Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Frau Regierungsratspräsidentin
Sehr geehrte Damen und Herren Regierungsräte
Sehr geehrte Damen und Herren

Ich bin der Einladung Ihres Präsidenten, heute zu Ihnen zu sprechen, gerne gefolgt. Denn erstens ist es eine besondere Ehre vor der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft aufzutreten und zweitens komme ich einfach sehr gerne und auch oft nach Zürich. Ich habe gelesen, dass ein neu gewählter Bundesrat zuerst vor Ihrer Gesellschaft auftreten sollte. Ich muss Ihnen allerdings gestehen, dass dies bereits mein dritter Auftritt in Zürich ist. Besonders die Albisgüetli-Tagung wird Ihnen nicht entgangen sein. Tatsache ist: ich fühle mich wohl in Zürich. Dies nicht nur, weil ich gute Jugenderinnerungen und familiäre Bindungen zu dieser Region habe, sondern auch weil ich deren Dynamik und Weltoffenheit sehr schätze.

Und ich stehe nicht alleine mit meiner Wertschätzung für Zürich. Zwar rangiert Ihr Kanton und Ihre Stadt in der Beliebtheitsskala der Schweizerinnen und Schweizer meistens nicht zuvorderst - da sind meistens die Ferienkantone vorne dabei - dafür nimmt Zürich in internationalen Vergleichen jeweils einen Spitzenplatz ein. Zürich ist gemäss einer Studie aus dem Jahr 2008 die attraktivste Wirtschaftsregion Europas. Dies dank Innovationsfähigkeit, liberalen Regulierungen, der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte (auch aus Deutschland!), exzellenter Infrastruktur und steuerlichen Rahmenbedingungen. [Kurz: fast so gut wie in Neuchâtel!] Regelmässig erreichen die Universität und die ETH Zürich Spitzenplätze in globalen Ranglisten. Und last but not least gilt Zürich – zusammen mit Wien und dies freut mich und meine halb österreichische Familie ganz besonders– als Region mit der weltweit höchsten Lebensqualität; ein wichtiger Standortfaktor im Wettkampf um hochqualifizierte Arbeitskräfte. Zürich ist also ein Weltleader; nun müssen Sie noch die Herzen der Schweizer erobern.

Die Schweiz profitiert von diesen Spitzenplätzen und braucht solche Lokomotiven, wie es die Region Zürich ist, um im internationalen Standortwettbewerb zu bestehen. Zürich kann und soll darum Leadership übernehmen und als Beispiel für andere dienen. Umgekehrt setzen sich Bundesrat und Parlament für gute Rahmenbedingungen ein, die es Zürich und anderen Kantonen erlauben, auch in Zukunft Podestplätze zu erreichen. Mindestens so oft wie in Vancouver…

Meine Damen und Herren
Die Schweiz befindet sich derzeit in unruhigem Fahrwasser. Sie steht sowohl politisch als auch wirtschaftlich unter Druck, und das nicht erst seit den jüngsten Debatten um das Bankgeheimnis. Das ist nicht weiter verwunderlich, weil die Welt, in der wir leben, in den letzten Jahren zunehmend unruhiger, unüberschaubarer und komplexer geworden ist. Das Ende des Kalten Krieges und der bipolaren Weltordnung, der wirtschaftliche Aufstieg von Ländern wie Brasilien, China, Indien oder Russland, die Erweiterung der EU oder die Finanz- und Wirtschaftskrise haben Auswirkungen auf unser Land. Das umso mehr, weil die Schweiz wie kaum ein anderer Staat international vernetzt ist und intensive wirtschaftliche, politische, kulturelle und gesellschaftliche Kontakte zu ihrem Umfeld pflegt.

Wenn man sich die Artikel und Kommentare der letzten Wochen zu Gemüte führt, hat man den Eindruck, die Schweiz stehe fast am Abgrund oder kurz vor der Auflösung. Da ist vom „Ende des Erfolgsmodells Schweiz“ und von der „schwersten Krise aller Zeiten“ die Rede.

