Griff. Der Föderalismus schafft in diesem Sinn ein ausgefeiltes System von „Checks and Balances" zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden. Er fördert damit Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit - ein Umstand, der grosses Gewicht hat, wenn sich jemand eine Ansiedelung bei uns überlegt.
Durch diese Aufteilung der Macht wird die Macht näher zur Bürgerin und zum Bürger hin verlagert. Der Föderalismus bewirkt somit, drittens, Bürgernähe, indem er ein weiteres erfolgreiches Staatsprinzip fördert: das Milizsystem. Unser Staatswesen beruht auf dem Milizsystem, das sich gut bewährt. Es ist aber mit 150'000 Personen sehr personalintensiv. Die Anforderungen an diese Ämter sind gestiegen, gleichzeitig ist das Sozialprestige gesunken. In Zürich zum Beispiel haben 2/3 der Gemeinden Mühe, genügend Interessierte für Behörden und Kommissionen zu finden. Das Ansehen der Behörden sollte deshalb gestärkt und nicht herabgesetzt werden, wenn man den Föderalismus und das Milizsystem bewahren will. Wenn man heute versucht, eine Spaltung zwischen den politisch aktiven Bürgerinnen und Bürgern mit Amt und denen ohne Amt herbeizureden, indem man eine „Classe politique" heraufbeschwört, die es zu bekämpfen gelte, dann schadet das unseren bewährten schweizerischen Werten, unserer politischen Kultur und letztlich auch der Stabilität in unserem Land, die ein weiterer Grund für den politischen und wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz ist. Ein föderaler Staat wie die Schweiz kann nur mit einer Politik prosperieren, die den Konsens, letztlich auch in Form des Kompromisses, nicht als Schwäche, sondern als Stärke begreift.
Der Föderalismus fördert viertens die Effizienz, weil dezentrale Organisationen schneller und genauer auf Veränderungen reagieren können als zentralistische Gebilde, die bekanntlich oft Kathedralen in der Wüste bauen. Die Probleme werden nahe beim Bürger gelöst, was auch eine effiziente Kontrolle der Politik und eine bessere Kontrolle der Staatsfinanzen ermöglicht. Dem verdanken wir zum Beispiel unsere ausgezeichnete Infrastruktur, die gut an die lokalen Begebenheiten angepasst ist. Ohne diese wäre die Schweiz weit weniger wettbewerbsfähig.
Fünftens schliesslich begünstigt der Föderalismus den Wettbewerb, weil zwischen den Kantonen auch ein Konkurrenzkampf besteht, aus dem immer wieder kreative und neue Lösungen hervorgehen. Diesem Wettbewerb - und nicht der politischen Weisheit - verdanken wir beispielsweise die tiefe Steuerquote. Dies ist sehr wertvoll, denn so können die Grenzen des Möglichen und Zulässigen ausgelotet und der ganze Spielraum sichtbar gemacht werden. Mit unserer Bundesverfassung und der darauf basierenden Gesetzgebung haben wir eine Sicherung, die ein Überborden vermeidet.

Sie sehen: Wettbewerb, Effizienz, Bürgernähe, Gewaltenteilung, Minderheitenschutz - Die Eigenheiten des Föderalismus tragen alle dazu bei, dass die Schweiz attraktiv für Menschen und Unternehmen ist. Er garantiert politische und soziale Stabilität. Er fördert die Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit. Er führt zu einer effizienten Verwendung der öffentlichen Mittel. Wir verdanken ihm bürgernahe, meist unkomplizierte Behörden, tiefe Steuern und eine alles in allem sehr gute Infrastruktur. Der Föderalismus ist also ganz klar ein Standortvorteil.

Das hat man mittlerweile auch im Ausland gemerkt. Tatsächlich erkennen auch die EU-Staaten nach und nach die Vorteile der Subsidiarität und Dezentralisierung. Bundeskanzlerin Merkel etwa meinte, dass man mittlerweile zahlreiche EU-Richtlinien wieder abschaffen und Kompetenzen an die Nationalstaaten zurückgeben könnte. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel fordert eine Beweispflicht für all jene, die eine Kompetenz nach oben verschieben wollen. Es gibt generell eine Tendenz zum Föderalismus, etwa in Spanien, Italien und Grossbritannien.

