«Die Umsetzung der Agenda 2030 muss umgehend an die Hand genommen werden»

Bern, 22.01.2016 - Zürich, 22.01.16: Ansprache von Bundesrat Didier Burkhalter an der Jahreskonferenz der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit 2016 – Es gilt das gesprochene Wort

Herr Generalsekretär,
Sehr geehrte Damen und Herren

Willkommen in Zürich! Willkommen zur Jahreskonferenz der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit! Wir treffen uns in diesem Jahr anstatt im Sommer ausnahmsweise bereits im Winter. Weshalb?

Sie haben das Programm sicherlich studiert: Es geht heute um die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Diese Agenda mit ihren 17 Zielen wurde Ende September am UNO-Gipfeltreffen in New York verabschiedet. Sie ist quasi noch druckfrisch, sie ist aber bereits handlungsrelevant. Die Schweiz will keine Zeit verlieren und nimmt die Umsetzung dieser Agenda umgehend an die Hand. Heute werden wir Sie darüber informieren, weshalb und wie wir dies anpacken wollen.

Die Agenda 2030 ist der neue Leuchtturm und Wegweiser in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie wird von der gesamten internationalen Staatengemeinschaft mitgetragen. Wir alle sitzen hier bewusst und willentlich im selben Boot. Es ist uns deshalb eine besondere Freude und Ehre, heute den UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon bei uns begrüssen zu dürfen. Sie sind  seit Beginn der internationalen Diskussionen über eine Nachfolge der Millenniumsentwicklungsziele ein starker Verfechter der Agenda 2030 und der neuen Ziele für nachhaltige Entwicklung. Er hat die Agenda entscheidend mitgeprägt.

Im Namen der Schweizer Regierung danke ich Ihnen, Herr Generalsekretär, ganz herzlich für Ihre Teilnahme an dieser Konferenz und für Ihren unermüdlichen Einsatz für diese wichtige Agenda. Spätestens seit die Alinghi den America‘s Cup gewonnen hat, wissen wir, dass auch die Schweiz eine Seefahrernation ist. Heute wollen wir gemeinsam Segel setzen für eine zielgerichtete und erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030.

Meine verehrten Damen und Herren

Der Welt ist die Stabilität abhandengekommen. Wir leben in einer Zeit der Krisen und erhöhter Unsicherheit.

• Wir zählten im letzten Jahr rund 40 bewaffnete Konflikte – die höchste Zahl seit 15 Jahren: u.a. Syrien, Ukraine, Jemen, Zentralafrikanische Republik, Mali etc. Das Ausmass an bewaffneter Gewalt hat stark zugenommen.
• Es gibt derzeit mehr als 60 Millionen Vertriebene – so viele, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr!
• Der gewalttätige Extremismus forderte über 30‘000 Menschenleben, die meisten im Nahen Osten und Afrika, einige aber auch in unserer unmittelbaren Umgebung.

Die Folgen der Instabilität in Europas östlicher und südlicher Nachbarschaft werden auch in Europa und bei uns in der Schweiz stärker spürbar. Sie führen uns vor Augen, wie wichtig es ist, dass sich die Schweiz umfassend für Frieden, Sicherheit und Entwicklung engagiert. Gerade in Zeiten der Krisen und Unsicherheit ist es wichtig, dass die Schweiz ihr Umfeld mit einer kreativen und brückenbauenden Aussenpolitik mitgestaltet.

Dabei hat das vergangene Jahr gezeigt, dass sich mit Beharrlichkeit und politischem Willen auch in unserer multipolaren Welt gemeinsame Lösungen auf gemeinsame Herausforderungen entwickeln lassen. Obwohl der UNO-Sicherheitsrat nicht in allen Schlüsseldossiers die notwendige Handlungsfähigkeit entwickeln konnte, war 2015 insgesamt gesehen ein gutes Jahr für den Multilateralismus.