Bestnoten in Sachen Wettbewerbsfähigkeit

Steht es wirklich so schlimm um unser Land? Die Situation ist in der Tat nicht einfach, der Seegang rauer und der Gegenwind stärker geworden. Entsprechend schwankt auch das Schiff stärker und erleidet auch Schäden. Aber wir haben sicher nicht Schiffbruch erlitten und wir müssen uns auch nicht in die Rettungsboote flüchten.

Die Schweiz ist stärker als wir glauben und besser in Form als viele unserer Konkurrenten. Unser Land hat die Finanz- und Wirtschaftskrise bisher besser gemeistert als die meisten Industriestaaten. Das ist insbesondere dem Umstand zu verdanken, dass wichtige Teile der Exportindustrie weniger konjunkturanfällig sind als erwartet, weil wir in der Schweiz sehr gute, innovative, international tätige Unternehmen haben. Zudem haben Bund, Kantone und die Nationalbank rasch und mit Augenmass auf die Krise reagiert. Schliesslich stimmen auch die jüngsten Konjunkturdaten und Prognosen der Arbeitslosenzahlen vorsichtig optimistisch. Demnach erreicht die Schweiz die Trendwende früher als erwartet.

Ausgerechnet die OECD bestätigt diesen Befund, kommt sie doch in einem im Januar (2010) veröffentlichten Bericht zum Schluss, dass die Schweiz gut in Form ist und die Chance hat, gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Eine grosse Herausforderung ist es nun, die geld- und fiskalpolitischen Weichen für die Zeit nach der Krise richtig zu stellen.

Meine Damen und Herren
Die Schweiz ist, ich wiederhole es gerne weil es zu wenig laut gesagt wird, wirtschaftlich besser in Form als manche denken und wettbewerbsfähiger als viele Konkurrenten. Gemäss dem „Global-Competitivness Report 2009-2010“ des World Economic Forums ist die Schweiz gar das wettbewerbsstärkste Land der Welt; wir sind sozusagen Olympiasieger in Sachen Wettbewerbsfähigkeit. Worauf beruht dieser Befund? Gemäss WEF-Studie basiert die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes auf 12 Säulen. Dazu gehören die Institutionen, die Infrastruktur, die makroökonomische Stabilität, die Arbeitsmarkteffizienz, die Innovation sowie Bildung und Gesundheit.

Drei dieser Säulen, Innovation, Bildung und Gesundheit, betreffen ganz klar das Departement des Innern, das in Zusammenarbeit mit seinen Partnern (Parlament, Kantone, Universitäten, Sozialpartnern) zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes beiträgt.

Die Fähigkeit zur Innovation, da sind wir uns sicher alle einig, ist der Schlüsselfaktor für unseren Wohlstand. Die Träger der Innovation sind in erster Linie die Menschen die in kleinen und grossen Unternehmen arbeiten. Zwei Drittel der Investitionen in Forschung und Entwicklungen in der Schweiz werden von der Privatwirtschaft getätigt. Dieses private Engagement ist einer der grössten Trümpfe des Innovationsstandorts Schweiz. Die Hochschulen und die Forschungszentren schaffen nicht direkt Innovationen, ihnen kommt aber die Rolle des Wissensgenerators und des Katalysators zu.

Der Staat hat die Aufgabe, für gute Rahmenbedingungen zu sorgen. Hierzu gehört ein effizientes Immaterialgüterrecht, das geistiges Eigentum schützt und Innovationen belohnt. Überdies sollte die Politik Freiraum schaffen für Innovation. Die Freiheit ist der „Sauerstoff“ und die „Energie“ der Forschung. Das bedeutet, dass der Staat so viel reglementiert wie nötig, aber nicht so viel wie möglich. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Abstimmung vom kommenden Wochenende über die Forschung am Menschen. Dieser bezweckt eine einheitliche und klare Regelung für die Forschung am Menschen. Dabei wird einerseits die Wichtigkeit der Forschung für die Gesundheit der Bevölkerung anerkannt. Andererseits setzt der Verfassungsartikel der Forschung aber auch Grenzen und stellt den Schutz der Würde des Menschen sicher.