Sogar ein zentralistischer Staat wie Frankreich anerkennt die Tugenden des Föderalismus. Zu oft neigen wir aus der schweizerischen Perspektive zu denken, dass der Föderalismus in der Kultur unserer französischen Freunde als Fremdkörper empfunden würde. Ich habe diese Ansicht nie geteilt. Ich kann mich im Übrigen erinnern, dass General de Gaulle im Jahre 1969 ein Referendum zugunsten der Gründung der Regionen durchführen liess. Die Franzosen sind aber damals dieser Idee nicht gefolgt. Nichtsdestotrotz, anfangs der 80er Jahre haben sie sich schliesslich für eine sehr aktive Politik der Dezentralisierung entschieden. Damals hat Frankreich 22 Regionen gegründet, die von politischen Institutionen geführt werden, die seither alle fünf Jahre mittels allgemeinen Wahlrechts gewählt werden. Ich stelle ausserdem fest, dass in unserem westlichen Nachbarland seit dieser wichtigen Reform sehr interessante Debatten über die Zukunft der Regionen in Gange sind. Diese Debatten werden dann auch von der Europäischen Union aufgenommen. Tatsächlich investiert die EU viele Mittel, um in den sogenannten - nach meinem Geschmack etwas zu technischen - « regionalen Becken » die Entwicklung zu fördern. Ich denke namentlich an das Elsass und an das Aosta-Tal, zwei uns bekannte Regionen. Diese zwei Regionen zeichnen sich durch eine sehr dynamische wirtschaftliche Tätigkeit und eine grenzüberschreitende Geschichte aus.

Kurz gesagt, sogar für institutionelle Gebilde, die wir oft als sehr zentralistisch erachten, wie es für Frankreich oder die Europäische Union der Fall ist, zeigt sich, dass sie sich von den Vorteilen des Föderalismus verleiten lassen.

II. Welche Vorteile bringt der Föderalismus den Menschen?

Wenden wir uns nun also den konkreten Vorteilen des Föderalismus für die Einwohnerinnen und Einwohner unseres Landes zu.

Da ist zunächst das Subsidiaritätsprinzip. Was so theoretisch und technokratisch klingt, hat durchaus Fleisch am Knochen. Entscheide, welche die Bürgerinnen und Bürger auf lokaler Ebene betreffen, werden auf lokaler Ebene getroffen. Die Dienstleistungen der Behörden sind näher an den Leuten. Die lokalen Behörden haben genügend Kompetenzen, um die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zu berücksichtigen. Die Bevölkerung kann ihre Lebensumstände in einer bemerkenswerten Weise mitbestimmen. Sie kann z.B. entscheiden, ob ein Schwimmbad gebaut werden soll oder nicht - politisch ist das vielleicht trivial, aber in der Realität ist das ein grosses Stück Lebensqualität. Die Bevölkerung kann über die Verwendung der Steuergelder bestimmen - das fördert die Einsicht, dass der Einzelne einen finanziellen Beitrag zum Gelingen des Ganzen leisten muss.

Gemeinden und auch Kantone sind verhältnismässig klein. Eine einzelne Person hat so einen grösseren Einfluss. Wenn ich in der Schweiz eine von 5 Millionen Stimmberechtigten bin, bin ich in Felsberg schon eine von 1500. Die direkte Demokratie ermöglicht es dem Einzelnen, direkt Einfluss zu nehmen. In Bern z.B. genügen 5000 Unterschriften, um eine Initiative einzureichen. Es gibt nicht viele Staaten auf dieser Welt, wo ein Einzelner so viel bewirken kann.

Natürlich hat die Dezentralisierung nicht nur Vorteile, sondern bringt auch Schwierigkeiten mit sich: Die hohe Zahl der Gemeinden in einigen Kantonen kostet viel; Ämter können teilweise nur mit Schwierigkeiten besetzt werden; die Ressourcen werden nicht immer effizient eingesetzt und die Dienstleistungen zu Gunsten der Bürgerinnen und Bürger sind nicht immer gut. Umso mehr gilt es, die jeweils am besten passende Lösung zu finden. Die Gemeindefusion? Die überkantonale Zusammenarbeit, das Konkordat? Die Bundeslösung? Es muss in jedem Fall darum gehen, eine bürgernahe Politik zu bewahren in einem Rahmen, der weiter und unter Umständen weniger lokal sein wird. Hier hat der Föderalismus zentrale Bedeutung: Wer sein Umfeld kennt, der erlässt keine abgehobenen, praxisfremden Gesetze.