In wichtigen zwischenstaatlichen Verhandlungen konnten Erfolge erzielt werden. Lassen Sie mich als Beispiel die Einigung im mehr als zehn Jahre dauernden Konflikt um das iranische Nuklearprogramm erwähnen. Die Implementierung des Nuklearabkommens vor ein paar Tagen war ein Meilenstein der Diplomatie. Die Schweiz hat den Prozess zur Aushandlung und Umsetzung dieses Abkommens stets unterstützt. Im Rahmen ihrer Guten Dienste hat sie auch die Verhandlungen zwischen Iran und den USA fazilitiert, die zur Freilassung von insgesamt elf Personen führten. Ich konnte in den letzten Tagen in Davos sowohl mit dem amerikanischen als auch mit dem iranischen Aussenminister den Stand der Dinge in diesen Dossiers und die Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten besprechen. Weitere Schritte zur Deeskalation und Konfliktlösung in der Region sind dringend erforderlich, und die Schweiz wird sich in diesem Sinne weiterhin engagieren.

Im letzten Jahr gab es auch eine ungewöhnlich lange Reihe erfolgreicher UNO-Konferenzen: Den Auftakt machte Anfang 2015 der Abschluss eines neuen Rahmenwerks für die Reduktion von Katastrophenrisiken in Sendai (Japan). Es folgte im Juli die Verabschiedung der Addis Abeba Aktionsagenda, welche die Grundlage für die Umsetzung und Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung bildet. Damit wurde auch der Grundstein gesetzt für den erfolgreichen Verhandlungsabschluss zur Agenda 2030 im September in New York. Gekrönt wurde das Jahr mit dem Klimaabkommen in Paris.

Damit konnte der 70. Geburtstag der UNO mit wichtigen Errungenschaften gefeiert werden, welche die kommenden Jahre und Jahrzehnte weltpolitisch prägen werden. Die UNO hat 2015 ein starkes Zeichen gesetzt und gezeigt, dass die Weltorganisation auch nach 70 Jahren unverzichtbar ist für die multilaterale Ausgestaltung der Weltpolitik.

Die Agenda 2030 ist der beste Ausdruck der Werte, für welche die UNO seit ihrer Gründung 1945 einsteht: für Frieden, Menschenrechte und Entwicklung, für Dialog und internationale Zusammenarbeit. Diese Werte hält die Schweiz seit jeher hoch. Die Schweiz ist zwar ein relativ junges UNO-Mitglied, sie beteiligt sich aber seit vielen Jahrzehnten aktiv am multilateralen Geschehen, wie u.a. der UNO-Standort Genf zeigt, wo heute mehr als 50 internationale Organisationen ansässig sind.

Man könnte fast schon sagen, der Multilateralismus sei etwas sehr schweizerisches, denn er funktioniert nach den Regeln, die seit jeher auch die Schweizer Politik prägen: Dialog, Demokratie, Einbindung und Suche nach gemeinsamen Lösungen. Um globalen Herausforderungen wie Armut, Klimawandel, gewalttätigem Extremismus oder Gesundheitskrisen wirksam begegnen zu können, braucht es globale Antworten. In unserer multipolaren Welt ist ein funktionierender Multilateralismus darum heute und in Zukunft wichtiger denn je.

Meine Damen und Herren,

Auf dieser Erkenntnis gründet auch die Agenda 2030. Die Staaten haben sich auf Ziele für nachhaltige Entwicklung geeinigt, weil sie erkennen mussten, dass die Entwicklungsprobleme dieser Welt uns alle betreffen und nur alle Länder gemeinsam dagegen vorgehen können.

Die Bilanz der Millenniumsentwicklungsziele zeigt, dass ein koordiniertes Vorgehen positive Ergebnisse hervorbringt:

• Die extreme Armut [= weniger als USD 1.25/Tag] wurde gegenüber 1990 halbiert.
• Auch die Anzahl Kinder, die keine Schule besuchen, konnte fast halbiert werden.
• Dasselbe gilt für die Müttersterblichkeit, die seit 2000 weltweit um fast 50 Prozent reduziert werden konnte.
• Die Kindersterblichkeit (unter 5 Jahren) sank in dieser Zeit um mehr als die Hälfte.
• Die Anzahl Menschen mit Zugang zu fliessendem Trinkwasser konnte auf 4.2 Milliarden Menschen erhöht und somit fast verdoppelt werden.

Dennoch bleiben die globalen Herausforderungen gross. So leben noch immer rund 800 Millionen Menschen in extremer Armut und Hunger. Berücksichtigen müssen wir auch folgendes:
Heute haben zwar immer mehr Menschen die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen, was uns zuversichtlich stimmt; der wachsende Ressourcenverbrauch, Arbeitslosigkeit, Konflikte und soziale Diskriminierung werden aber gleichzeitig zu einer immer grösseren Bedrohung globaler Stabilität.