Die Schweiz ist eines der weltweit innovativsten Länder, und in Europa sind wir das innovativste Land überhaupt, wie aus dem angesehenen europäischen Innovationsanzeiger hervorgeht. Die Herausforderung besteht also nicht darin, an die Spitze zu kommen, sondern darin, auch noch in zwanzig oder fünfzig Jahren in der Spitzengruppe vertreten zu sein.

Ein neues Element der Strategie, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Idee nationaler Innovationsparks. Hierfür legt der Entwurf für Bundesgesetz über die Förderung von Forschung und Innovation die rechtlichen Grundlagen. Mit Freude habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Zürcher Regierung diese Bestimmung in der soeben gegangenen Vernehmlassung unterstützt.

Ein bereits bestehender Baustein unserer Innovationsstrategie sind Partnerschaften zwischen Universitäten und der Privatwirtschaft. Ein äusserst erfolgreiches Beispiel, wie diese Zusammenarbeit umgesetzt werden kann, sind die 2001 ins Leben gerufenen „Nationalen Forschungsschwerpunkte“, welche die nachhaltige Stärkung des Forschungsplatzes Schweiz in strategisch wichtigen Gebieten bezwecken. An den 20 Forschungsprogrammen beteiligen sich rund 600 Professorinnen und Professoren. Es wurden 580 Kooperationen mit Firmen eingegangen, die sich finanziell an den Projekten beteiligen. Es resultierten bisher 286 Patente und 304 Prototypen. Und aus dem Programm sind nicht weniger als 46 Start-up-Firmen entstanden.

Meine Damen und Herren,
Das sind nackte Zahlen. Aber hinter diesen stehen Menschen mit ihren Ideen und Visionen die zur Innovation werden. Das macht die Schweiz aus. Ich bin überzeugt, dass solche Projekte der Schlüssel sind, um die Schweiz als führendes Innovationsland zu positionieren.

Auch im Bereich der Bildung und Forschung schneidet die Schweiz im internationalen Vergleich gut ab. Unsere „Diamanten“, die ETH Zürich und Lausanne – beide liegen mir gleichermassen am Herzen - sowie unsere Universitäten sind international gut positioniert und haben einen hervorragenden Ruf. Es stehen wichtige Gesetzesvorhaben an, die darauf zielen, den Spitzenrang der Schweiz zu behaupten und so einen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu leisten.

An dieser Stelle möchte ich diesbezüglich zwei Projekte erwähnen. Erstens das neue Hochschulförderungsgesetz, das sich in parlamentarischer Behandlung befindet. Oberstes Ziel muss sein, eine vernünftige Mischung zwischen schöpferischer Freiheit und der notwendigen Koordination zwischen den betroffenen Institutionen herzustellen. Die „schöpferische Autonomie“ darf nicht durch Planung erstickt werden. Zweitens gilt es, die internationale Zusammenarbeit im Bereich Bildung und Forschung zu stärken. Diesem Zweck dient beispielsweise das Abkommen mit der EU über die Beteiligung der Schweiz an deren Bildungs-, Berufsbildungs- und Jugendprogrammen, das ich im Namen der Schweiz am 15. Februar in Brüssel unterzeichnet habe. Bereits am ersten Arbeitstag der neuen EU-Kommission wurde ein Abkommen mit dem „Sonderfall“ Schweiz unterzeichnet.