Trotz vieler allgemein anerkannter Vorteile der Dezentralisierung wird bei neuen Aufgaben aber fast schon reflexartig und entgegen dem System unserer Bundesverfassung erwartet, dass der Bund sie löst. Dies liegt vielleicht daran, dass das System auch seine Grenzen hat, wie die Beispiele „gefährliche Hunde" und „Hooliganismus" zeigen. Manchmal sind es sogar die Kantone, die eine zentralistische Lösung wollen. Zum Beispiel sind die Kantone mit der weitgehend föderalistischen Lösung im Pflegekindwesen nicht mehr einverstanden. Eine Mehrheit von ihnen möchte, dass der Bund weiter gehende verbindliche Vorgaben zur Pflegebewilligung und Platzierung von Kindern macht. Der Bundesrat wird nun die Pflegekindverordnung unter die Lupe nehmen. Paradoxerweise kommt der Wunsch nach weniger Föderalismus in bestimmten Bereichen nicht selten von den Kantonen.

Trotzdem: Föderalismus führt zu einer bürgernahen Politik. Ich sage nicht, dass das immer zu besseren Resultaten führt. Aber ich bin überzeugt, dass es besser ist, im Einzelfall eine schlechte Politik zu haben, an der das Volk selber Schuld ist, als eine gute Politik, die es nicht beeinflussen kann. Es gehört zu den Eigenheiten des Menschen, dass er nicht gerne Lösungen aufgezwungen erhält, sondern hier und da lieber mit dem Kopf durch die Wand geht und aus Schaden klug wird.

Auch vom Bund gehen aber bisweilen Impulse aus. Bekannt ist in „Föderalismuskreisen" die Agglomerationspolitik. Etwas weniger im Rampenlicht steht die Kinderbetreuung, obwohl sie doppelt wichtig ist: Erstens für die Menschen zur Verwirklichung einer Balance zwischen Familie und Beruf, zweitens für die Wirtschaft, die aus einem grösseren Reservoir von potentiellen Mitarbeitenden schöpfen kann.

Erinnern wir uns an früher: In ländlichen Gemeinden waren Ganztageskindergärten und Mittagstische bis vor kurzem an vielen Orten üblich. Die langen Schulwege und die beruflichen Verpflichtungen der Bauernfamilien machten solche Angebote nötig. Heute braucht es solche Angebote auch im städtischen Raum. Die betroffenen Eltern engagieren sich gelegentlich aber nur wenig für neue Kinderkrippen, da sie damit rechnen müssen, dass sie längst nicht mehr profitieren werden, wenn eine Einrichtung nach jahrelangen Bemühungen endlich gegründet werden könnte.

In dieser Situation macht das Impulsprogramm des Bundes Sinn. Acht Jahre lang, seit 2003 und noch bis 2011, stellt der Bund Kinderkrippen und Mittagstischen Finanzhilfen zur Verfügung. Dies schafft Anreize für zusätzliche Plätze zur Tagesbetreuung von Kindern, damit die Eltern, die dies tun wollen oder aus finanziellen Gründen tun müssen, Beruf oder Ausbildung und Familie besser vereinbaren können. Das Impulsprogramm führt nicht zur Zentralisierung einer Aufgabe der Kantone, Gemeinden und Privaten beim Bund. Gemäss dem Subsidiaritätsprinzip müssen die unteren Ebenen oder Private die Initiative ergreifen. Heute sind 80 % der Betreuungsangebote privat organisiert - ein grosser Erfolg und Subsidiarität im umfassenden Sinn, was bedeutet, dass der Staat gar nicht tätig wird, wenn Private die Aufgabe erfüllen können.

Das Beispiel der Kinderkrippen zeigt, dass der Anstoss für Innovationen wenn nötig auch vom Bund kommen kann, wenn er das Subsidiaritätsprinzip wahrt. Der Föderalismus hat vielfältige Spielarten, wenn es darum geht, den ersten Schritt zu erleichtern.

