Bauen am Kunstwerk Schweiz

Basel, 17.01.2012 - Johann Schneider-Ammann, Bundesrat und Vorsteher des EVD | Eröffnung Swissbau

Sehr geehrte Damen und Herren

Schon als ich das Messegelände betrat, habe ich gespürt: I feel at home! Mit der Bauwirtschaft fühle ich mich nach wie vor sehr verbunden.Wenn ich dann 26 Jahre Bundesrat gewesen bin, solange war ich Ammann-Chef, dann wird es dann anders tönen, nämlich so: Ich blieb so lange im Bundesrat bis ich mich mit den politischen Prozeduren, Institutionen, Ränkespielen etc. vertraut fühlte. Für Berner dauert es manchmal etwas länger...

Meine Damen und Herren,
die volkswirtschaftliche Rolle der Bauwirtschaft ist nicht hoch genug einzuschätzen. Nicht nur, vor allem aber auch heute, wo sie wesentlich zur Stützung der Binnen- und damit der gesamten Volkswirtschaft beiträgt. Die kurz- und mittelfristigen Perspektiven der Bauwirtschaft sind besser als die anderer Wirtschaftszweige. Die Exportindustrie, der Tourismus inklusive, und die Finanzwirtschaft leiden und die Aussichten sind höchst unsicher.

Zurück aber zu Ihnen. Nach den Prognosen des SECO dürfte sich die Zuwachsrate bei den Bauinvestitionen von 3 Prozent im letzten Jahr auf knapp 1 Prozent im 2013 reduzieren. Das ist aber immer noch doppelt so viel Wachstum wie für die übrige Wirtschaft. Im Zusammenhang mit der regen Bautätigkeit stellen sich insbesondere zwei Fragen:

Wem nützt sie?
Wieso wird denn überhaupt so viel gebaut?

Die erste Frage ist an sich ziemlich schnell beantwortet. Die Branche bietet gut 310'000 Männern und Frauen spannende, fordernde, harte, aber natürlich auch faszinierende Arbeit. Dies nützt den direkt und indirekt Betroffenen. Sie, meine Damen und Herren, vertreten im Bauhauptgewerbe und im Baunebengewerbe zusammengezählt rund 36'500 Bauunternehmungen, 98 Prozent davon sind KMU. Die Bauwirtschaft ist also das eigentliche Rückgrat der gewerblichen Wirtschaft. Knapp 7 Prozent aller Schweizer Erwerbstätigen sind also im Bausektor beschäftigt, welcher etwa 1/10 des Bruttoinlandprodukts ausmacht. Die effektive volkswirtschaftliche Bedeutung ist aber deutlich grösser. Denn nicht erfasst in diesen Zahlen ist die indirekte Bedeutung für die Volkswirtschaft. Die Bauwirtschaft ist wichtige Abnehmerin von Vorleistungen, beispielsweise von Architektur- oder Ingenieurbüros, von Zulieferern von Baustoffe, von Baumaschinen und Baufahrzeugen.
Ich mache keine Werbung....Auf der andern Seite erbringt die Bauindustrie ihrerseits auch wieder wichtige Vorleistungen, zum Beispiel in die Immobilienbranche. Kurz: Ihre Tätigkeit, meine Damen und Herren, ist nicht irgend ein Rad im Räderwerk, nein, Ihre Tätigkeit hat volkswirtschaftliche Schwungradfunktion!

Es gibt keine schwungvolle Binnenwirtschaft ohne intakte Aussenwirtschaft. Wir müssen uns bewusst sein, jeder zweite Franken wird heute im Ausland verdient. Es kann und darf der Bauwirtschaft nicht egal sein, wie es der Exportwirtschaft geht. Und da schaue ich als Volkswirtschaftsminister schon mit einem sorgenvollen Blick in die Zukunft. Nicht wegen Ihnen, nein, wegen den Rahmenbedingungen der Exportwirtschaft.

Zurück zur Binnen- und Bauwirtschaft und zur zweiten Frage.
„Wieso wird denn so viel gebaut?"

Die Frage kommt sehr simpel daher. Eine einfache Antwort darauf gibt es trotzdem nicht. Da ist einmal das Bevölkerungswachstum. Die Schweiz wächst und wächst. Ein Grossteil davon ist auf die Zuwanderung zurückzuführen. Für mich ist klar, dass wir die Fragen um die Personenfreizügigkeit vertieft diskutieren müssen. Dabei kann es aber nicht einfach um die Frage gehen: Wie viel Zuwanderung verträgt die Schweiz?

Vielmehr müssen wir die Frage stellen, wie viel Zuwanderung braucht die Schweiz, um die täglichen Herausforderungen zu meistern, unsere Errungenschaften, den Wohlstand und die Sicherheit, auch die soziale Sicherheit, also auch die Vorsorgeeinrichtungen weiter zu tragen.