Volkswirtschaftliche Bedeutung der Gesundheitspolitik

Schliesslich möchte ich noch auf die Gesundheitspolitik zu sprechen kommen, die von der WEF-Studie als Wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes angesehen wird. Wenn in der Schweiz über Gesundheitspolitik gesprochen wird, dann steht meistens die Frage der steigenden Kosten im Zentrum. Diese Diskussion ist sicherlich berechtigt und wichtig. Aber sie verstellt den Blick für einen mindestens so wichtigen Aspekt der Gesundheitspolitik, jenen der Qualität.

Die Qualität des schweizerischen Gesundheitssystems gilt gemeinhin als gut. Ich bin aber fest überzeugt, dass die Qualität weiter verbessert und die Effizienz weiter gesteigert werden müssen. Das nicht um der Effizienzsteigerung Willen, sondern, um mehr Menschenleben zu retten und die Menschen noch besser zu pflegen. Diesem Zweck dienen die Reformen im Bereich der Krankenversicherung, die absolut prioritär sind. Besonders erwähnen möchte ich hier die Managed-Care-Vorlage. Die integrierte Versorgung ist rasch und auf breiter Basis einzuführen. Dank der Bildung von Netzwerken, der Mitverantwortung aller beteiligten Akteure und der systematischen Kontrolle des Pflegepfads und des Therapieerfolgs kann die Qualität mit geringerem Aufwand erhöht werden.

Sie fragen sich vielleicht, was der Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit und mit der Wirtschaft ist. Nun, dieser Zusammenhang ist sehr einfach: Nur gesunde Menschen sind auch produktiv. Wenn sie krank sind, fehlen sie am Arbeitsplatz und die Produktivität im Unternehmen sinkt, was die Gesellschaft schwächt. Somit hat jedes Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes ein vitales Interesse daran, dass die Mitarbeitenden gesund und somit produktiv sind.

Dieser Zusammenhang lässt sich also nicht nur auf der Stufe des Unternehmens, sondern auch auf Stufe Volkswirtschaft herstellen. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen immer älter werden, sehen wir uns mit dem Problem steigender Gesundheitskosten im Alter konfrontiert. Wir haben damit ein grosses volkswirtschaftliches Interesse, dass die Leute gesund altern. Mit anderen Worten: Als Gesellschaft müssen wir heute mehr in die Gesundheit investieren, damit wir uns morgen das Kranksein überhaupt noch leisten können. Das erreichen wir auch indem wir der Prävention einen höheren Stellenwert einräumen.

Das Präventionsgesetz, das kurz vor der parlamentarischen Beratung steht, hat dementsprechend nicht nur eine gesundheitspolitische, sondern eine eminent volkswirtschaftliche Bedeutung. Mit diesem Gesetz wird niemand entmündigt und es werden auch keine neuen Verbote begründet. Die Prävention ist vielmehr ein Teil der Qualitätsstrategie in der Gesundheitspolitik, die darauf abzielt, die Gesundheit der Menschen zu stärken.

Stabile Sozialwerke sind ein Wettbewerbsvorteil

Sehr geehrte Damen und Herren
Ich habe nun über Innovation, Bildung und Gesundheit gesprochen; drei wichtige Säulen der Wettbewerbsfähigkeit gemäss der erwähnten der WEF-Studie. Das WEF hat jedoch meines Erachtens eine wichtige Säule für den Erfolg einer Volkswirtschaft vergessen: die soziale Sicherheit. Ich möchte den Autoren der Studie vorschlagen, beim nächsten Vergleich die soziale Sicherheit als 13. Säule der Wettbewerbsfähigkeit zu berücksichtigen. Denn ich bin überzeugt, dass Länder mit stabilen Sozialwerken in Zukunft einen ganz klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber Ländern haben werden, welche ihre Hausaufgaben in diesem Bereich vernachlässigen. Dies kann sogar matchentscheidend sein.

Wir haben in der Schweiz eine wirkungsvolle, kluge und stabile Altersvorsorge, um die uns viele Länder beneiden. Sie ist wirkungsvoll, weil sie Armut im Alter fast vollständig zum verschwinden gebracht hat. Sie ist klug, weil sie Solidarität mit Eigenverantwortung kombiniert. Schliesslich ist sie stabil, weil sie eben auf drei Säulen ruht.