Es gibt also nach wie vor viel zu tun für die internationale Zusammenarbeit. Die Agenda 2030 soll diese künftig leiten.

Sowohl die UNO als auch die Agenda 2030 widerspiegeln grundlegende Werte der Schweiz. Unser Land hat sich deshalb im rund dreijährigen Prozess zur Ausarbeitung der neuen Agenda stark engagiert. Dass diese Agenda in einem partizipativen Prozess entstanden ist, an dem auch nicht-staatliche Akteure beteiligt wurden, ist uns dabei sehr entgegengekommen. Wir haben diesen Ansatz von Anfang an auch in der Schweiz angewandt und die Öffentlichkeit in die Diskussion über die Schweizer Positionierung für die internationalen Verhandlungen einbezogen.

Schon an der Rio-Konferenz 2012 (Rio+20) setzte sich die Schweiz dafür ein, die Millenniumsentwicklungsagenda mit der Rio-Agenda zusammenzuführen, um ein umfassendes globales Rahmenwerk für nachhaltige Entwicklung zu schaffen.
Wir haben uns dabei für eine ausgewogene Integration der drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung engagiert – Soziales, Wirtschaft, Umwelt. Es war uns auch wichtig, dass die neuen Ziele für nachhaltige Entwicklung universelle Gültigkeit erlangen, das heisst in allen Ländern zur Anwendung kommen.

Die Schweiz konnte in den Verhandlungen vor allem die Ziele zu Wasser, Geschlechtergleichstellung, Gesundheit sowie Frieden und inklusive Gesellschaften massgeblich prägen. Auch das Ziel zur Nachhaltigkeit in Konsum und Produktion sowie alle Unterziele zu Migration und zur Reduktion von Katastrophenrisiken tragen deutlich die Schweizer Handschrift. Wir konnten in diesen Bereichen auf die Unterstützung vieler anderer Staaten zählen. Auch in diesem internationalen Prozess konnte die Schweiz ihre Rolle als Brückenbauerin erfolgreich wahrnehmen.

Schon früh lancierte die Schweiz eine Diskussion zur Umsetzung und Überprüfung der Agenda 2030. Sie übernahm daher auch in den parallelen Verhandlungen zur Entwicklungsfinanzierung, die zur Addis Abeba Aktionsagenda führten, eine aktive Rolle. Sowohl in jenem Abschlussdokument als auch in demjenigen der Agenda 2030 prägte die Schweiz die Kapitel zum Monitoring und zur Überprüfung der Umsetzungsverpflichtungen.

Sie koordinierte hierfür eine überregionale Gruppe von sieben Ländern, der es gelang, die übrigen Länder von der Etablierung eines griffigen Überprüfungsmechanismus zu überzeugen.

Meine Damen und Herren

Das bisherige Engagement der Schweiz zur Ausarbeitung der Agenda 2030 war zwar erfolgreich. Aber eigentlich geht es jetzt erst richtig los. Wir sind aufgefordert, diese Agenda nun auch umzusetzen. Die Schweiz will auch hier verantwortungsbewusst vorausgehen. Deshalb hat der Bundesrat noch im Dezember entschieden, der UNO bis 2018 bereits erstmals über ihre Umsetzungsanstrengungen Bericht zu erstatten.

Die Umsetzung erfolgt auf zwei Ebenen: national und international. Die nationale Umsetzung wird im Rahmen der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016-2019 vollzogen, über die der Bundesrat demnächst befinden wird.

Das wichtigste Instrument für die internationale Umsetzung ist die Botschaft des Bundesrats über die internationale Zusammenarbeit 2017-2020, welche das Parlament in diesem Jahr beraten wird.

Diese neue Botschaft anerkennt die Agenda 2030 als zentralen Wegweiser für die internationale Zusammenarbeit und definiert den Beitrag der Schweiz zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Ganz im Sinne der Agenda 2030 integriert die Schweiz dabei erstmals alle Instrumente ihrer internationalen Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Strategie. Neben der Entwicklungszusammenarbeit in den Ländern des Südens, der Ostzusammenarbeit, der wirtschaftlichen Entwicklungsunterstützung sowie der humanitären Hilfe umfasst die Strategie neu auch das Engagement für die menschliche Sicherheit.

