Die digitale Zukunft braucht Freiheit, Sicherheit und Wissen

Hannover, 14.03.2016 - Rede von Bundespräsident Johann N. Schneider-Ammann anlässlich der Eröffnung der CeBIT 2016

Sehr geehrter Herr Bundesminister
Sehr geehrter Herr Kommissar
Sehr verehrte Damen und Herren Minister
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister
Sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete und Staatssekretäre aus Bund, EU und Ländern
Exzellenzen
Sehr geehrter Herr Dr. von Fritsch

Meine Damen und Herren
Liebe Freunde


Es freut mich ausserordentlich Ihnen die Grussbotschaft der Schweizer Regierung vor diesem grossartigen Hintergrund überbringen zu dürfen. Das Matterhorn ist eines der schönsten Symbole der Schweiz. Zugegeben: Persönlich betrachte ich diesen Berg mit gemischten

Gefühlen. Denn es ist einer der wenigen 4000er der Schweiz, den ich als Bergsteiger nicht bezwingen konnte.

Meine Damen und Herren
Wir sind natürlich nicht hier, um meine alpinistischen Leistungen zu diskutieren. Wir sind hier, um einen Blick nach vorne zu werfen. In unsere digitale Zukunft. Und was wir zusammen dafür tun können, damit diese Zukunft ihre Versprechen halten kann. Sei es in der Wirtschaft, in der Gesellschaft oder in der Politik.

Als ich meine Karriere als Ingenieur in der Elektronikindustrie begann, war die Zukunft sehr in Mode. Das war Mitte der Siebziger Jahre. Das Apollo-Programm war in aller Munde. Star Trek war damals schon eine Kultserie. Der Blick in die Zukunft war optimistisch. Man freute sich auf Roboter als Helfer, man träumte vom fliegenden Automobil. Diese Vorstellung einer verheissungsvollen Zukunft verlor dann aber ihre Unschuld. Zukunft wurde sogar zur Bedrohung. Für den Menschen, für die Umwelt.
 
Wiederum setzte Hollywood den Ton: Der Film „Terminator“ wurde 1984 zum düsteren Sinnbild einer bedrohlichen technologischen Zukunft, das die folgenden Jahre grösstenteils bestimmte. Trotzdem wurde die Zukunft allmählich zur Gegenwart. Der Personal Computer und das Mobiltelefon wurden allgegenwärtig. Das Internet begann sie zu verbinden. Aber diese Innovationen waren eigentlich erst Fortsetzungen bekannter menschlicher Tätigkeiten.

Statt Brief – Email.
Statt Zeitung – Webseite.
Statt persönlichem Gespräch – Chat.
Statt Brockhaus – Wikipedia.
Statt Flohmarkt – eBay.

Das mutet angesichts der bahnbrechenden Technologien, die sich heute abzeichnen, bereits veraltet und langweilig an. Wo stehen wir heute? Wie halten wir es heute mit der Zukunft? Ich glaube: Die Faszination ist wieder da. Die Zukunft, von der wir in den Siebziger Jahren als junge Ingenieure träumten, ist heute dank der rasanten Entwicklung der Technologie in greifbare Nähe gerückt. Roboter werden schon bald an der nächsten Strassenecke anzutreffen sein. Autos werden zwar vielleicht nicht fliegen, aber sie werden zumindest selber fahren. Das „Auto-Auto“, wie der Spiegel vor einigen Wochen so schön titelte.