Die Herausforderung besteht darin, dieses im 20. Jahrhundert entwickelte System den gesellschaftlichen Realitäten anzupassen und für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Erstens gilt es, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass unsere Gesellschaft einen Übergang von drei auf vier Generationen erlebt und fast zwei dieser Generationen in Rente sind. Zweitens ist es heute nicht mehr so, dass generell die älteren Menschen von Armut betroffen sind. Heute haben jüngere Erwerbstätige ein höheres Armutsrisiko als Personen, die kurz vor der Pensionierung stehen. Das hat drittens Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen den Generationen und die Frage der Generationengerechtigkeit, die sich heute anders stellt als noch vor 50 Jahren. Wir müssen der Solidarität zwischen den Generationen jedenfalls besondere Beachtung schenken und diese nicht überstrapazieren. Das auch deshalb, weil familiäre Bindungen weniger ausgeprägt oder komplexer sind als früher. Neben klassischen Familienformen gibt es zunehmend neue Formen des Zusammenlebens, wie beispielsweise die Patchwork-Familie.

Derzeit führen wir die Debatte über den Mindestumwandlungssatz in der zweiten Säule. Diese Debatte wird am Sonntag nicht zu Ende sein; auch nicht, wenn das Stimmvolk diese von Parlament und Bundesrat vertretene Vorlage ablehnt. Denn Tatsachen lassen sich auch in einer direkten Demokratie nicht per Abstimmung aus der Welt schaffen. Und Tatsache ist, dass wir länger leben und länger Rente beziehen. Und auch am 8. März gilt das ökonomische Prinzip, dass man langfristig nicht mehr Geld für Renten ausgeben kann, als man einnimmt.

Die Wirtschaft spielt in der Sozialpolitik seit jeher eine wichtige Rolle. Die gute Sozialpartnerschaft, wie sie beispielsweise in der gemeinsamen Finanzierung der zweiten Säule zum Ausdruck kommt, ist eine Stärke der Schweiz. Zudem – und das wird für die Zukunft entscheidend sein – bilden eine intakte Sozialpartnerschaft und eine Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Politik die Basis für notwendige Reformen. Als aktuelles Beispiel möchte ich den ersten Teil der 6. IV-Revision erwähnen. Diese bezweckt vor allem die bessere Eingliederung von Menschen mit einer Behinderung in das Erwerbsleben und in die Gesellschaft, statt ihnen eine Rente auszurichten. Es ist offensichtlich, dass diese Eingliederung nur gelingen kann, wenn die Unternehmen mitmachen.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft unter Ihnen wissen es bestens: wer stehen bleibt, wird von der Konkurrenz ein- und überholt und verliert. Meines Erachtens gilt das auch für die Politik im Allgemeinen und die Sozialpolitik im Besonderen. Das Verharren im Status Quo ist keine Option. Dies aus einem ganz einfachen Grund: Wenn wir heute nicht verantwortungsvoll handeln und die Weichen richtig stellen, haben zukünftige Generationen keinerlei Handlungsfreiheit, weil sie in den Schulden versinken werden. Der Satz „Freiheit und Verantwortung“ gilt auch zwischen den Generationen. Ohne Verantwortung heute, gibt es morgen keine Freiheit.

Das wäre nicht nur gesellschaftspolitisch unverantwortlich, sondern auch wirtschaftspolitisch kurzsichtig. Denn ich bin überzeugt: jene Länder, die ihre sozialpolitischen Hausaufgaben machen und in die gesellschaftliche Kohäsion investieren, werden in den zukünftigen Vergleichen der Wettbewerbsfähigkeit die vorderen Ränge belegen. Darum: machen wir unsere Hausaufgaben! Deshalb gibt es ein „Department of Home Affairs“!