III. Welche Vorteile bringt der Föderalismus der Wirtschaft?

Ich habe einige der Standortvorteile für Unternehmen schon genannt, die wir dem Föderalismus verdanken: Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit, politische Stabilität, die gute Infrastruktur, das hohe Bildungsniveau, die unkomplizierten, weil im wörtlichen Sinne volksnahen Behörden, die tiefen Steuern.

Diese Vorteile spiegeln sich in der Statistik. Letztes Jahr erreichten die Unternehmensgründungen in der Schweiz ein Rekordniveau. Insgesamt wurden über 36'000 Unternehmen gegründet.

Einer der ganz grossen Vorteile der Schweiz ist der Steuerwettbewerb. Dank ihm gehört die Schweiz für Unternehmen hinter Zypern und Irland zu den drei steuerlich attraktivsten Ländern in Europa, und zwar nicht nur in tariflicher Hinsicht, sondern auch wegen der zeitlichen Stabilität der Steuergesetzgebung. Unsere Steuern sind stabil und vorhersehbar. Auch die Beziehungen zu den Steuerbehörden sind unkompliziert und kooperativ - ein Vorteil unserer dezentralen Organisation.

Mit der Unternehmenssteuerreform II, die am 24. Februar vom Volk angenommen worden ist, werden wir den Standort Schweiz weiter stärken können. Die Milderung der steuerlichen Doppelbelastung der Unternehmensgewinne, die im Zentrum der Unternehmenssteuerreform II steht, bringt die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb einen weiteren grossen Schritt nach vorne. Bei der Besteuerung der Unternehmensgewinne sind wir nur auf dem 28. Rang von 30 OECD-Staaten. Mit der Unternehmenssteuerreform II sollten wir auf den 8. Rang vorstossen. Die Reform kommt zudem primär den KMU zugute, die gut 70 % der Arbeitnehmenden und gut 80 % der Lehrlinge beschäftigen.

Auch bei der Ausgestaltung der Unternehmenssteuerreform II konnte der Bund von den Erfahrungen in den Kantonen profitieren. Den Anfang machte 2001 Nidwalden, das als erster Kanton die Teilbesteuerung einführte. Die Erfahrungen waren sehr positiv. Es folgten 16 weitere Kantone. Dieses Jahr nun war die Zeit reif für eine schweizweite Lösung, zum Vorteil der Wirtschaft.

Vorteile für Unternehmen sind auch Vorteile für die Menschen, und umgekehrt. Der Föderalismus dient beiden.

IV. Wie entwickelt sich der Föderalismus?

Der Föderalismus ist keine statische Institution. Er hat sich immer wieder gewandelt und den Bedürfnissen der Zeit angepasst. Er ist ein dynamisches Konzept, das Standortvorteile für Menschen und Unternehmen hervorbringt und sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen muss. Die Bereiche, in denen die Kantone autonom sind, werden immer kleiner, und es scheint schwierig, diesen Trend zu brechen oder zu bremsen.

In einigen Bereichen ist eine Vereinheitlichung aber unvermeidlich und ist eine solche für die Bürgerinnen und Bürger auch vorteilhaft. Ich denke hier an die Justizreform, die am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist. Sie verbessert den Rechtsschutz, weil nun immer Gerichte da sind, um einen Rechtsstreit zu beurteilen. Die künftige Strafprozessordnung und die Zivilprozessordnung werden den Rechtsraum Schweiz weiter stärken. Die Rechtszersplitterung im Verfahrensrecht behindert die Verbrechensbekämpfung und konfrontiert die Rechtssuchenden unnötigerweise mit verschiedenen kantonalen Lösungen. Föderalismus heisst nicht, dass man zwanghaft in jedem Kanton etwas anderes machen muss. Bisweilen ist eine schweizweite Lösung tatsächlich das Beste, und dann soll man diese auch einführen.

In anderen Bereichen müssen die Kantone neue Arten der Zusammenarbeit finden. Dazu gehört die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen.

Mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs ist dieses Jahr nach 15 Jahren intensiver Arbeit die grösste Föderalismusreform seit Bestehen des Bundesstaates in Kraft getreten. Der Finanzausgleich wird einfacher, transparenter, wirksam und steuerbar. Das stärkt Bund und Kantone. Die Kantone erhalten neue Handlungsspielräume. Ihre Autonomie wird gestärkt, aber sie werden auch zur Zusammenarbeit angehalten. Das Gefälle zwischen armen und reichen Kantonen wird verkleinert, die Solidarität im Bundesstaat gestärkt. Dass es trotz aller Widerstände gelungen ist, den schweizerischen Föderalismus zu modernisieren und zukunftstauglich zu gestalten, ist keine Selbstverständlichkeit.

Die Beispiele Finanzausgleich und Justizreform zeigen, dass sich der Föderalismus veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anpasst. Wo eine Harmonisierung nötig wird, verhindert er sie nicht. Die Lösungen, die der Föderalismus ermöglicht, müssen immer wieder grundsätzlich hinterfragt werden, damit er sich bewähren kann. Diese Diskussion hält ihn vital.

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass zu einem gut funktionierenden Föderalismus auch gehört, dass die auf Bundesebene bestehenden Rechtsgrundlagen in den Kantonen konsequent umgesetzt werden. Der immer wieder geltend gemachte „Regulierungsbedarf" stellt sich bei näherer Betrachtung häufig als eine mangelnde konkrete Umsetzung der bestehenden Gesetze heraus. Die Schaffung einer einheitlichen Praxis in der Umsetzung von Massnahmen erscheint mir in verschiedenen Bereichen unabdingbar.

V. Schluss

Der Wettbewerb der Staaten, der Regionen, der Städte und Agglomerationen ist durch die Europäisierung und die Globalisierung verschärft worden. Dies stellt den Föderalismus, das Subsidiaritätsprinzip und die Gemeindeautonomie bisweilen auf eine harte Probe. Es besteht die Tendenz, sofort nach einer flächendeckenden Lösung zu verlangen. An einer Bündelung der Kräfte, mit dem Ziel, der Wirtschaft gute Rahmenbedingungen zu verschaffen, führt sicherlich kein Weg vorbei. Die rein vertikalen Instrumente der föderalistischen Zusammenarbeit genügen nicht mehr.

Dieses Problem ist aber erkannt. Bereits vor 7 Jahren haben beispielsweise der Bund, die Kantone und die Gemeinden die Tripartite Agglomerationskonferenz gegründet. Als gemeinsame Plattform von Bund, Kantonen und Gemeinden können Lösungen für die Herausforderungen der städtischen Gebiete, die alle Staatsebenen betreffen und meist die Kantonsgrenzen überschreiten, gesucht werden. Die Kantone haben sich mit der Konferenz der Kantonsregierung organisiert. Auch im Bereich der Justiz und des Finanzausgleichs wurde der Föderalismus erneuert. Die Partner sollen gemeinsam Projekte anpacken. Das ist auch die Art und Weise, wie mit der EU zusammengearbeitet wird. Das beste Beispiel ist Schengen / Dublin. Die Kantone werden bereits bei den Verhandlungen einbezogen, und sie sind in den gemischten Ausschüssen dabei.

Es wurden also verschiedene neue Institutionen und neue Instrumente eingeführt. Diese haben neben ihren Vorteilen natürlich auch Nachteile. So ist die Koordination eine Schwäche föderalistischer Systeme. Ich nenne nur die zu Recht immer wieder bemängelte Exekutivlastigkeit von Koordinationsorganen. Vor allem aber zeigen diese neuen Instrumente und Institutionen: Der Föderalismus reagiert nach wie vor auf die bestehenden Herausforderungen, er ist lebendig. Ein lebendiger Föderalismus aber bewirkt Innovation und Wettbewerb, die Grundvoraussetzungen für den langfristigen Erfolg.

Ein lebendiger Föderalismus ist, meine Damen und Herren, ein Standortvorteil für die Menschen und für die Unternehmen. Ich danke Ihnen.

1) Heiko Kubaile, Die Schweiz zählt in Europa weiterhin zu den ersten Adressen, Praxis Internationale Steuerberatung 4/2006, S. 96
2) Edith Lier, So isst die Schweiz, Beobachter 15/06

Lebendiger Föderalismus – Standortvorteil für Menschen und Unternehmen