Dass in unserem Land so viel gebaut wird, hat aber noch einen anderen wesentlichen Grund: Die Gesellschaft ist heute eine andere als vor 50 Jahren. Vor allem, es geht uns allen finanziell besser. Mit zunehmendem Wohlstand ist auch das Bedürfnis nach mehr Wohnraum gestiegen. 1980 belegte ein Mensch im Durchschnitt knapp 34 m². Heute dürften es rund 50 m² sein. Das bedeutet, dass sich der gesamte Wohnflächenbedarf in unserem Land in dreissig Jahren rund veranderthalbfacht hat. Aber nicht nur die Wohnfläche ist gestiegen, zugenommen hat auch der Platzbedarf für die Industrie, mehr noch für die Dienstleistung und zugenommen hat vor allem die gesamte Verkehrsfläche. Vergleichen Sie nur das Strassennetz der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts mit heute.

Das alles erklärt, wieso heute pro Sekunde ein Quadratmeter Land verbaut wird. Dass sich heute viele Menschen sagen, so kann das nicht weitergehen, ist verständlich. Es ist Ausdruck eines Bewusstseins, dass der Boden begrenzt ist. Und dieses Bewusstsein ist in den letzten Jahren sichtbar gewachsen. Das hat auch der Bundesrat erkannt und vor einem Jahr neue Richtlinien der Raumplanung vorgestellt.

Der Bundesrat sucht die richtige Mischung zwischen Bauen/Bauland, Infrastrukturflächen und Landwirtschaftsland. Meine Damen und Herren, ich habe die Seite nicht gewechselt, auch wenn ich mich heute als Landwirtschaftsminister dafür einsetze, dass das Kulturland nicht beliebig zerstückelt, zersiedelt und bebaut wird.

Ist die Schweiz also gebaut?

Eine frühere Zürcher Stadträtin scheiterte kurz nach ihrem Amtsantritt anfangs der Achtzigerjahre mit dieser Frage beinahe.„Die Stadt ist gebaut", liess sie verlauten und machte sich damit zum Feindbild der ganzen Bauindustrie und weit darüber hinaus. Die Aussage damals hat, um es präzis zu sagen, gelautet: „Die Stadt ist gebaut. Sie muss nicht neu- sondern umgebaut werden. Umgebaut zu einem lebenswerteren Zürich, mit hohen urbanen Qualitäten." Das tönt doch schon anders, differenzierter, vielleicht sogar visionär.

Umnutzen und Verdichten, sind Stichworte, die das Bauen in Zukunft noch mehr prägen werden müssen. Denn: Wollen wir auch künftigen Generationen eine hohe Lebensqualität ermöglichen, muss verdichtetes Bauen in bestehendem Siedlungsgebiet ein zentrales Thema werden. Nicht mehr in die Breite bauen, sondern in die Höhe oder allenfalls in die Tiefe bauen, heisst die Devise. Das heisst aber, dass bestehende Vorschriften angepasst werden müssen, und das setzt einen intensiven politischen Prozess voraus. Es ist aber auch zu fragen, ob es nicht sinnvoll wäre, dort zu leben, wo man arbeitet. Deshalb erachte ich es als notwendig, dass die Raum, Verkehrs- und Infrastrukturplanung noch verstärkt aufeinander abgestimmt werden.

Das daraus resultierende wirtschaftliche und ökologische Potenzial ist enorm. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen. Der Schlüssel hierfür, meine Damen und Herren, sind Innovationen, Investitionen und neue Prozesse. Sie, meine Damen und Herren, sind gefragt!

Leuchtturmprojekte gibt es schon heute. Vielen von Ihnen ist sicher der Dreispitz in Basel bekannt: Das 500‘000 m2 grosse, sich über zwei Kantone erstreckende Industrie- und Gewerbeareal von Basel wird auf vorbildliche Weise zu einem neuen Stadtquartier entwickelt. Energieeffizienz, erneuerbare Energien, ökologische Baustoffe, gutes Design und intelligente Verkehrslösungen spielen dabei wichtige Rollen.

Im wahrsten Sinne des Wortes wird das geplante Hochhaus von Roche ein Leuchtturmprojekt. Nicht nur, weil in der Nacht die Lichter von weiter Ferne zu sehen sind. Sondern auch, weil wir durch das Projekt erfahren, was hinter „Digitalem Bauen" steht. Dass damit intelligente Lösungen gefördert werden und die Qualität gesteigert wird - notabene zu gleichbleibenden Kosten - ist ein vielversprechender Ansatz.

Der Bund fördert eine innovative Bauzukunft mit verschiedenen Massnahmen: Zum Beispiel mit der KTI, der staatlichen Förderagentur des Bundes für Innovation. Sie unterstützt zahlreiche Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien. Vielversprechende Beispiele liegen auf dem Tisch, so die High-tech-Solarzellen von Flisom, einem ETH-Spin-off.

Nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Praxis helfen Anreize, Projekte voranzutreiben. Wer heute seine Liegenschaft umfassend energieeffizient saniert oder auf erneuerbare Energien setzt, darf mit finanzieller Unterstützung rechnen. Bund und Kantone setzen im Rahmen des Gebäudeprogramms pro Jahr rund 300 Mio. Franken ein, um die Energieeffizienz zu verbessern und erneuerbare Energien zu fördern. Die Wirkungsbilanz des ersten Jahres ist beeindruckend: Dank den umgesetzten Massnahmen werden jetzt pro Jahr 73‘000 Tonnen CO2 weniger ausgestossen. Und das Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft. Rund 1,5 Mio. Gebäude in der Schweiz sind energetisch sanierungsbedürftig; die Sanierungsrate beträgt heute 1%. Angesichts dieser Zahlen geht der Bauwirtschaft auch in Zukunft die Arbeit definitiv nicht aus. Nicht in der Quantität liegt allerdings die Zukunft der Bauwirtschaft, sondern in der Qualität.

Mit dem Entscheid des Bundesrats und des Parlaments, aus der Atomenergie auszusteigen, werden erneuerbare Energien und Ressourceneffizienz einen noch ganz anderen Stellenwert bekommen. Dieser auf die Zukunft ausgerichteten Branche will der Bund mit dem Masterplan Cleantech Flügel verleihen. Dieser Schub, der durch unser Land gehen muss, ist auch eine riesige Chance, den Denk- und Werkplatz Schweiz zu stärken. Ich denke hier an neue Arbeitsplätze, aber auch an das Gewerbe, das mit Mehraufträgen für die Installation der neuen Technologien rechnen darf.

Doch die besten Materialien und technischen Lösungen nützen nichts, wenn sie niemand planen, bauen und installieren kann. Branchenübergreifendes Wissen wird immer wichtiger. Sollen beispielsweise Sonnenkollektoren auf einem Dach installiert werden, müssen Dachdecker, Elektriker, Anlagenbauer, Haustechniker und andere mehr am selben Strick ziehen: Um optimalen Nutzen zu erreichen, müssen sowohl die Schnittstelle zwischen den Menschen als auch die Schnittstelle zwischen den Komponenten stimmen.Das erreicht nur, wer über den eigenen Tellerrand schaut!

Gezielte Weiterbildung wird für alle Berufstätigen in der Baubranche mehr denn je zu einem Muss! Die Baubranche wird dadurch sowohl für gestandene Berufsleute als auch für Quereinsteiger aus verwandten Berufen und ganz besonders für junge Leute noch spannender. Selbstverständlich spielt der Bund auch eine aktive Rolle bei der Aus- und Weiterbildung. Er unterstützt beispielsweise Verbände und Fachschulen, wenn sie neue Weiterbildungsangebote im Energiebereich ins Leben rufen. (mehr dazu in der Lounge des Bundesamtes für Energie, hier im Swissbau Fokus.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich „Bauen Schweiz" auf den Punkt bringen:

  • Kurzfristig zähle ich auf die Bauwirtschaft als Konjunkturstütze.
  • Mittel- bis langfristig bleibt der Bau in Form unserer Infrastruktur ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.
  • Ein gutes Zusammenspiel von Ökologie und Ökonomie ist zentral für die Zukunft.
  • Und vergessen Sie eines nicht: Geschenkt wurde uns nie etwas,geschenkt wird uns nie etwas. Lösungen sind auch nicht einfach im World Wide Web zu finden.
    Die Devise heisst also nicht www, sondern vvv, verlässlich, vernünftig und vorwärts!

Meine Damen und Herren, Sie haben gesehen, ich habe heute einen Helm erhalten. Die Gewerkschaft will mich damit daran erinnern, dass in der Baubranche derzeit ein vertragsloser Zustand herrscht. Sie wissen, dass ich immer ein vehementer Verfechter der Gesamtarbeitsverträge war. Ich war es als Unternehmer und Swissmem-Verwaltungsratspräsident und ich bin es als Bundesrat. Denn ich bin überzeugt, man kann ein gut geregeltes Verhältnis in der Sozialpartnerschaft nicht genug hoch einschätzen. „Branchenlösungen vor Gesetz", lautet meine Devise.

Liebe Sozialpartner, für mich ist klar: Der vertragslose Zustand ist kein Zustand. Es ist jetzt die Zeit „zu reden" und eine Vertragsverlängerung zu finden, damit in den kommenden Monaten eine sorgfältig ausgehandelte, neue Vereinbarung getroffen werden kann. Das gestärkte Sozialpartnerschaftsverhältnis ist auch Grundlage für unseren gemeinsamen Kampf gegen den Missbrauch im Rahmen der Personenfreizügigkeit. Sie wissen es, ich will „Ordnung im Stall".

Mit diesem Appell, meine sehr geehrten Damen und Herren, wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Messe und alles Gute!

 

Es gilt das gesprochene Wort !


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