Vertrauen wiederherstellen

Sehr geehrte Damen und Herren
Ich habe Eingangs von der rauen See gesprochen, der unser Land derzeit ausgesetzt ist. Wie jeder Seemann weiss, muss man im Sturm kühlen Kopf bewahren und Kurs halten, um Boot und Besatzung sicher ans Ziel zu bringen. Um das zu erreichen, muss vielleicht die Reiseroute angepasst oder ein Zwischenstopp in einem temporär schützenden Hafen eingelegt werden. Zudem sollten wir eines nicht vergessen: man kann auch gegen den Wind segeln, sogar sehr schnell! Was man dagegen im Sturm nicht tun sollte, ist hektisch am Steuer zu reissen oder widersprüchliche Kommandos zu erteilen. Wer das tut, riskiert zu kentern.

Die Hauptgefahr für die Schweiz sind nicht das schlechte Wetter und die raue See. Die Schweiz ist bisher, wie geschildert, auf Kurs geblieben und hat die Finanz- und Wirtschaftskrise gut gemeistert. Die Gefahr, die ich sehe und die mir jeden Tag Sorge bereitet, lauert an Bord. Es herrscht ein Mangel an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und es gibt ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber der Politik und der Wirtschaft.

Ich habe die Bedeutung des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit in meinen Reden bereits mehrmals unterstrichen und ich möchte es auch heute tun, an dieser Veranstaltung der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft. Denn Vertrauen spielt in der ökonomischen Theorie und noch mehr in der Praxis eine zentrale Rolle. Vertrauen ist die Grundbedingung jeder wirtschaftlicher Transaktion. Der Verkäufer verkauft dem Käufer seine Ware nur, wenn er darauf vertrauen kann, dass dieser ihm den Kaufpreis bezahlt. Und umgekehrt kauft der Käufer nur, wenn er sicher ist, dass er seine Ware erhält.

Vertrauen entsteht nicht aus dem Nichts, sondern muss erarbeitet und verdient werden. Das ist in der Politik nicht anders als in der Wirtschaft. Das Vertrauen in die Politik und in deren Fähigkeit, Probleme zu lösen hat in den letzten Jahren gelitten. Der Grund hierfür ist, dass Politiker zu oft das Trennende betonen, statt Gemeinsamkeiten zu suchen. Befeuert wird dies dadurch, dass unsere moderne Mediengesellschaft jedem noch so unbedeutenden Streit breiten Raum einräumt, der dann denjenigen fehlt, die Lösungen präsentieren.

Die Folge dieser Entwicklung sind politische Blockaden. Beispiele aus dem Bereich des Departements des Innern sind die AHV-Revision oder die Gesundheitspolitik, wo sich Akteure in den letzten Jahren gegenseitig blockierten und den schwarzen Peter zuschoben.

Es gibt aber glücklicherweise Anzeichen, dass Bewegung in die blockierten Dossiers kommt. Insbesondere die Entscheide der Gesundheitskommission des Nationalrats in Sachen Managed-Care sind ermutigend und zeigen, dass konstruktive Lösungen möglich sind. Voraussetzung hierfür ist, dass alle Beteiligten über den eigenen Schatten springen und kompromissbereit sind.

Kompromissbereitschaft ist dabei nicht eine Schwäche, wie das in der polarisierten und mediatisierten Politiklandschaft oft dargestellt wird, sondern eine Stärke. Denn wie es John F. Kennedy treffend formuliert hat, geht es bei der Kompromisssuche darum, Kompromisse in Bezug auf Projekte, nicht aber in Bezug auf Prinzipien und Überzeugungen zu machen. Die Politik muss sich das Vertrauen der Menschen erarbeiten, indem sie beweist, dass sie willens ist, im Sinne des Gemeinwohls zusammen, statt gegeneinander zu arbeiten. Tönt eigentlich einfach…