Die Schweiz hat dabei nicht wenig zu dieser enormen Entwicklung beigetragen: Wie im vorher gezeigten Film kurz erwähnt, ist das World Wide Web am Genfersee erfunden worden. Und zwar im CERN, dem „Centre européen de recherche nucléaire“. Das zeigt exemplarisch, wie wichtig internationale Zusammenarbeit  für den Fortschritt ist. Heute beherbergt Zürich das grösste Forschungszentrum des Internetgiganten Google ausserhalb der USA, mit mehr als 3000 Mitarbeiter. Das Forschungszentrum von IBM und viele andere private

Forschungsinstitute haben die Nähe zu unseren Eidgenössischen technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne gesucht. Das wirkt sich auch positiv auf unsere Unternehmen aus, die international erfolgreich Schweizer Spitzenprodukte in Informatik und Telematik verkaufen. Die Schweiz hat also in Sachen Forschung und Innovation enorm viel zu bieten. Deshalb ist es auch für Europa wichtig, dass wir weiterhin am europäischen Forschungsprogramm Horizon 2020 teilnehmen. Ich danke an dieser Stelle der deutschen Bundesregierung für ihre Unterstützung.

Meine Damen und Herren
Damit die technologischen Errungenschaften nicht nur eine Angelegenheit von Entwicklern, Produzenten und Konsumenten ist – sondern auch von Bürgern – muss die Zukunft bildlich gesprochen wieder bei allen Mitgliedern unserer Gesellschaft ankommen. Das ist wohl immer mehr der Fall. Man kann die digitale Welt nicht mehr ignorieren. Jeder ist betroffen: Die Taxifahrer durch Uber, die Hoteliers durch AirBnB, aber auch die Ärzte durch den Supercomputer Watson und „eHealth“.

Und eine Venture Capital Firma in Hong Kong wählte 2014  einen „Finanz-Robo-Advisor“ in sein oberstes Gremium. Ein Computer wird Vorstandsmitglied! Das ist wahrlich gewöhnungsbedürftig. Damit angesichts dieses enormen Wandels die gesellschaftliche Akzeptanz sichergestellt werden kann, braucht es viel Verantwortungsbewusstsein. Wir müssen lernen mit den Möglichkeiten und auch Risiken der neuen digitalen Technologien umzugehen. Und das nicht morgen, sondern heute. Dabei brauchen wir Orientierungshilfen.

Ich sehe drei wichtige Pfeiler:

• Freiheit
• Sicherheit
• Wissen

Lassen sie mich das skizzieren.Zum ersten Pfeiler: Freiheit ist die Voraussetzung für Kreativität. Die technologischen Potentiale
können sich nur entfalten, wenn wir den klügsten Köpfen den nötigen Freiraum lassen. Als Liberaler werde ich deshalb etwas unruhig wenn ich sehe, dass Juristen schon über die zukünftigen Rechte unserer Roboter debattieren. Eine gewisse Zurückhaltung wäre wünschenswert. Denn während wir uns rechtlich gegen alle möglichen Gefahren absichern, riskieren wir, dass immer mehr Wertschöpfungsketten nach Kalifornien oder Asien abwandern.

Nur der verantwortungsvolle Umgang mit Technologie in einem freiheitlichen Umfeld wird es uns erlauben, unsere Industrie und Wirtschaft zu erhalten und die Arbeitsplätze zu sichern. Zudem sind die Möglichkeiten so vielfältig, dass es keinem staatlichen Gremium gelingen kann, den Überblick zu wahren und Entwicklung in bestimmte Bahnen zu leiten. Hier müssen sich Pioniergeist und Vernunft die Hand geben. Das heisst aber nicht, dass der Staat tatenlos zuschauen soll. Ganz im Gegenteil: Er hat für die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu sorgen. Das fällt bei diesem Thema nicht leicht.

Die Behörden sind hier systematisch im Rückstand. Sie reagieren auf Entwicklungen, welche Wirtschaft und Gesellschaft längst prägen. Die Thematik erhielt lange zu wenig Beachtung. Umso wichtiger ist es, dass die Politik sich in den kommenden Jahren intensiv mit der Digitalisierung auseinandersetzt und auch selber Debatten anstösst. Die Schweizer Regierung wird diesen Frühling eine Neuauflage der Strategie für die digitale Gesellschaft verabschieden. Und selbstverständlich bleibt die Thematik eine Daueraufgabe für verschiedene Bereiche der Verwaltung.

