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Sehr geehrte Damen und Herren

Ich freue mich, hier am Nordostschweizerischen Jodlerfest zu sein. Und ich freue mich auch, dass ich heute Jodlerinnen und Jodler aus der ganzen Nordostschweiz begrüssen darf.

Darf ich Ihnen zuerst etwas ganz persönliches sagen: Ich habe mir überlegt, ob ich heute zu Ihnen in der Innerrhoder Tracht kommen soll, um Ihnen zu zeigen, dass ich Sie nicht nur achte und schätze, sondern auch um Ihnen zu zeigen, dass ich mich unter Ihnen und mit Ihnen sehr wohl fühle und mit dem Herzen bei Ihnen bin. Ich habe allerdings darauf verzichtet: Nicht etwa, weil mir die Tracht nicht gefällt. Sondern, weil ich weiss, dass für Sie eine Tracht etwas ganz besonderes ist - etwas sehr wertvolles. Für Sie ist eine Tracht mehr als nur ein Kleidungsstück. Wenn ich die Tracht angezogen hätte, dann wäre das eine Art "Show" gewesen - und ich wollte heute nicht hierher kommen, um eine Show zu liefern. Deswegen habe ich mich entschieden, in ganz normalen, "zivilen" Kleidern zu Ihnen zu sprechen.

Als ich heute morgen früh bei mir zu Hause im Garten sass und mir die letzten Gedanken machte, was ich heute zu Ihnen sagen werde: da musste ich zuerst tief durchatmen. Als ich in die Berge, in unserem Alpstein schaute, da spürte ich richtig, dass ein solches Jodlerfest in unsere Heimat gehört. Und gleichzeitig habe ich festgestellt, dass es den immer wieder konstruierten Gegensatz zwischen Tradition und Moderne gar nicht gibt. Das sieht man auch daran,

dass das Jodlerfest eine Homepage auf dem Internet hat,
dass es Sponsoren gewonnen hat,

und

dass diese von Banken, Versicherungen, Techno-Fenster bis zu Medienunternehmen reichen,

aber auch

dass ausgerechnet der Appenzeller Käse fehlt!

Jodeln gehört aber nicht nur zu unserer Region, sondern zur ganzen Schweiz.

Typisch ist der Gesang, typisch sind aber auch die Trachten, die Fahnen und die Trycheln. Sie alle sind Symbole für die Schweiz. Zum Beispiel auch für die sportliche Schweiz: an den Trychlen erkennt man in allen Stadien der Welt die Schweizer Fans.

Typisch schweizerisch ist auch die Tatsache, dass da nicht einfach jeder für sich irgendwo jodelt, fahnenschwingt oder treichelt - sondern dass das alles in der Gemeinschaft passiert, an grossen regionalen Jodlerfesten, die seit ein paar Wochen riesig viele Leute mobilisieren.

Typisch schweizerisch ist eben auch diese Gemeinschaft und - das möchte ich doch auch einmal erwähnen - die weltmeisterliche Gabe, Feste zu organisieren und sie zu einem gemeinsamen Erlebnis werden zu lassen.

Ein solches Fest zeigt auch, dass unsere Gemeinschaft lebt.

Wer genauer hinschaut, sieht aber nicht nur Gemeinschaft, sondern Identität in der Gemeinschaft. Der Thurgauer entdeckt die Thurgauer Tracht und die Thurgauer Fahne, der Glarner die seinige, und die Ausserrhoderin sieht ihre Tracht und ihre Flagge im Wind flattern. Beides ist wichtig: das Gemeinsame zu sehen und zu schätzen - aber auch die Unterschiede und das jeweils Besondere zu erkennen.

Trotz aller dieser Unterschiede steht heute auch eines fest: Sie alle - woher auch immer Sie kommen, ob Glarner oder Thurgauer, St. Galler oder Schaffhauser - Sie kommen hier am Nordostschweizerischen Jodlerfest zusammen.

Mit allen Unterschieden, aber auch mit allen Gemeinsamkeiten. Und genau das ist für den Menschen und die Gesellschaft, und damit auch für Politik und Wirtschaft, wichtig!

Jede und jeder braucht Boden unter den Füssen, damit sie recht stehen und gehen können, damit sie sich selber entwickeln und verwirklichen können Sie brauchen aber genau so Verwurzelung in der Gesellschaft, einer Gemeinschaft, die jedem einzelnen Heimat und Sinn bringt. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist für uns doch ausserordentlich wichtig!

Als Mitglied der Landesregierung wird man manchmal mit Gewissen Clichés versehen. Weil ich nun mal die jüngste Bundesrätin bin, habe ich mich gewissermassen um die Moderne zu kümmern.

Ich mache das selbstverständlich sehr gerne. Immerhin möchte ich aber noch anfügen, dass es zwei amtsjüngere Bundesräte gibt. Ich will tatsächlich eine moderne Politik machen - nicht eine Politik für gestern, sondern für heute und morgen.

Ich will das aber auf einer soliden Grundlage und nicht auf der Basis von irgendwelchen abgehobenen und vergeistigten Visionen machen.

Genau deshalb sind für mich unsere Traditionen, die alten Bräuche unds Sitten auch sehr wichtig.

Gerade weil wir Traditionen pflegen, stehen wir auf dem Boden und haben uns zu einem modernen Land entwickelt.

Und wir sind stark, weil wir unsere Traditionen leben. Stark, um auch anderen Menschen mit Offenheit und Respekt zu begegnen, auch wenn sie eine andere Meinung haben oder aus anderen Kulturkreisen kommen.

Deshalb befasst sich zum Beispiel unsere Ausländerpolitik auch nicht nur mit Ausländern, sondern auch mit den Schweizerinnen und Schweizern. Also auch mit Ihnen!

Denn die Ausländerpolitik muss ja auch vom Schweizer Volk - also auch von Ihnen - getragen werden.

Die politische Auseinandersetzung ist ja gerade auch eine echte Tradition in unserem Land. Die Gefolgschaft der Bürger gewinnt man ja nicht, wenn man ihnen einfach die Verantwortung abnimmt, sondern indem man sie überzeugt.

Was wir kürzlich an politischer Propaganda erlebt haben, ist Gift für eine offene, demokratische und sachliche Auseinandersetzung. Daran ändert die Tatsache nichts, dass die Kreise, die hinter dieser Propaganda stehen, sich ab und zu gern mit einem folkloristischen Mäntelchen schmücken. Das ist aber nicht mein Verständnis von Tradition, die lebt.

Ich möchte deshalb bei der echten Tradition und dem Erfolgsrezept der Schweiz bleiben: Sie macht uns stark, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern, stark, um auch auf internationaler Ebene zu bestehen und dabei auch die typische Schweiz zu bleiben.

Ein Jodlerfest,

das ist Ausdruck der Heimatverbundenheit.
Das ist Ausdruck von Freude, Lebenslust und Gemeinschaft
Ein Jodlerfest ist Ausdruck des Stolzes auf unser Land und seine Traditionen.

Und das alles zusammen ist Ausdruck eines gesunden, zuversichtlichen und selbstbewussten Geistes.

Sie sind ein identitätsstiftendes Element unseres Staates, und wir sind auf Sie angewiesen! Und Sie tragen dazu bei, dass wir selbstbewusst und traditionsverbunden in der Welt - und mit der Welt - leben und uns weiterentwickeln können. Denn wer sich zurückzieht, grenzt sich aus und schränkt sich selber ein!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein grossartiges, stimmungsvolles Nordostschweizerisches Jodlerfest 2001.

Ansprache von Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold am Nordostschweizerischen Jodlerfest vom 30. Juni 2001, Herisau