Eine Stimme der Wirtschaft

Meine Damen und Herren
Auch die Wirtschaft steht in der Pflicht, verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Dieses hat wegen der Diskussion um Managerlöhne, aber auch wegen öffentlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten zwischen Realwirtschat und Finanzplatz sowie zwischen KMU und Grossunternehmen gelitten. Die Folge ist ein Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

Es ist vordringlich, dieses Vertrauen wieder zu gewinnen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Wirtschaft mit einer Stimme spricht und das gemeinsame Interesse an einem starken Wirtschaftsstandort vor gewisse Brancheninteressen stellt. Die Stimmbürger haben immer vernünftige Entscheidungen getroffen und den Wirtschaftsstandort unterstützt, wenn die Vertreter der Wirtschaft mit einer Stimme gesprochen haben und die gegenseitige Stabilität zwischen Politik und Wirtschaft gegeben war.

Es ist unverzichtbar, dass die Wirtschaft diese Einigkeit wieder findet und die Selbstregulierungskräfte aktiviert, um bestehende Missstände zu beheben. Wenn das nicht gelingt, droht eine gesetzgeberische Überregulierung, die weder im Interesse des Landes noch im Interesse der Wirtschaft ist. Ich denke hierbei nicht nur an die Aktienrechtsrevision, sondern auch an Bestrebungen zur Errichtung einer staatlichen Einheitskrankenkasse oder drohende Blockaden bei der notwendigen Reform unserer Sozialversicherungen.

Politische Entscheide sind oft unangenehm, weil man zwischen mehreren Nachteilen auswählen muss. So wäre es beispielsweise angenehmer, den Umwandlungssatz in der zweiten Säule unverändert bei 6,8 Prozent zu belassen. Angesichts der steigenden Lebenserwartung und der sinkenden Renditen wäre es aber unverantwortlich gewesen, die Anpassung des Umwandlungssatzes nicht vorzuschlagen. Und Nichtstun wird zunehmend unverantwortlich und gefährlich.

Das Stimmvolk wird, wie ich bereits erwähnt habe, am nächsten Wochenende über diese und weitere Sachfragen abstimmen können. Vielleicht folgen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger den Empfehlungen von Regierung und Parlament, vielleicht auch nicht. In jedem Fall ist es aber eine Stärke der Schweiz, dass die Bevölkerung über wichtige politische Fragen entscheidet. Voraussetzung für das Funktionieren des Systems der direkten Demokratie ist aber, wie ich geschildert habe, dass das gegenseitige Vertrauen zwischen Bürgern, politischen Institutionen und der Wirtschaft vorhanden ist. Das ist eine Voraussetzung für das gute Funktionieren eines Staatswesens.

Sehr geehrte Damen und Herren
Die Stärke des Erfolgsmodells Schweiz ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, die Bereitschaft zum Kompromiss und das gegenseitige Vertrauen. Diese swiss unique selling proposition dürfen wir nicht aufgeben, sondern müssen sie um jeden Preis erhalten und stärken, damit die Schweiz - und Zürich - auch in 20 Jahren vorne in den Rankings der attraktivsten und wettbewerbsfähigsten Orte der Welt erscheinen.

Die Chancen hierfür stehen gut. Die Schweiz hat sich bisher in einem schwierigen Umfeld erfolgreich behauptet. Sie ist wirtschaftlich solid aufgestellt und international wettbewerbsfähig. Wir sollten deshalb aufhören, über das schlechte Wetter zu klagen und uns darauf konzentrieren, das Schiff auf Kurs zu halten. Hierfür muss sich die Mannschaft an Bord zusammenraufen und zusammenarbeiten. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in unseren Händen oder um mit einem Zitat des englischen Schriftstellers William Ernest Henley zu schliessen, der durch den Film Invictus von Clint Eastwood grössere Bekanntheit erlangt hat: „Wir sind Herr unseres Schicksals und Kapitän unserer Seele“.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

An der Weltspitze bleiben: Schlüsselfaktoren für eine wettbewerbsfähige Schweiz