Wie schaffen wir ein positives Umfeld für die Digitalisierung? Einerseits mit einem attraktiven wirtschaftspolitischen und steuerlichen Umfeld, anderseits gezielt mit Innovationsförderung: In der Schweiz haben wir beispielsweise das Netzwerk Swiss Innovation Park geschaffen und sind daran, unsere Kommission für Technologie und Innovation zu reformieren. Sie unterstützt finanziell Firmen und Hochschulen bei Technologietransfer und Produkt- und Prozessentwicklungen.

Aber die Ideen dafür sollen von den privaten Akteuren kommen, nicht vom Staat. Der zweite Pfeiler ist die Sicherheit. Die öffentliche Hand muss weiterhin dafür sorgen, dass die Sicherheit aller Bürger gewährleistet bleibt. Das bleibt eine der wichtigsten Aufgaben des Staates – und sie wird in der digitalen Welt nicht einfacher. Ist der der Schutz der Privatsphäre des einzelnen Bürger weniger hoch zu gewichten als das Interesse der Gesellschaft, sich gegen Terrorismus und Kriminalität zu verteidigen? Sie wissen, diese Debatte findet zurzeit in den USA zwischen einem Unternehmen und dem FBI statt. Wir müssen dazu auch in Europa Antworten finden.

Eines ist heute schon klar: Die neuen digitalen Technologien können dem Allgemeinwohl nur nützlich sein, wenn der Bürger sich nicht von ihnen bedroht fühlt. Hackern und anderen digitalen Freibeutern gilt es das Handwerk zu legen. Das wird mehr denn je nur mit Kooperation gelingen – geographische Grenzen verschwinden auf dem digitalen Globus.

Der dritte Pfeiler lautet: Wissen. „Civilization is a race between education and catastrophe“, schrieb der Autor H.G Wells. Dieses Rennen müssen wir gewinnen. Heute mehr denn je. Einerseits steigen die Anforderungen in der digitalen Arbeitswelt noch weiter an. Wir tun gut daran, auch in Zukunft in unsere Bildungssystem stark zu investieren. Die Plattitüde von den klugen Köpfen als einziger Rohstoff ist etwas abgenützt, trifft aber auf die Schweiz weiter zu – und auf viele andere Länder auch. Bildung vermittelt den Menschen Fähigkeiten, sichert ihnen Chancen auf einen Job und gibt ihnen damit eine Perspektive. Zweitens macht Wissen aus – überspitzt gesagt – unmündigen Konsumenten neuer Technologien mündige Bürger. Auch das ist zentral, wenn wir die Digitalisierung als Chance nutzen wollen. Dabei sind nicht nur die Ingenieurwissenschaften gefordert, ihr Wissen mit der breiten Öffentlichkeit noch besser zu teilen, damit diese mitreden kann. Auch die Geistes- und Sozialwissenschaftler etwa sind gefragt, um die neuen Formen des menschlichen Lebens und Zusammenlebens zu verstehen und zu vermitteln.

Meine Damen und Herren
Ich komme zum Schluss.Die CeBIT ist ein Ort,an dem Innovationen sichtbar und die digitale Zukunft greifbar werden. Und damit ist die CeBIT eine hervorragende Plattform, nicht nur um „gute Geschäfte“ zu machen – sondern auch über die genannten Fragen nachzudenken und zu diskutieren. Die Schweiz ist stolz, als Partnerland dieser wichtigen Messe auftreten zu dürfen. Und unser Land freut sich, einen massgeblichen Beitrag für die digitale Zukunft zu leisten. Eine Zukunft mit Vernetzung und Wettbewerbsfähigkeit. Eine Zukunft mit Sicherheit, Wohlstand und Perspektiven für alle Bürgerinnen und Bürger.Eine Zukunft, die ihre Versprechen hält. Ich wünsche Ihnen allen eine erfolgreiche CeBIT.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Es gilt das gesprochene Wort


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