Damit trägt die Schweiz den Wechselwirkungen zwischen nachhaltiger Entwicklung und Frieden Rechnung, die sich immer stärker artikulieren und auch in der Agenda 2030 reflektiert werden. Wir wollen zudem noch gezielter Synergien zwischen den verschiedenen Instrumenten der internationalen Zusammenarbeit schaffen und nutzen.

Leitziel der neuen Strategie ist eine Welt ohne Armut und in Frieden auf der Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung. Die Botschaft setzt die folgenden fünf strategischen Akzente für unsere Aktivitäten ab 2017: Erstens wird der geographische Fokus der Schweizer Entwicklungsanstrengungen in den kommenden Jahren auf fragilen Kontexten liegen, insbesondere in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten.
Dadurch sowie mit dem Ausbau ihrer humanitären Hilfe in Krisenregionen wird die Schweiz ihren Beitrag zur Sicherheit und Stabilität in der Welt weiter erhöhen. Entwicklungszusammenarbeit wird im aktuellen Umfeld tendenziell gefährlicher, das hat der Anschlag in Burkina Faso verdeutlicht. Dementsprechend grosses Gewicht messen wir auch den Sicherheitsvorkehrungen bei.

Zweitens werden wir die Umweltdimension in unseren Entwicklungsaktivitäten weiter stärken, um den umwelt- und klimabedingten Herausforderungen noch entschiedener entgegenzutreten. Sowohl im Prozess zur Agenda 2030 als auch anlässlich der Klimakonferenz in Paris Ende 2015 ist die Schweiz konsequent dafür eingetreten, soziale und ökonomische Entwicklung nicht länger losgelöst von umweltpolitischen Fragen zu betreiben.

Drittens bleibt die Reduktion von Armut und Ungleichheit selbstverständlich im Zentrum der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Dabei werden wir uns in den kommenden Jahren noch stärker auf die Grund- und die Berufsbildung konzentrieren und nachhaltiges Wirtschaftswachstum fördern. Zudem werden wir der Geschlechtergleichstellung hohe Bedeutung beimessen, denn noch immer ist die Geschlechterdisparität einer der wichtigsten Armutsfaktoren. Mit diesen Ansätzen wollen wir in unseren Partnerländern noch gezielter Innovation stimulieren und Jobs schaffen.

Viertens wollen wir die öffentlich-private Zusammenarbeit weiter ausbauen. Wir haben in den letzten Jahren bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt in diesem Bereich. Zum Beispiel stellen wir tausenden von Bauern in Südostasien im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft Satellitendaten für bessere Ernteprognosen zur Verfügung. Auf dieser Grundlage können sie sich bei einer beteiligten Rückversicherungsgesellschaft mit Mikroversicherungen gegen Ernteausfälle versichern, die viele Bauern immer wieder an den Rand ihrer ökonomischen Existenz bringen.

Fünftens wollen wir schliesslich in unserem multilateralen Engagement weitere Fortschritte machen: Die Schweiz wird weiterhin gegen 40 Prozent ihrer Mittel für die Zusammenarbeit mit den Ländern des Südens für multilaterale Massnahmen einsetzen. Dadurch erreichen wir noch mehr Menschen und fördern die Entwicklung in noch mehr Sektoren als es uns via die bilateralen Programme möglich ist. Den Standort Genf wollen wir weiter stärken und als innovativen Wissens-Hub für nachhaltige Entwicklung nutzen. Nach dem grünen Licht der UNO-Generalversammlung zur Sanierung des Palais des Nations verfügt das Internationale Genf über gute Perspektiven, um sich als Zentrum der globalen Gouvernanz im internationalen Wettbewerb behaupten zu können.

Meine Damen und Herren

Die Agenda 2030 ist ein gemeinsamer Plan für eine bessere Welt. Die Schweiz wird sich für die Vision einer friedlichen Welt ohne Armut und für eine nachhaltige Zukunft einsetzen. Für uns und für die künftigen Generationen. Zuhause und auf der ganzen Welt.

Ich danke Ihnen allen, meine Damen und Herren, dass Sie mithelfen, diese Vision mit der Umsetzung der Agenda 2030 zu verwirklichen.


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